Möglicherweise geht es Ihnen ähnlich: Irgendwie gibt das neue Jahr schon rein zahlenmässig mehr her. Achtzehn fühlt sich einfach besser an als siebzehn. Siebzehn ist niemand gerne. Aber Achtzehn! Da ist doch auch für ein Jahrhundert schon mal was Fassbares!
Entsprechend gibt es schon literarische Entdeckungen zu vermelden. Zuerst Puschkin. Las endlich mal «Eugen Onegin», und weil ich danach sehen wollte, wie bei Herrn Puschkin Geschichten in Prosa gehen, habe ich in dem Reclambändchen «Der Posthalter» sehr schöne, klare und gerade Geschichten gefunden. In «Der Schneesturm» werden da die Liebenden durch einen Schneesturm am Abhalten der klandestinen Hochzeit gehindert. Russischer geht es wirklich nicht. Aber auch «Der Sargmacher» ist grossartig. Einfach und doch virtuos. Der Sargmacher lädt nämlich alle seine Toten ein und dann kommen sie! Zwar nur im Traum, aber eben doch! Dann bin ich auch noch wieder bei Gogol gelandet, wo alles noch fantastischer und verrückter wird. Nabokov soll gesagt haben, bei Gogol sei das ganze Personal irgendwie geistesgestört. Da ist nicht nur was dran, auch das ist wieder sehr russisch!
Da redet jetzt auch das Volk mit und zwar ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und die Natur wird nicht mehr realistisch eingesetzt, jetzt wird der Nachthimmel beschworen und sogar ein Teich hat viel zu sagen. Und Kleider machen vielleicht Leute, aber in «Der Mantel» ist mindestens ein Kleidungsstück selbst ebenso lebendig wie die Leute. Aber nicht genug: In dem Buch, in dem ich Gogol las, befand sich noch eine Novelle von Boris Lawrenjew, bei der ich wirklich so bald nicht wieder aufhörte zu staunen. Der Titel ist « Der Einundvierzigste» und Lawrenjew erzählt darin vom Russischen Bürgerkrieg, genauer gesagt von einer Scharfschützin. Sie war eine der wenigen Frauen in der Roten Armee. Als sie mit ihrer Abteilung hinter die Fronten gerät, verfehlt sie das 41. Opfer. Es ist ein junger Offizier, der sich mit einem weissen Tuch am Gewehr ergibt und gefangen genommen wird. Er soll dem Stab zum Verhör übergeben werden. Die Scharfschützin wird mit seiner Bewachung betraut. Man befindet sich auf einem tödlichen Treck in der kirgisischen Wüste, gerät an den Aralsee, und schliesslich endet sie mit ihrem Gefangenen allein auf einer Insel, die es heute wohl nicht mehr gibt. Mit einem angeschwemmten Kahn wollte man die Reise verkürzen, gerät aber in einen Sturm, zwei Soldaten ertrinken und die Bewacherin endet mit ihrem Gefangenen in Eis und Schnee. Alles ziemlich russische, aber auch biblische Dimensionen. Natürlich wurde diese heroische Novelle noch zu Sowjetzeiten verfilmt, allerdings am Kaspischen Meer, denn einen Sturm hätte der Aralsee längst mich mehr hergegeben. Sicher ist, bis jetzt hätte meine Lektüre nicht kräftiger ausfallen können und ich bin sicher, es gibt ein gutes Jahr.
Und was hat Alice Bailly damit zu tun?
Man könnte sagen, das Bild «Intermission», das 1922 in Paris oder Genf entstanden ist, sei so etwas wie die zeitgenössische Rückseite von Krieg und Elend, woran es im Russischen Bürgerkrieg wahrlich keinen Mangel gab. Aber eigentlich soll hier nur auf eine grosse Künstlerin verwiesen werden, umso mehr als gerade dieses Bild gegenwärtig im Kunstmuseum Bern im Rahmen der Sammlung Hahnloser gesehen werden kann. Es hängt dort etwas versteckt in einer Ecke, hat man es aber entdeckt, freut man sich über den kecken Blick dieser selbstbewussten jungen Dame in Schwarz.