Tomaten

von Beat Sterchi 13. Oktober 2023

Die spanische Politik verdarb unserem Autoren zwischenzeitig die Lust, über Politik zu berichten. Tomaten scheinen da als Alternative reizvoller.

Es gibt keinen guten Grund, warum ich in diesem Sommer nicht über Spanien berichtet habe, obschon ich seit Monaten wieder hier lebe. Aber besonders was die Politik betrifft, hatte ich wohl einfach keine Lust. Es haben Wahlen stattgefunden und es ist viel passiert, aber sehr wenig, womit ich mich gerne beschäftigte und auch sehr wenig, von dem ich den Eindruck hatte, das müsste man auch in Bern wissen.

Weil mir aber immer mal wieder bewusst wird, dass ich in zwei Welten lebe, habe ich mir vorgenommen, wieder vermehrt aus der einen Welt in die andere zu berichten.

Rückblickend, gibt es zu den Wahlen, die leider sehr unklare Verhältnisse geschaffen haben, vor allem eins zu sagen: Es ist ein bisschen beschämend für eine politische Kultur, wenn vor den Wahlen nur auf tiefem Niveau über Eitelkeiten gestritten wird und die politische Diskussion um ein derart wichtiges Thema wie – um es kurz zu sagen – den Umgang von Madrid mit Katalonien, erst einsetzt, wenn es darum geht, im Parlament auf Biegen und Brechen eine Mehrheit zu schaffen.

Man schaut da eigentlich nicht gerne zu, aber die Verantwortlichen können offensichtlich gut damit umgehen.

Jetzt ist Monsieur Puigdemont mit seiner Partei plötzlich das Zünglein an der Waage. Wohlgemerkt, dabei handelt es sich um eine Partei, die in Katalonien nur noch die Dritte Kraft ist und bei den nationalen Wahlen gerade mal ein paar Hunderttausend Stimmen erhielt. Die Bösewichte von gestern haben heute also die fortschrittlichen Kräfte des Landes im Würgegriff. Puigdemont und allen andern, die sich während des theatralischen Aufstandes von 2017 hervorgetan und strafbar gemacht haben, sollen im Gegenzug alle Sünden vergeben werden. Man schaut da eigentlich nicht gerne zu, aber die Verantwortlichen können offensichtlich gut damit umgehen. Öffnet man die Zeitung, sieht man immer nur einen lachenden Präsidenten und eine ebenso glückliche und strahlende Vizepräsidentin. Die haben es offensichtlich gut. Dass ein Liter Olivenöl jetzt zweimal so viel kostet wie vor einem Jahr, scheint sie auch nicht wahnsinnig zu berühren.

Natürlich wird das Reiberein, wenn nicht sogar Zoff geben. Um an der Macht zu bleiben, missachten jetzt diejenigen, die dies Katalonien verwehrt haben, selbst die Verfassung. Die Geschichte macht als doch immer wieder gewaltige Purzelbäume.

Habe übrigens gerade die Spiegeleier des Jahres gegessen. Gebraten in Olivenöl. Mit Zucchetti, Tomaten und etwas Knoblauch.

Und warum waren diese Spiegeleier so unglaublich gut? Vor allem wegen der Tomaten.
Weil der Unterschied zwischen einer selbstgezogenen Tomate und einer Tomate, die grün geerntet wurde und dann wer weiss wie lang in Plastik verpackt auf Reisen geht, ist eben doch sehr gross.

Das Vergnügen, reife Tomaten essen zu können, ist mit einem gewissen Aufwand verbunden.

Eine Tomate, reif von der Staude gepflückt, löst im Gaumen eine Geschmacksexplosion aus, die sich eigentlich nicht angemessen beschreiben lässt.  Man kann es natürlich versuchen, kann sogar eine Kanone mit Adjektiven in Position bringen: Süss. Saftig. Samtig. Aromatisch. Chüschtig. Köstlich. Aber auch so, es kommt nicht hin. Was dabei allerdings leicht vergessen geht: Das Vergnügen, reife Tomaten essen zu können, ist mit einem gewissen Aufwand verbunden, den man, wenn man will, auch Arbeit nennen kann. Obwohl: Jemand, der es wissen muss, habe gesagt, was man gerne tue und tun will, sei nicht Arbeit. Ich glaube das war Konfuzius. Auch bei den Tomaten muss wohl jeder für sich abwägen zwischen Aufwand, Preis und Nutzen.

Neulich sagte ein Nachbar: Aber im Supermarkt sind Tomaten so billig. Natürlich erhob ich keinen Einspruch, dachte aber für mich: Gerade hier liegt eben noch ein anderer Hund begraben! Mit eigenen Tomaten lassen sich unreif oder grün gepflückte Tomaten aus der Massenproduktion geschmacklich zwar nicht vergleichen, sie sind aber auch noch viel zu billig. Wie fast alles, was über lange Transportwege ins Gemüseregal kommt, sind sie subventioniert, die Erntearbeiterinnen sind unterbezahlt und um die Kosten tief zu halten, wird alles, was es gibt an Chemie, gnadenlos eingesetzt.

Nichtsdestotrotz gibt es aber die Tomatina. Das Bild ist echt.

Die Tomatina ist ein mittlerweile berühmtes Fest, das jedes Jahr in Buñol, also hier in der Region Valencia, gefeiert wird. Freunde von mir waren in diesem Jahr dabei und berichteten, es sei eigentlich wie eine Schneeballschlacht, bloss bewerfe man sich halt mit Tomaten, die unbeschränkt angekarrt würden. Lastwagen um Lastwagen.

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Ich habe schon von einem ähnlichen Fest des Überflusses gehört, das eher nach meinem Geschmack wäre. In einem Winzerdorf, ich glaube in der Region Aragon, spritzt so lange das Fest dauert, nicht Wasser aus der Röhre des Dorfbrunnens, sondern Rotwein.

Sicher ist, Spanier und Spanierinnen sind nicht nur gut im Fussball, sie sind auch weiterhin unangetastete Weltspitze im Feste feiern.