Da wäre man also wieder in den schönen spanischen Bergen, aber woran denkt man andauernd?
An die Aare!
Ich kann ihr bedrohliches Brummen hören, als sässe ich auf der Münsterplattform, wo ich mich so oft an ihrem sonst sanften Rauschen erfreue. Möge sie inzwischen zur Besinnung gekommen sein. Klar wird aber einmal mehr, dass auch das Wasser zu dem Reichtum gehört, den der liebe Gott so ungerecht verteilt. Dort dieser Überfluss und hier ist das Bewässern des Gemüsegartens schon wieder ein äusserst schwieriges Unterfangen. Die Quelle gibt einfach täglich weniger her. Und die Kühe, die hier ausserhalb des Dorfes auf einer Anhöhe in malerischer Eintracht in der prallen Sonne liegen, sind zwar am Wiederkäuen, man fragt sich aber, worauf sie da so zufrieden rummahlen. Vermutlich Futter aus dem Sack, denn sie liegen auf ausgetrocknetem, steinigem Boden. Zwar gibt es Thymian, Lavendel, Ginster und jede Menge verbuschter Steineichen, aber wirklich grün Grün ist da nichts. Ich habe diese lieben Kühe dort oben schwer im Verdacht, sie träumten vom schönen Simmental, wo ich noch vor wenigen Wochen bei Boltigen eine Herde von ihren rot-weissen Artgenossen gesehen habe, die bis zu den Flanken im Klee standen und die mir vorkamen, als würden sie baden in der grünen Pracht. Büschelweise schlangen sie das saftige Gras in sich hinein. Ich sehe es jetzt noch in ihren gierigen Flotzmäulern verschwinden und ich sehe jetzt noch, wie sie vor Freude mit ihren Schwänzen um sich schlugen wie übermütige Hunde.
Die Kühe hier, das sei auch angefügt, haben dafür noch ihre Hörner, aber wer weiss wie lange sie ihre 50 bis 60 Liter Wasser noch bekommen, die auch genügsame Rinder täglich brauchen.
Bei anhaltender Trockenheit kann man zwar auf ein mögliches Gewitter hoffen, was sich aber als zweifelhafter Segen erweist, sobald auch Hagel niedergeht.
Und ja, da war auch noch diese für die Schweiz so ausserordentliche Europameisterschaft mit dem Viertelfinal gegen Spanien.
Für wen ich sei, hat mich ein Freund aus Lenzburg per Mail gefragt. Er hatte wohl Zweifel an meiner Loyalität. Aber natürlich war ich für «uns»! Es fiel mir während des Spieles auch leicht, für «uns» zu sein, denn die Kommentatoren am spanischen Fernsehen hatten einmal mehr nicht die geringste Mühe, in der ersten Person Mehrzahl zu reden, als ob sie selbst auf dem Spielfeld stünden. Einer von ihnen war zwar der legendäre Aussenverteidiger Camacho, dem wir dieses «wir» nicht übel zu nehmen wollen, war er doch auch schon Trainer der Spanischen Nationalmannschaft. Überrascht hat mich übrigens, dass man hier die ominöse rote Karte allgemein als ein Geschenk betrachtete. «Dank einem Engländer haben wir gewonnen.» sagte ein Nachbar. Auffallend war auch, dass man, anders als früher, die Schweiz plötzlich als Gegner ungewohnt ernst nahm.
Gesehen habe ich das Spiel in einer Taverne, die bei einem kleinen Balkon den herrlichen Ausblick über die Hügelrücken dieser von Dürre und Abwanderung geplagten Gegend frei gibt. Ein einziger Gast sass mit der an einem Ohr herabhängenden Schutzmaske mit dem Rücken zum Fernseher. Alle andern fieberten mit wie eh und je und als mir auffiel, dass in diesem Lokal, in welchem ich schon seit 35 Jahren Fussballspiele mitverfolge, vor allem ältere Herren sassen, kapierte ich schnell, dass ich auch einer von ihnen geworden bin.
Ich werde diese EM aber in guter Erinnerung behalten. Natürlich auch wegen des Spiels der Schweizer gegen Frankreich, vor allem aber, weil sehr oft wirklich guter Fussball gespielt wurde. Da war zum Beispiel dieser erste Ansturm der Engländer im Final. Als sie mit einem Affenzahn ausschwärmten und anrauschten wie eine Sturmfront, um dann prompt ihre Kiste zu machen, wurde eine so unglaubliche Energie frei, dass ich meinte, jeder Spieler habe gerade dann und dort, mindestens eine Schachtel Cornflakes verbrannt, so gewaltig war der Ansturm. Und wie ich dann mit den Italienern litt! Mein Gott! Sind die noch nie in einem Tor gestanden? Wissen die nicht, wie riesengross so ein Kasten ist! Ein Scheunentor!
Ja, zuschauen ist nicht schwer. Aber schön. Wie oft konnte man sich freuen, dass sich die Spiele entfalteten wie Dramen, dass es hin und her ging wie am Schnürchen und den Jungs dazu immer wieder überraschende Spielzüge einfielen, die verblüffen und entzücken wie Kunststücke. Und wenn es chlepft und tätscht vor dem Tor, auch schon das Jubeln losgeht, der Ball dann aber plötzlich unter dem am Boden liegenden Torwart zu sehen ist, der niederging wie eine Tipp-Kick-Golie. Wie gern ist man da dabei. Fussball kann so schön sein.
Und was hat Vivian Suter damit zu tun?
Mit der EM nichts, aber wohl mit dem Unwetter.
Als in den Zeitungen von ihr eine grosse Ausstellung in Madrid angekündigt wurde, wunderte ich mich, dass ich diesem Namen noch nie begegnet bin. Die Künstlerin stammt zwar aus Argentinien, hat aber in jungen Jahren in Basel Kunst studiert und einen berühmten Schweizer geheiratet. Leben und arbeiten tut sie heute in Guatemala mitten im Dschungel. Als ein gewaltiger Regensturm ihr das Atelier mitsamt ihren Leinwänden verwüstete, hängte sie sie diese auf wie Wäsche zum Trocknen und entdeckte für sich und ihre farbenreiche, grossformatige Malerei eine schöne und durchaus sinnvolle Ausstellungsform.