Weiter geht es mit Fernand Léger

von Beat Sterchi 3. Juni 2022

Vor ein paar Tagen, als ich von der Münsterplattform aus wieder mal kontrollieren wollte, ob die Aare noch abwärts fliesst – man weiss ja nie, in diesen aufgewühlten Zeiten – bemerkte ich, dass unsere schöne grüne Aare aus unerklärlichen Gründen einen heftigen Blaustich hatte. Als läge der Schweller am Mittelmeer. Aber unverändert herrlich rauschte sie schäumend durch die Schleusen und weil dieses Rauschen Kraft gibt, blieb ich lange an der Sandsteinbalustrade stehen.

Ich stand sogar lange genug dort, um jetzt mit Sicherheit behaupten zu können, dass die  Reiselustigen aus aller Welt wieder in Scharen anrücken, bloss jene, vor der Pandemie zahlreich und auffällig kompakt auftretenden Gruppen aus Osteuropa scheinen aus verständlichen Gründen wegzubleiben.

Auch an diesem Morgen hatte ich leider wieder den Fehler begangen, viel zu lange und ausführlich die Zeitung zu lesen, anstatt den Tag mit der Lektüre von ein paar Gedichten zu beginnen. Das  jetzt wieder ausgegrabene Schmähgedicht von Joseph Brodsky gegen die Ukraine müsste ja nicht darunter sein. Einfach etwas dem Rauschen der Aare vergleichbar Schönes. Etwas Nahrhaftes für den Tag.

Stattdessen hatte ich mich darüber informiert, was der Abwurf einer Atombombe heute für Folgen hätte. Ich war auch daran erinnert worden, dass es taktische und strategische Nuklearbomben gibt und dass diese militärisch nur von begrenztem Nutzen seien. Hauptsächlich dienten Atombomben nämlich der Einschüchterung und der Erpressung des Gegners.

Auch an diesem Morgen hatte ich leider wieder den Fehler begangen, viel zu lange und ausführlich die Zeitung zu lesen.

Gelernt hatte ich beim Zeitunglesen dann auch noch, dass ich offenbar «vergeschlechtlicht» bin.

Schon wieder ein neues Wort, hatte ich gedacht, sogar eins, das irgendwie unappetitlich und fast so unbefriedigend wie zum Beispiel «vergeistigt» klingt, was man ja auch nicht unbedingt sein möchte. Weil es in dem Artikel eigentlich um die Schwierigkeiten ging, welchen Jugendliche heute ausgesetzt sind, wurde ich auch gezwungen, an meine eigene Jugend zu denken. Einmal mehr fragte ich mich, ob es meine Generation wirklich so viel besser hatte?

Vermutlich schon.

Während unser Aufwachsen noch einem Hindernislauf glich, aus welchem man durch die Bewältigung der Schwierigkeiten im Umgang mit Eltern, mit der Schule und mit dem anderen Geschlecht seine Lehren zog und vielleicht sogar gestärkt und reifer daraus hervorging, ist heute alles anders. Unklar scheint mir vor allem, wo genau es noch Raum für eine wirklich eigenständige oder wirklich individuelle Entwicklung gibt, wenn eine ganze Industrie damit beschäftigt ist, den Jugendlichen möglichst jedes noch so kleine Hindernis und jede noch so kleine Herausforderung aus dem Weg zu räumen.

Ja, wie wird man erwachsen, wenn man es überhaupt je wird?

Und was hat Fernand Léger damit zu tun?

Völlig verblüfft hatte ich auch gelesen, dass es offenbar Menschen, namentlich Politiker und Politikerinnen gibt, die meinen, anstatt jede Art von ressourcenschonender Mobilität im Interesse unserer aller Zukunft zu fördern, müsste man diese besteuern. Ich konnte es kaum glauben. Sinnvoll wäre wohl eher, man würde an den verkehrsreichsten Stellen unserer Städte allen Velofahrerinnen und allen Velofahrern einen Fünfliber überreichen. Oder mindestens eine Rose. Rechnen würde es sich auf alle Fälle.

Dass aber ausgerechnet der beliebte, geliebte und unverwüstliche Fernand Léger, von den herrlichsten Velobildern gemalt hat, ist nichts als ein schöner Zufall.