Weil ich an dieser Stelle schon öfters direkt aus Spanien berichtete, will ich dies auch jetzt tun, obschon ich nicht vor Ort bin. Ich fühle mich dazu auch durchaus berechtigt, träumte ich doch neulich tatsächlich, ich hätte mich mit Quim Torra, dem Regionalpräsidenten von Katalonien getroffen und wir hätten uns so gut unterhalten, als wären wir schon immer die besten Kumpels gewesen.
Ein Teil von mir ist also offensichtlich auch jetzt in Spanien.
Als mich ungefähr vor zwei Wochen von dort die ersten Nachrichten erreichten, die schon Schlimmes befürchten liessen, rief ich deshalb einen Freund an. Ich erreichte ihn in einem Reisebus unterwegs in Andalusien. Der Empfang war mässig, aber ich erfuhr, dass offensichtlich schon alle Museen geschlossen und alle Veranstaltungen abgesagt worden waren. So auch der Stierkampf in der berühmten Arena von Sevilla, der ein Höhepunkt des Reiseangebotes hätte sein sollen.
Als mich mein lieber spanischer Freund dann fragte: «Tambien lo teneis?» Also, ob wir «es» in der Schweiz auch hätten, und ich darauf wissen wollte, was er meine, sagte er: «Hombre, el bicho». Er fragte also nach dem «Beast», wie das Virus in Spanien, wie ich mittlerweile weiss, offensichtlich allgemein genannt wird und das ihnen auf ihrer Reise überall einen Strich durch die Rechnung machte.
Natürlich wunderte ich mich über seine Frage und gleichzeitig begann ich zu erahnen, was sich mir alsbald bestätigen sollte: Es ist überhaupt nicht so, dass sich Leute, die in normalen Zeiten kaum eine Zeitung aufschlagen und sich eigentlich nur mässig für Politik und den allgemeinen Gang der Welt interessieren, in Krisenzeiten plötzlich anfangen, sich ausführlich zu informieren.
Dieser Verdacht bestätigte sich mir gleich darauf auch hier in der Schweiz in der Apotheke, die ich mittlerweile längst nicht mehr selbst aufsuche.
Aus guten Gründen gab es dort bereits eine Abschrankung, um ein Gedränge vor dem Ladentisch zu verhindern, was die wartenden Kunden und Kundinnen nicht daran hinderte, sich vor der Abschrankung auf kleinstem Raum so dicht zusammenzuballen, als hätte noch kein Mensch je von den ersten, einfach zu treffenden Vorsichtsmassnahmen gehört.
Einen ähnlichen Grad an katastrophaler Uninformiertheit gab es in Spanien im besonders stark betroffenen Madrid, als die ersten Massnahmen verschärft werden mussten. Schulen und Läden wurden geschlossen, aber der Wissensstand der Bevölkerung war offensichtlich noch immer so tief, dass dies viele der Betroffenen als Aufforderung verstanden hatten, sich wie im Urlaub in ihre Zweitwohnungen – und davon gibt es in Spanien vorzugsweise am Meer sehr viele – zurückzuziehen, ohne zu bedenken, dass sie damit «el bicho» erst richtig im ganzen Land verteilten.
Es kann wohl sein, dass ich mich irre, aber ich meine in diesen Tagen gelernt und verstanden zu haben, dass dies auch in noch schlimmeren Krisenzeiten und ganz bestimmt in nicht so fernen Kriegszeiten ähnlich gewesen sein muss. Im Nachhinein ist es leicht zu meinen, man hätte doch von dem Ausmass der Sinnlosigkeit, des Schreckens und der Verbrechen «gewusst haben müssen». Jetzt lese und höre ich von Menschen, die schon heute «davon» nichts mehr wissen wollen oder auch einfach nicht noch mehr ertragen können, weil sie, wie unsere Nachbarn in Italien, schon so viel Leid und Elend miterleben mussten.
Und was hat Peter Iseli damit zu tun?
Freundlicherweise hat er mir völlig absichtslos dieses Aquarell mit dem mittelalterlichen Pestarzt zukommen lassen, das mir auf Anhieb so gut gefiel, dass ich es als Anlass nahm, wieder einen Blog zu schreiben, damit auch andere es sehen könnten. Als ich Peter Iseli fragte, ob ich das Aquarell verwenden dürfe, sagte er von ihm aus gerne, aber er wolle niemanden verletzen.
Wen meinst du denn, könntest du damit verletzen? fragte ich. Er wisse es auch nicht, aber heute sei das jederzeit möglich. Er wolle einfach kein Missverständnis verursachen und schon gar nicht, sich über jemanden lustig machen. Ach komm, sagte ich, gerade jetzt dürfen wir doch den Humor nicht verlieren.
Vielleicht, dachte ich danach, machen wir ja gerade eine Erfahrung durch, welche die Dünnhäutigkeit, mit welcher man sich noch vor wenigen Monaten über alles und nichts entrüsten konnte, einem etwas gestärkten Selbstbewusstsein weicht. Vielleicht muss auch die eine oder andere Prioritätenpyramide wenn nicht neu aufgebaut, so doch überdacht werden. Es sind vielleicht tatsächlich Zeiten, die uns daran erinnern, dass wir tatsächlich als Schicksalsgemeinschaft alle im gleichen Boot sitzen und wir nicht jeden und jede, bloss weil er oder sie eine von uns abweichende Sicht auf die Welt hat, über Bord werfen sollten.