Weiter geht es mit José Camacho Baeza

von Beat Sterchi 1. Juli 2022

Weil man sich seit ein paar Wochen wieder in Spanien befindet, ist der astreine Bernbezug dieses Blogs nicht leicht zu gewährleisten. Aber einen Schweizbezug kann ich anbieten. Immerhin wurde ich vor ein paar Tagen von einem Nachbarn gefragt, ob der hier offenbar für seine Wucht bewunderte Fussballer Breel Embolo gebürdiger Schweizer sei? Neben dem Krieg bleibt das Schutten das verbindende Thema. Das Spiel der Spanier gegen die Schweiz in der Nations League ist ja auch noch nicht so lange her.

Der gleiche Nachbar wusste auch, dass der ehemalige Barcelona-Star Rakitić  Schweizer ist und fragte, warum dieser nicht für unsere Nationalmannschaft spiele und sagte dann noch, nach den vielen harten Fouls, mit denen die Schweizer das Spiel gegen die leichtfüssigen Spanier eröffnet hätten, habe seine Frau gemeint: Son muy brutos los Suizos! Es gehört zum Ankommen in Spanien, dass man sich wieder an gewisse, nur schwer übersetzbare Wörter gewöhnen muss.

Bruto gehört dazu. Denn tierisch oder brutal trifft es nicht ganz. Sicher hat bruto mit Grobheit zu tun, aber auch einfach mit einem ausgeprägten Mangel an Anstand und Form. Aus Schweizer Sicht ist zum Beispiel der in Spanien gepflegte Umgang in der Politik ziemlich «bruto».  Mann und Frau beleidigen sich und schreien sich an, wie man es in Bundesbern noch selten gesehen hat. Meines Wissens gibt es am Fernsehen auch keine nennenswerte Talkshow, an der Politiker und Politikerinnen verschiedener Couleur teilnehmen würden. Aus einem einfachen Grund: In dem vorherrschenden polarisierten Klima sind Gespräche zwischen den Parteien praktisch unmöglich.

Sicher ist, dass man den offiziellen Stierkampf in weiten Kreisen der Bevölkerung inzwischen mit rechtsnationaler Politik in Verbindung bringt und lieber nichts damit zu tun haben möchte.

Als sehr «bruto» gilt für eine zunehmende Mehrheit der Spanier*innen inzwischen nicht überraschend der Stierkampf. Und dies obschon in vielen Zeitungen die erfolgreichen Toreros weiter doppelseitig gefeiert werden und Madrid kürzlich von der Regionalpräsidentin Ayuso etwas anachronistisch zur Welthauptstadt des Stierkampfes ausgerufen wurde. Auch die lokalen, als Volksbelustigungen bei Festlichkeiten durchgeführten öffentlichen Stiertreiben erfreuen sich weiterhin grosser Beliebtheit. Dies auch in Katalonien, also in jener Region, die, nicht zuletzt, um sich von Spanien abzugrenzen, dem Stierkampf in der Arena abgeschworen hat.

Sicher ist aber, dass man den offiziellen Stierkampf in weiten Kreisen der Bevölkerung inzwischen mit rechtsnationaler Politik in Verbindung bringt und lieber nichts damit zu tun haben möchte. Im Gegensatz zu früher verzichten linke Politiker denn auch darauf, sich in den Stierkampfarenen als volksnah oder gar als volksverbunden zu inszenieren.

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Auch als sehr «bruto» kann man die immensen Schäden und Verluste bezeichnen, die Spanien in diesem Jahr schon wieder durch etliche gigantische Waldbrände erlitten hat. Noch bevor der alles austrocknende Sommer richtig begonnen hat, sind für schweizerische Verhältnisse schon wieder unvorstellbar grosse Flächen verwüstet worden. In mehreren Teilen des Landes haben heftige Südwinde das Feuer so aufgepeitscht, dass auch Tausende von Feuerwehrleuten die Katastrophe nicht abwenden konnten.

Und was hat José Camacho damit zu tun?

José war ein autodidaktischer Maler aus Andalusien, wie es sie heute nicht mehr gibt. Früh emigrierte er wie so viele nach Barcelona, wo er unzählige Stadtansichten unterschiedlicher Qualität produzierte, um sie öfter auf Märkten als in Galerien zu verkaufen. Weil er auch hier in der Gegend malte, lernte ich ihn kennen und schätzen. Dieses Bild vom Hafen von Barcelona, das farblich sehr ansprechend ist und etwas Wildes hat, als hätte sich Camacho hier stilistisch an gewissen Franzosen orientiert, verweist auf zwei weitere Themen, mit welchen man sich als Ankömmling in Spanien wieder konfrontiert sieht.

Dieser hier so idyllisch dargestellte Hafen aus dem letzten Jahrhundert, soll im laufenden Jahr 800 Mal von Kreuzfahrtschiffen heimgesucht werden. Das heisst, meistens werden fünf oder sechs von diesen Riesenkisten hier vor Anker liegen und Zehntausende werden sich ins historische Zentrum drängen. Viel Spass! kann man da nur sagen. Im Jahr vor der Pandemie waren es 3.1 Millionen. In diesem Jahr werden es vielleicht mehr, für Konfliktstoff ist gesorgt.

Hier ist das Meer und dort drüben ist Afrika, mit allem, was das bedeutet, aber auch Lateinamerika rückt plötzlich ganz nahe heran.

Und links oben im Bild steht die berühmte Kolumbussäule. Zwar gab es schon Vorstösse, dass sie geschleift werden soll, vorderhand steht sie aber noch und der alte Kolumbus verweist mit seinem ausgestreckten Arm weiter auf die neue Welt. Er steht auch dafür, dass, kaum ist man wieder in Spanien, rückt die Welt viel näher ran. Natürlich gibt es im Osten den leidigen Krieg, aber hier ist das Meer und dort drüben ist Afrika, mit allem, was das bedeutet, aber auch Lateinamerika rückt plötzlich ganz nahe heran.

Plötzlich sind Länder wie Chile, Argentinien, Brasilien, Peru, Equador, Kolumbien, Nicaragua, El Salvador so nah und gegenwärtig wie Deutschland oder Frankreich in der Schweiz und die Welt öffnet sich gegen Westen gross und weit. Wie hiess doch gleich die Hauptstadt von Bolivien? Jedenfalls zeigt es sich auf der Stelle: Es ist viel los dort drüben.