Weiter geht es mit Miriam Cahn

von Beat Sterchi 31. März 2019

Beim Betreten der Ausstellung im Kunstmuseum erinnerte ich mich sofort an einen Kollegen, der die Künstlerin Miriam Cahn einmal getroffen hat und erzählte, dass diese schon in jungen Jahren sehr genau gewusst habe, wer sie war und was sie wollte. Daran, ob er sie möglicherweise als «aggressiv» geschildert hatte, konnte ich mich nicht mehr erinnern, sicher ist aber, dass «Aggression» die treffende Bezeichnung für das Gefühl ist,  das mir beim Betreten des Saales entgegenschlug. Schon nach ein paar wenigen ersten Blicken auf die mächtig auftrumpfenden, wildbunten Gemälde an den Wänden musste ich mich in den ersten Nebenraum flüchten, wo eine Seelandschaft hing, die mich nicht auf der Stelle zwang, meinen Blick abzuwenden. Diese Landschaft strahlte sogar so etwas wie Ruhe aus, wenn wahrscheinlich auch eine trügerische. Aber ich war dankbar, dass ich mich dort auf eine Holzbank setzen und mich sammeln konnte. Geflohen bin ich vor aufdringlichen Verstümmelungen und Verzerrungen, die so brutal und direkt auf mich einstürzten, dass ich sofort überfordert gewesen war und, ausser dem Empfinden von Aggression, meine Gefühle nicht mehr einordnen konnte. Plötzlich hatten mich riesige, plakative Fratzen angestarrt, als wollten sie mich als Museumsbesucher verhöhnen. Waren das Bilder, die das Publikum beschimpfen wollen oder sollen? Was hast Du Dir gedacht du spiessiger Sack! Du hast wohl Erbauung und Besinnung gesucht im Musentempel! Irrtum! Gigantischer Irrtum! Falsche Adresse! Ätsch! Bätsch!
Was ich gesehen hatte, zeugte zweifellos von schier grenzenlosem Mut zur Darstellung einer sehr persönlichen und äusserst intensiven Wahrnehmung der Welt. Da war in diesen groteskfarbigen Fratzen und Figuren auch noch eine ebenso grenzenlose Wut auf diese Welt, und ich war wirklich froh, dass ich mich setzen und in diese Landschaft schauend, mich beruhigen konnte. Erst dort auf dieser Bank bemerkte ich, wie verstört ich wirklich war. Ja, dachte ich, ich bin aufgewühlt, verunsichert, klein gemacht, enttäuscht, vor den Kopf gestossen. Viel mehr kann Kunst gar nicht können, als so schnell, so viel auszulösen. Dann dachte ich, viel mehr darf Kunst aber auch nicht müssen, sonst sind wir ja mitten im Krieg. Und schliesslich dachte ich, jetzt schaue ich mir alles noch einmal in Ruhe an, aber bitte, sagte ich mir eindringlich, mit kühlem Kopf und mit etwas mehr Distanz, sonst kannst du gleich nachhause gehen.