Natürlich fehlt es nie an guten Gründen, sich in einen klassischen russischen Roman zu verkriechen, aber heuer jähren sich auch noch jene Revolutionen zum hundersten Mal, die bekanntlich die Welt erschütterten. Auch deshalb verbringe ich schon seit einem Monat einen beträchtlichen Teil meiner Zeit staunend und tief beeindruckt an einem sehr schönen Fluss im revolutionären Russland. Ich lese «Der Stille Don» von Michail Scholochow. Das sind weit über tausend klein bedruckte Seiten in zwei dicken Bänden.
Dass man da auch mal Grund hat, an Karl Marx zu denken, versteht sich von selbst. Ganz nebenbei vernimmt man beim Lesen nämlich zum Beispiel auch, dass ausgerechnet «Das Kapital» von der zaristischen Zensur unbehelligt in das aufgewühlte Land gelangen konnte. Man nahm schlicht und einfach an, für diesen dicken, theoretischen Schinken aus England würde sich sowieso kein Mensch interessieren. Weit gefehlt!
Aber dann sitzt man im Zug und hört wie ein Tourist aus Süd-Afrika mit dem Namen Marx ein Hotel reservieren will und nicht verstanden wird: Sogar zweimal muss er ihn in sein Telefon buchstabieren: M – A – R – X! Nein: M wie Müller! A wie Achtung! R wie Roger und X wie Xylophon! Marx!
Wie tief der Bekanntheitsgrad und wohl auch der Marktwert dieses Namens aber tatsächlich gesunken ist, erfuhr ich ein paar Tage später.
Natürlich gab ich bei einem Bier mit Kollegen im Falken die kleine Anekdote aus dem Zug zum Besten und natürlich schmunzelte man. Und ein Kollege machte mich darauf aufmerksam, dass gerade an diesem Tag in der «Zeit» wieder mal ein Artikel erschienen sei mit dem Titel: «Hatte Marx doch recht?» Auch sei sein Abbild gross, aber rot und blond vorne drauf auf der Zeitung!
Als ich kurz darauf bei dem Kiosk an der Kramgasse vorbeikam, sah ich «Die Zeit» mit dem blonden Marx schon von weitem, nahm sie aus dem Regal und legte sie vor der Kioskverkäuferin auf die Ablage. Sieben zwanzig, sagte sie, und während ich die Münzen eine nach der andern hervor suchte und auf das bärtige Gesicht des alten Marx legte, das fast die ganze Titelseite beanspruchte, fragte ich die junge, schon mit geöffneter Hand wartende Frau, ob sie den kenne? Sie sagte, nein, schaute ihn aber länger genau an, dann schaute sie mich an und fragte: Das syt aber nid dir? Nein, sagte ich, das ist Karl Marx! Sie schüttelte den Kopf! Ich sagte noch, das müssen Sie sich unbedingt anschauen! Sie habe leider wenig Zeit zum Lesen, aber sie werde daran denken. Tun Sie das! sagte ich, wünschte einen schönen Abend und nahm meinen Marx unter den Arm!
Und was hat Iwan Albertowitsch Puni damit zu tun?
Dieser avantgardistische russische Maler mit italienischen Wurzeln malte mit «Armed workers in a Motorcar» wohl eines der wenigen humorvollen Bilder zu der russischen Revolution, die zu der angeblich marxistischen Sowjetunion führte. Es ist ein herrliches Bild, weiss man doch nicht, ob diese bewaffneten Revolutionäre fahren, fliegen oder schwimmen. Sicher ist, dass sie dem Betrachter etwas verloren vorkommen. Verloren war wohl auch Puni selbst, denn er emigrierte schon bald nach Berlin und dann nach Paris.
Weil er aber auch sonst grosse Verdienste hat, auch andere, sehr sehenswerte Bilder malte, ist zu hoffen, dass er an der Ausstellung vertreten sein wird, die demnächst im Zentrum Paul Klee und im Kunstmuseum Bern aufgeht. Die Ausstellung trägt den schönen Titel: «Die Revolution ist tot. Lang lebe die Revolution!»