Weiter geht es mit Gustav Doré

von Beat Sterchi 9. Mai 2023

Auf der Münsterplattform strahlt und lächelt mich ein ganz kleiner Bub an. Er hat einen Daumen im Mund und wie das kleine Mädchen im Kinderwagen hinter ihm, hat er ganz grosse Augen, die jede meiner Bewegungen genau beobachten. Kinder sehen alles, denke ich und weil ich gerade zurück bin aus Spanien, wo ich auch in diesem Jahr meinen Gemüsegarten angelegt habe, sehe ich vor allem das üppige Grün der Kastanienbäume und staune über die Aare, die kräftig über die Schwellen rauscht.

Was für ein Segen!

Natürlich wurde ich seit meiner Rückkunft schon wiederholt gefragt, ob es in Spanien wirklich so heiss sei, wie behauptet werde.

Ja, es ist für die Jahreszeit tatsächlich ungewöhnlich warm. Es werden Höchstwerte gemessen und das Wasser wird entsprechend knapp. Auch wenn es jetzt regnen würde, wäre das Wintergetreide nicht mehr zu retten. Es ist grösstenteils tot. Dort wo es sich eine Hand breit oder sogar kniehoch aus dem Boden wagte, gehen die Schafe darüber oder es wird abgemäht wie Futtergras. Wenn man auf einem dieser Felder steht und die grünen Stoppel mit den noch zarten Ären sieht, aus denen nichts werden wird, kann man schon ins Grübeln kommen.

Dort wo die Äcker noch bewässerbar sind, hat man den Mais durch weniger durstiges Sommergetreide wie Sonnenblumen ersetzt. In Katalonien geht man derweil schon hinter das Grundwasser, verbietet das Giessen von Blumen und am Strand wurde das Duschen eingeschränkt. Wie bei jeder Dürre steigen natürlich die Lebenskosten und ganz schlimm: Es steigt auch die Waldbrandgefahr. So oft wie in diesem Frühjahr hat es noch nie gebrannt. Kein Wunder sind auch in Katalonien Wetter und Klima Thema Nummer eins. Noch dringender als die Unabhängigkeit von Spanien möchte man jetzt vor allem Wasser.

Das haben wir nun von dem schönen Wetter! sagte noch vor ein paar Tagen ein Nachbar. Ein anderer sagte, wenn es nicht bald richtig regnet, wird man uns im August das Trinkwasser mit dem Tankwagen bringen und das Bewässern der Gemüsegärten können wir vergessen. Keine schöne Aussicht.

Ganz besonders nicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, woher der Tankwagen das Wasser bringen soll, wenn es doch überall fehlt. Deshalb habe ich beim Setzen meiner Kartoffeln auch wiederholt an Luther gedacht. Er soll bekanntlich gesagt haben, auch wenn morgen die Welt unterginge, würde er heute einen Baum setzen.

Jedenfalls ist es ein besonderes Gefühl, so viel Zeit beim Pflanzen zu verbringen, ohne zu wissen, ob die Ernte aufgehen wird.

Aber noch ist Spanien nicht untergegangen und auch wenn das Land eine absolut katastrophale Dürre erlebt, die erste ist es nicht. Spanien ist Spanien. Das heisst: Trockenheit und Hitze haben dieses Land schon immer geprägt. Hier im Dorf geht sogar die Legende um, dass einst nur noch eine einzige abgelegene Quelle etwas Wasser hergab und dass die ganze Vegetation, jeder Grashalm und jedes Blatt braun und verdorrt gewesen sei. Nur eine einzige, uralte Steineiche habe noch ein paar grüne Äste gehabt. Zahlreich sind auch die Kapellen, die heute wie verloren in der Weite der Landschaft Spaniens stehen, die aber einst Wunder wirken sollten. Über die Jahrhunderte wurden sie errichtet, weil man sich gerade von dieser Anhöhe oder von diesem einen Hügelzug her gutes Wetter, das heisst Niederschläge erhofft hatte.

Ich kann mich auch erinnern, wie argwöhnisch Nachbarinnen und Nachbarn beobachteten, wer wie viel Wasser in die Blumen goss, weil das Bewässern der Gemüsegärten als vorrangig betrachtet wurde, aber schon schwierig geworden war.

Und was hat Gustav Doré damit zu tun?

Davon, dass Trockenheit und die Verteilung des kostbaren Wassers in Spanien schon immer ein Thema war, zeugt auch das Wassergericht von Valencia. El tribunal de las Aguas existiert als Institution angeblich seit mehr als tausend Jahren, und soll deshalb das am längsten ununterbrochen tagende Gericht der Welt sein. Ziemlich ausserordentlich, darf man da sagen, und weil der unermüdliche Gustav Doré in seinem gigantischen Werk alles Ausserordentliche erfasst hat, gibt es von ihm auch eine Darstellung des Wassergerichts in Valencia.

Es ist übrigens, um hier noch einen Bernbezug einzufügen, Gustave Doré gewesen, der Ferdinand Hodler die Vorlage für das riesige Wandgemälde «Aufstieg und Absturz»  lieferte. Gezeigt wurde es ursprünglich an der Weltausstellung in Antwerpen und heute hängt es in einzelne Bilder zerstückelt im Alpinen Museum.  Gustave Doré seinerseits hatte sich von der Erstbesteigung des Matterhorns inspirieren lassen.