Der Frühling meldet sich, aber noch sieht man auf der Münsterplattform Gestalten in dicken Mänteln als wären sie gerade am Aufbrechen irgendwohin ins nicht mehr so ewige Eis. Aber während die einen aussehen wie für eine Polarexpedition gerüstet, kommen andere Damen unter ihren geöffneten Jacken schon bauchfrei daher und man wird daran erinnert, dass die Menschen unterschiedlicher eben doch nicht sein könnten und auch daran, dass alle immer alles ganz anders sehen.
Wenn dann aber in einem trottoirbreiten Kinderwagen, dem ich an der Kreuzgasse ausweiche, keine Drillinge, auch keine Zwillinge liegen, sondern zwei Hunde sitzen, dann ist es zum Surrealismus nicht mehr weit. Gut, in den paar wenigen kalten Tagen dieses Winters hatte die mittlerweile aufgekommene Mode, Hunde einzukleiden, manchmal auch schon leicht schräge, sagen wir etwas unwirkliche Dimensionen angenommen, denn während ein Kälteschutz für Hunde mit einem dünnen, glatten Fell durchaus Sinn machen kann, ist irgendwie nicht ganz klar, was das soll mit den Käppchen und Hütchen. Gut, das kann lustig, sein, gibt es doch so viele süsse Hunde.
Aber um definitiv zum Surrealismus zurückzukommen: Ordentlich gestaunt habe ich, als ich anlässlich der Sportwoche in der Wengernalpbahn zum ersten Mal einen Hund mit Sonnenbrille gesehen habe. Nein, nicht in einem Comic oder in einer witzigen Werbung. Der Hund sass artig und real in einem Abteil weiter vorne und trug eine rosarote Plastikbrille, ähnlich wie die kleiner Kinder. Gut möglich, dass es dafür medizinische Gründe gab, aber fortan bin ich diesbezüglich auf alles gefasst.
Berichten muss ich aber hier auch noch, dass ich heute auf der Münsterplattform Zeuge wurde, wie ein frecher Spatz unter meinem Tisch durchflog. Und zwar gerade nachdem ich bemerkt hatte, dass sich die Flagge der Ukraine auf dem Erlacherhof leicht im Wind aufbauschte, während ich im Cafè den süssen Schaum mit dem schönen Herz von meiner Schale löffelte. Schön banal könnte man hier einwenden, aber wir erlernen gerade den Umgang mit künstlicher Intelligenz, deren grenzenlose Möglichkeiten sich uns schwindelerregend schnell eröffnen. Die künstliche Intelligenz könnte hier schon problemlos darauf verweisen, wie absurd und wie surrealistisch es eigentlich ist, dass ausgerechnet Putin die Dekarbonisierung beschleunigt wie ein Weltmeister oder auch darauf, dass in Venedig die Gondeln im Trockenen liegen, nachdem wie doch immer gelesen haben, dass die Stadt schon bald in ihrer Lagune versinke. Aber, um darüber berichten zu können, dass heute auf der Münsterplattform ein Spatz unter meinem Tisch durchgeflogen ist, wird die künstliche Intelligenz noch mindestens ein paar Jahre brauchen. Ich kann es aber heute schon und das ist auch etwas.
Was hat Albert Anker damit zu tun?
Wenn sich Gewissheiten in Luft auflösen und man sich immer wieder fragen muss, wo jetzt eigentlich oben und wo unten ist, hilft es, etwas Handfestes wie ein Bild von Anker anzuschauen. Dass «Mässigkeit» ein schönes Bild ist, bei dem es wenig zu bemäkeln gibt und das einen Bezug zu unabänderlichen Gegebenheiten unserer Existenz herstellt, dürften nur wenige bezweifeln.
Auch habe ich mich immer gewundert, wenn in einem Gespräch abfällige Bemerkungen über Albert Anker fielen. Wenn ich noch verstehen konnte, dass es Leute gibt, die in Ankers bekanntesten Bildern eine Verklärungen des bäuerlichen Alltags zu erkennen meinen, war es mir immer unerklärlich, wie man nicht wenigstens in den Stillleben den ganz grossen Meister erkannte. Ich dachte, wer kein Auge für deren farbliche Ausgewogenheit hat, auch von deren leuchtender Eleganz unberührt bleibt, könnte auch dem schönsten Sonnenuntergang nichts abgewinnen. Umso mehr freute ich mich, dass ein offenbar sehr sehenswerter Film in die Kinos kam. Ärgerlich ist allerdings, dass ich ihn noch nicht sehen konnte. Vielleicht klappt es aber an diesem Wochenende.