Weiter geht es mit Meindert Hobbema

von Beat Sterchi 18. Oktober 2018

Da liest man also in der Zeitung von einem Füllfederhalter der Marke Montblanc, der 1.5 Millionen Euros kostet. Auch ein Bild ist da. Am Deckel des Füllers klebt eine Spinne, die natürlich in alleredelsten Materialen, das Gerät mit einem Netz überzieht, das symbolisch für jenes Gewebe steht, das auch durch die Schrift, durch Wörter und Sätze entsteht.
Nun ist ein Füller ja nicht irgendetwas, habe ich doch gerade jetzt auch einen in der Hand. Diese Buchstaben hier schreibe ich mit einer Rotring Art-Pen. Ich glaube, sie kostete mich etwas um die 25 Franken.
In der gleichen Zeitung (La Vanguardia) sehe ich im Zusammenhang mit einem Bericht aus Yemen das Bild eines unterernährten Kindes auf einem Spitalbett. Es trägt nur eine Windel, seine Gelenke stehen hervor, seine Glieder sind dünn, dünn, einfach wahnsinnig dünn und zerbrechlich. Der Blick des Kindes aus den grossen dunkeln Augen ist herzzerreissend, es kostet mich Mühe, meinen Blick nicht von seinem abzuwenden. Es tut weh, denn es ist nicht leicht, die eigene Hilflosigkeit in Anbetracht eines solchen Verweises auf den Zustand der Welt zu ertragen. Ich tue es. Zwinge mich, das Bild zu sehen und mir zu überlegen, was es mit mir zu tun hat. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass es anders als hier in Spanien vermutlich keine mitteleuropäische Tageszeitung mehr gibt, die mir ein solches Bild zumuten würde. Eine schweizerische schon gar nicht! Und ich frage mich, ob das gut ist, ob das nicht auch eine Art von Zensur bedeutet?
Und was hat Meindert Hobbema damit zu tun?
Gerade dort, wo uns kommerzielle Medien, die sich ja verkaufen müssen, so oft vor der Realität zu schützen versuchen, dort hat die moderne Kunst – in Wort und Bild – sicher einen ihrer edleren Aufgabenbereiche gefunden. Kunst kann uns zur Konfrontation zwingen. Jemand der dies beispielhaft und sehr erfolgreich tut, ist die englische Künstlerin Jenny Saville. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, wurde letzte Woche ein Bild von ihr für rund £ 10 Millionen versteigert, in London versteht sich! Da es sich um den höchsten Preis handeln soll, der je für das Werk einer lebenden Künstlerin oder eines lebenden Künstlers bezahlt wurde, wäre es durchaus gerechtfertigt gewesen, dass es hier in meinem letzten Blog aus Spanien mit Jenny Saville weiterginge. Aber Presse und Berichterstattung ist das eine, Kunst ist etwas anderes. Es widerstrebt mir, ein Bild zur Betrachtung aufzuschalten, das ich nicht gerne anschaue, obschon ich es als meine Pflicht betrachte, die Realität wahrzunehmen. Keinesfalls möchte ich mich zum Kunstkritiker aufspielen und über die Künstlerin Saville oder ihre Bilder ein Urteil fällen. Aber Bilder, deren Kraft mir sofort ins Auge springen, in die ich mich aber nicht vertiefen, die ich also nicht genauer betrachten möchte, stellen mein Verständnis von Kunst infrage. Sollte Kunst nicht so sein, dass man sie sehen will, ausgiebig und immer wieder? Wie zum Beispiel die berühmte, auch in London beheimatete Allee von Hobbema? Hat man dieses Bild je wirklich und ganz gesehen? Möchte man sich nicht immer wieder in diese Situation hineinbegeben? Da kann man lange über diesen Himmel staunen, zu Ende gesehen hat man ihn nie!