Weiter geht es mit Flor Garduño

von Beat Sterchi 31. Januar 2021

Unten an der Aare begegnete ich einer Mutter mit einem Kind an der Hand und einem zweiten Kind im Wagen. Als ich sie überholte, sagte sie gerade: Regarde! C’est plein de corbeaux. Und tatsächlich wimmelte es dort von Krähen. Mindestens zwei Dutzend pickten emsig an der Uferböschung im Schnee herum. Nur ein paar Schritte weiter fielen meine Augen auf ein sehr trauriges Liebesgedicht. Jemand hatte es an den Pfosten in der Mitte des ehrwürdigen Altenbergsteges geklebt. Die beiden letzten Zeilen lauteten:
 
Dass Du ein Herz und eine Seele
zerbrichst

Die in dicken schwarzen Lettern ausgedruckten Zeilen hingen genau dort, wo man die Aare sehr gut überblicken kann. Aber auch genau dort, wo man ihre Wucht spürt, mit der sie anrauscht und mit der sie, nachdem sie bis ins Oberland hinauf Anlauf genommen hat, ohne vernehmbares Murren und widerstandslos üble Gedanken und allgemein giftige Energien aufnimmt und abführt, weit über das Lorrainebad und die Stauwehr hinaus bis wer weiss wohin.
Oh, es ist schön, wieder in Bern unterwegs zu sein.

Es ist schön durch die Lauben oder auf dem Gitterost über den rauschenden Stadtbach die Kramgasse hinunter und auf die Münsterplattform gehen zu können. Gerade hat dort unter den Schuhen noch der gefrorene Schnee geknirscht und aus dem Lift war ein Kind geeilt und hatte mit ausgestreckten Wollhandschuhen gerufen: «Es schneielet».
Noch während ich überlegte, wie sich dieser freudige Ausruf eventuell übersetzen liesse, machte sich die Versuchung bemerkbar, auf die verschneite Mauer einen Wunsch für das neue Jahr zu schreiben. Stattdessen formte ich einen Schneeball und noch einen. Dreimal zielte ich nur vom Turm des Münsters beobachtet auf einen der kahlen Kastanienbäume, aber nur einmal traf ich den Stamm.
Und im Schweller war wieder mal einer der seltener gewordenen Schwäne zu bewundern. Der Nachwuchs war auch vorhanden. Beträchtlich kleiner und noch grau gefiedert war dieser Jungschwan auf der jetzt braunen Aare schwerer auszumachen. Aber beide steckten wiederholt ihre langen Hälse ins Wasser. Auf einer nahen Kiesbank taten derweil drei Fischreiher und eine Möve so, als wäre ihnen das egal.
Vereinzelt und spärlich sind auch noch Touristen anzutreffen. Weil offensichtlich auch weiter geheiratet wird, konnte eine asiatische Besucherin auf dem Münsterplatz sogar eine stolze Braut fotografieren. Wie der Schwan steckte diese in edlem Weiss, lachte und sagte nach dem zweiten Schnappschuss gutgelaunt, wie es sich für den besonderen Tag gehört: «Das choschtet de öppis!»  «E Füfliber,» hörte ich darauf jemanden sagen. «Nume e Füfliber?» dachte ich. Diese Braut sieht doch aus wie mindestens eine Million Dollar. Und seit Tagen steht auf der Klappe des Briefkastens bei der Post: Nur Liebesbriefe! Ich liess mich aber nicht beirren. Ein schönes Buch hatte ich bekommen und was mich auf Papier erreicht, soll auch im neuen Jahr auf Papier verdankt werden.
Ja, es ist schön, wieder in Bern unterwegs zu sein.

Und was hat Flor Garduño damit zu tun?
Um sich Bilder dieser mexikanischen Fotokünstlerin anzuschauen, ist eigentlich kein Vorwand zu gering.
Aber gegenwärtig wären Bilder von ihr in der Galerie Bischoff im Progr zu sehen. Sogar erstaunlich aktuelle Bilder. Weil mir dann im Netz noch dieser Vogel Klein vor die Augen kam,  erinnerte ich mich erst an die Krähen an der Aare, aber auch noch an eine Krähe, die ich durch die verlassene Laube der Postgasse habe spazieren sehen. Natürlich war es nur eine  Saatkrähe, die eben einen Müllsack aufgepickt hatte, aber ihr aufrechtes Stolzieren war definitiv dasjenige eines sehr kleinen, aber sehr würdigen Monsieurs in einem schwarzen Frack gewesen.