Und wieder denke ich an Katalonien. Weil ich aber auf der schon sommerlichen Münsterplattform sitze und mich während des Notierens dieser Zeilen in mein Notizbuch von der heftig angeschwollenen Aare berauschen lasse, ist immerhin ein Bernbezug gegeben.
Ich denke an Katalonien, weil es auf der Plattform gerade wimmelt von Polizei. Auf dem Münsterplatz steht wieder hoher Besuch an. Eben erst war auch der spanische Aussenminister da. Er soll mit Ignazio Cassis über die beiden Damen gesprochen haben, die vor der spanischen Justiz nach Genf geflohen sind.
Wie man mit ihnen umgehen sollte, weiss ich wirklich nicht, aber beide hatten mich am entscheidenden Tag bei der TV-Übertragung aus dem katalanischen Parlament in Staunen versetzt. Mir ist unvergesslich, wie sie scheinbar absolut unberührt von der Tatsache, dass die gesamte Opposition, das heisst, die Abgeordneten mehrerer Parteien geschlossen das Parlament verlassen hatten, in völlig unaufgeregtem Ton, ruhig und sachlich erörterten, wie das provisorische Grundgesetz einer neuen Republik zu verstehen und umzusetzen sei.
Die juristischen Beistände, also die Juristen und Juristinnen, die der Präsidentin des Rates beizustehen haben, hatten sich schon aus dem Staub gemacht, nachdem ihr Hinweis, dass man den gesetzlichen Rahmen verlassen habe, auf taube Ohren gestossen war.
Ich wusste nicht, ob ich diese Frauen, die hier seelenruhig, als würden sie an einem Elternabend die Organisation eines Sommerlagers für ihre Kinder und nicht einen Staatstreich besprechen, bewundern oder bedauern sollte. Ich weiss auch noch genau, dass ich unfähig war, den Gesichtsausdruck von Frau Rovira zu deuten. In Anbetracht der möglichen Folgen ihres Diskurses als Sprecherin der separatistischen linken Partei ECR kam mir das Gesicht dieser Frau so reglos vor, dass ich sie für todesmutig hielt. Oder aber für naiv, denn mir war völlig klar, dass man, sollte der Coup nicht gelingen, für so etwas «i d’Chischte chunnt».
Und ich muss zugeben, als ich Marta Rovira ein paar Wochen später am Fernsehen weinen sah, tat sie mir einerseits zwar leid, aber andererseits fand ich es nicht mehr nur naiv, sondern hanebüchen, wenn nicht frech, dass sie behauptete, sie würde für ihre Ideen verfolgt. Ich meine «frech», wie verwöhnte Kinder frech sein können, die immer noch eins drauf geben und nachher beleidigt sind, wenn Vater oder Mutter die angedrohte Strafe tatsächlich vollziehen.
Und was hat Pole Lehmann damit zu tun?
Auch Pole Lehmann wird gerne als «naiv» bezeichnet. Aber anders als in der Politik ist Naivität in der Kunst, in welcher es bekanntlich weder Vorschriften noch Gesetze gibt, völlig unerheblich und ganz sicher kein Qualitätskriterium. Auch sicher ist, dass es in der Werkschau im Tramdepot Burgernziel, die noch bis am Sonntag, den 29. April dauert, sehr viel zu sehen und einen sehr verspielten, äusserst produktiven und amüsanten Berner Künstler (wieder-) zu entdecken gibt.