Ich gebe zu: In meinem Kopf war Rugby lange gleichbedeutend mit Männerkörpern, die grob aufeinanderprallen. Doch ein Blick ins Training des Frauen-Rugby-Clubs Bern «RedWolves» hat mich eines Besseren belehrt. Das Frauenteam feiert dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. An einem warmen Herbstabend treffe ich die drei Spielerinnen Anne, Kim und Joanne auf der grossen Allmend. Zwischen den beiden Torpfosten, die wie ein riesiges «H» in den Himmel ragen, laufen sie lachend auf mich zu, im Schlepptau einen gewaltigen Sack voller Rugbybälle. In einer halben Stunde beginnt das Training.

Anne (23) und Joanne (25) reisen für jedes Training extra aus Solothurn respektive Thun an. In Solothurn gibt es zurzeit noch kein Frauenteam, in Thun wird gerade erst eines aufgebaut. Gemeinsam mit Kim versuchen sie mir zu erklären, auf welchen Positionen sie spielen und wie Rugby überhaupt funktioniert. Ich hatte mich im Vorfeld mit YouTube-Videos und Google-Artikeln vorbereitet, doch so leicht erschliesst sich mir die Struktur des Spiels nicht.

Damit bin ich nicht allein, sagen die drei. «Viele von uns haben das Spiel erst nach ihrem ersten Match wirklich verstanden», erklärt Kim (22). Im Training fehle oft die Zahl, um eine echte Spielsituation nachzustellen. Wie sie Rugby jemandem beschreiben würden, der noch nie davon gehört hat? «Der geilste Sport», sagt Joanne und alle lachen. Kim ergänzt: «Ein Ballsport und Teamsport, der gleichzeitig ein Kampfsport ist. Es ist sehr körperbetont: Du gehst rein, tackelst deine Gegnerinnen – das heisst, du bringst die ballführende Spielerin zu Boden.»

Frauen jeden Alters und jeder Statur willkommen
Wichtig zu wissen sei auch, dass Rugby Frauen mit ganz unterschiedlichen Staturen brauche, sagt Joanne. «Das ist das Tolle am Rugby: Für jede körperliche Voraussetzung gibt es die passende Position.» Grundsätzlich unterscheidet man zwei grosse Gruppen – die Forwards und die Backs. Die einen sind stark und robust, die anderen schnell und wendig. «Man merkt schnell, welche Skills jemand mitbringt und was gebraucht wird – und genauso wichtig ist, was einem selbst zusagt.»
Neue Spielerinnen sind für den Randsport dringend gewünscht. Bei den RedWolves spielen Frauen zwischen 15 und 48 Jahren. Die bisherigen sportlichen Erfahrungen spielen keine Rolle. Es sei viel Unkenntnis da, dass es überhaupt Frauen gibt, die spielen. «Zuerst reagieren die Leute überrascht: Was, du spielst Rugby? Aber wenn du dann davon erzählst, sind alle fasziniert und finden es cool», so Anne. Kim und Joanne nicken. Negative Reaktionen habe bisher keine von ihnen erlebt.
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Teamgeist statt Einzelkämpferinnen
Inzwischen ist es auf dem Feld lauter geworden. Die restlichen Spielerinnen trudeln ein, begrüssen sich mit Umarmungen und viel Lachen, in Sportbekleidung und Stollenschuhen. Den Zahnschutz haben sie griffbereit, er verteilt unter anderem die Krafteinwirkungen bei einem Aufprall und senkt so das Risiko für eine Hirnerschütterung. Mehr braucht es nicht, sagen sie mir, ausser natürlich Teamgeist.

«Allein kommst du im Rugby nirgendwo hin, du bist auf die anderen angewiesen und kämpfst füreinander. Wir haben einen riesigen Zusammenhalt. Das finde ich unglaublich toll», sagt Anne und sprintet zu ihren Teamkameradinnen, die schon mitten im Aufwärmen stecken.

Während die Frauen in kleinen Gruppen Pässe üben und sich gegenseitig zu Boden bringen, wird mir klar: Rugby ist weit mehr als grobes Gerangel. Es ist ein Sport, der Vielfalt und Zusammenhalt lebt – und der in Bern seit 30 Jahren Frauen begeistert. Ich verlasse die Allmend mit der Lust, es selbst auszuprobieren.


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