Reitgenössische Folklore

von David Fürst 11. Juli 2023

Schwingen Nach der gelungenen Premiere im letzten Jahr stand die Reitschule letzten Samstag erneut im Zeichen von Sägemehl und Zwilchhose.

Über 300 Menschen, einige davon mit Edelweisshemden und Schwingerfahrung, versammelten sich letzten Samstag im Innenhof der Reitschule. Für den Anlass wurden 3 Tonnen Sägemehl aufgeschüttet. Mit Paletten wurde eine ca. 4 Meter hohe Tribüne gezimmert. 22 Kämpfer und eine Kämpferin traten in 5 Runden oder korrekter: Schwüngen, gegeneinander an. Auch für das Rahmenprogramm wurde gesorgt, darunter eine Performance, Siebdruck von der Druckerei der Reitschule, Essen vom Gemeinschaftszentrum Medina und Infomaterial zum Stadt-Land-Graben.

Das Reitgenössische Schwingfest versucht, schweizerische Folklore mit der linksautonomen Reitschule zu verbinden. Diese Kombination gelingt den Organisator*innen gut, da der Schwingsport ernst genommen und zelebriert wird. Gleichzeitig wurden im Rahmenprogramm subversive Elemente eingebaut. Eine Performance setze sich mit Schwingen und Männlichkeiten auseinander, was einen starken Kontrast zum Schwingwettkampf darstellte. Eine Drehscheibe mit Fragen rund um den «Stadt-Land-Graben» – zum Beispiel «Für welche Werte steht das Land? Und die Stadt?» – animierte das Publikum, sich mit den Vorurteilen auseinanderzusetzen. Auch die selbstorganisierte Ausbildung im ökologischen Gemüsebau F.A.M.E. (Formation Autogérée en Maraîchage Ecologique), war anwesend.

Um mehr Menschen für die Kämpfe zu begeistern, gab es im Vorfeld des Anlasses ein Training, um das Schwingen kennenzulernen und Hemmungen gegenüber dem Sport abzubauen. Trotz der Bemühungen der Organisatoren mehr TINFA-Personen einzuladen, kämpfte jedoch nur eine Frau mit.

Der Musiker Sebi Schafer begleitete die Kämpfe auf dem Hackbrett und spielte sowohl klassische als auch moderne Stücke. Auch beim Weisswein (1/2l kostet 15.-), Bier, Pommes und den Würsten wagte man keine Experimente.

Die Stimmung war fröhlich und volkstümlich, und viele Zuschauer fieberten eifrig mit, obwohl sie, wie sie sagten, die Feinheiten des Sports nicht kannten. «Ich bin fasziniert davon, wie die Kämpfer*innen mit millimeterkleinen Bewegungen arbeiten und dann ruckartig die Gegner*innen ins Sägemehl werfen», meinte eine Zuschauerin begeistert.

Remo Föhn, der nicht der schwerste oder größte Kämpfer war, gewann den Wettkampf. Der amtierende Champion und Favorit Ishmael Asoka Rajuai konnte sich dieses Jahr den Kranz nicht erkämpfen, möglicherweise auch aufgrund einer Knieverletzung.

Im Schwingsport gibt es keine Gewichtsklassen wie beim Boxen. Das rituelle Abklopfen ist eine versöhnliche Geste nach den Kämpfen. Wenn die Kämpfer und die Kämpferin auf den nächsten Durchgang warten mussten, waren sie alle in derselben Ecke und tauschten Tipps und nette Worte aus.

Peter Bichsel beschrieb das Schwingen in der Aargauer Zeitung 2015 so:

«Schwingen ist ein Ritual, ist ritualisierter Frieden. Auch hier fällt der Frieden nicht immer leicht – selbst Ungerechtigkeit gehört zum Ritual, und kleine Streitigkeiten gehören zur Familie. Der Frieden fällt nicht immer leicht, aber er ist selbstverständlich.»