Weiter geht es mit Urs Stoss

von Beat Sterchi 31. Mai 2020

 «Von unserem Bericht hoffen wir, dass er nicht allzu sehr missfallen haben möge, sollten wir den Leser jedoch bloss gelangweilt haben, so halte man uns zugute, dass es nicht mit Absicht geschehen ist.»
So endet nach mehr als 700 Seiten das Buch, das man ungern aus den Händen gibt und dem man im Regal einen ganz besonderen Platz zuweisen wird. Es ist ein Buch, das man vorerst aber noch ein paar Tage rumliegen lässt, weil es bei der Lektüre eine besondere Aura entwickelt hat, weil es lebendig geworden ist, weil es nachwirkt, weil die in ihm aufgegriffenen Themen in einem weiterwuchern.
Es ist eines jener Bücher, von welchen man noch bei den unpassendsten Gelegenheiten schwärmen möchte, aus welchem man Geschichten nacherzählt und zwar so betroffen, als hätte man sowohl die dargestellten Niederträchtigkeiten als auch die erhabenen Momente alle selbst erlebt.
Und ja, es ist eines jener Bücher auf die in diesen besonderen Zeiten immer wieder verwiesen worden ist, weil es sich vor einem historischen Hintergrund entfaltet, in welchem nicht nur eine legendäre Hungersnot, sondern auch der katastrophale Ausbruch  der Pest in Mailand während des Dreissigjährigen Krieges eine Rolle spielen.
Zum ersten Mal begegnet bin ich dem Buch, als ich mir von sachkundiger Seite die herausragenden Werke der italienischen Literatur empfehlen liess.
Es handelt sich um «Die Verlobten» von Allesandro Manzoni.
Unter all den Fragen und Gedanken, die dieses grosse Buch auch noch nach der Lektüre anstiess, beschäftigte mich unter anderem plötzlich die Tatsache, dass zwei sehr unterschiedliche Romanfiguren in Anbetracht von bestimmten Umständen, allen Beteiligen beteuerten, man solle sich keine Sorgen machen, man habe Geld genug und werde für das Nötige aufkommen. Man habe Geld genug!
Das waren noch Zeiten, als es reiche Männer und Frauen gab,  – in einem Fall handelt es sich um eine Witwe – die sagten: Geld habe man genug. Geld ist kein Problem. Vermutlich hat es noch nie so viele Menschen wie heute gegeben, die mehr als genug Geld haben, aber dass jemand sagt: Keine Sorge, Geld habe man genug! Das hört man eher selten. Das wäre heute wohl unschick oder gar dumm. Ich weiss es nicht. Es ist trotzdem schön, zu lesen, Geld habe man genug.

Und was hat Urs Stoss damit zu tun?

In der Zeitung sah ich ein Bild des  Sechseläutenplatzes in Zürich an einem Samstagnachmittag. Erst traute ich meinen Augen nicht und dachte: Aber diese über den Platz verteilten Figuren, diese Distanz haltenden, isolierten Menschen, die kenne ich doch. Sogar in genau diesen Farben habe ich das schon gesehen.
Dann erinnerte ich mich an die Bilder von Urs Stoss, die ich, wenn sie an der Münstergasse in der Galerie Krebs ausgestellt worden waren, immer gerne gesehen habe und immer stehen geblieben bin, um sie eingehend zu betrachten, weil es Bilder waren, auf denen so vieles zu sehen war. Es sind kunstvolle Wimmelbilder voller Geschichten. Moderne Kunst wie gemacht für Kindsköpfe wie mich. Aber nie hätte ich gedacht, dass ein gefragter Berner Künstler in seinen Bildern einen ganz besonderen Zustand der Welt so genau vorwegzunehmen wusste.