Auf einem Kellereingang oben an der Postgasse liegen ein paar zum Mitnehmen bestimmte Bücher. Das zuoberst ist besonders dick. Es heisst: Das Böse, es bleibt.Wenige Schritte weiter, unten an der Kramgasse, steht wie so oft eine ziemlich lange Kundenschlange vor der angeblich überflüssigen Poststelle und gleich darauf sehe ich von der Münsterplattform aus, dass im Schwellenmätteli das viele «Grien», also die Berge von Kies, die die Aare das Jahr hindurch aus dem Oberland angeschwemmt hat, fast restlos ausgebaggert, verladen und abtransportiert worden ist. Auf der Plattform selbst zeigen sich an den von der Stadtgärtnerei frisch beschnittenen Kastanienbäumen die ersten Knospen.
Der Frühling steht vor der Tür.
«Mit em Härz hets leider nid so klappet», sagt auch auf der Plattform die freundliche Bedienung im Café. Sie meinte das Herz im Schaum auf meiner Schale. Sie sei noch am Üben. Offenbar gar nicht einfach, so ein Herz im Schaum.
Während ich mir einen Platz an der Sonne suche, höre ich, wie am Nebentisch eine Frau sagt: «U de hett si wyder so huere beleidiget ta» und ich denke, schon nur wegen der Sprache ist es einfach schön auch an besonderen Tagen in Bern zu sein. Gleichzeitig bemerke ich, dass oben auf dem Eckpavillon in welchem sich das Café befindet, auf dem Vasenaufsatz über dem Kuppeldach stolz wie ein Adler eine Krähe sitzt. Vielleicht sind deshalb die Spatzen verschwunden. Noch bevor ich meinen Kaffee getrunken habe, kommt der Mann mit der unterwürfigen Haltung daher, der seit Jahren immer mit höflicher Distanz und mit einer leichten Verbeugung um ein bisschen Münz für die Gassenküche bittet. «Entschuldigung, ä chlyni Frag…» Um ihm sein Verslein zu ersparen, lege ich ihm zum Voraus einen Zweifränkler auf den Tisch. Das sei lieb, sagt er und wünscht mir gute Gesundheit und einen schönen Tag. Weil dann vom Münster herab die Glocken erklingen, erinnere ich mich daran, kürzlich gelesen zu haben, dass diesem Geläut auch die Aufgabe zugefallen sein soll, die Bewohner und die Bewohnerinnen der Stadt bei ihrer Arbeit zu unterbrechen, um sie kurz zur Einkehr und zur Besinnung zu rufen.
Auf dem Weg zurück hatte ich an diesem angeblich historischen Tag, der eine neue Epoche einleiten soll, noch zwei weitere Begegnungen. Zuerst kam mir die Dame mit dem Mops entgegen, die mir einmal erklärt hatte, gemäss Loriot sei das Leben ohne Mops zwar möglich, aber sinnlos. Es entging mir nicht, dass die Dame leicht hinkte, aber ich fragte: «Wie geit’s däm Mops?» Sie winkte ab. Ich schaute auf den kleinen grauen Hundekerl hinunter und sie beklagte sich, dass sich dieser alte Mops leider nur noch für’s Fressen interessiere. Da könne sie ihm lange ein Buch hinlegen, es nütze nichts.
In der Laube der Gerechtigkeitsgasse kam dann ein Mann auf mich zu, der mich auf der Stelle an einen mir bekannten Kriegsveteranen aus Vietnam erinnerte. Weil er nur noch ein Bein hatte, ging der Mann an zwei Krücken. Er hatte ein sehr sympathisches Lächeln im Gesicht und sagte, er wisse auch nicht, warum er gerade mich frage, aber ob ich vielleicht…
Und was hat Max Ernst damit zu tun?
Ganz direkt eigentlich nichts, aber es triumphiert der Surrealismus und wer würde dem tobenden, grössenwahnsinnigen Trampeltier nicht eine gewisse Aktualität zugestehen?
Max Ernst soll seine drei Fassungen von diesem Hausengel unter dem Eindruck des spanischen Bürgerkriegs gemalt haben. In dieser dritten Fassung versteckte er in den fuchtelnden Armen und Beinen auch noch ein Hakenkreuz. Aber das war im Jahr 1938.