Hier und Heute

Wasser

von Beat Sterchi 25. Oktober 2024

Hier und Heute Beat Sterchi liefert in seinem neuesten Blogbeitrag einen Überblick über die neuesten, hitzigen aussenpolitischen Debatten Spaniens. Und erklärt, weshalb er froh ist, diese aus einer gewissen Distanz heraus betrachten zu können.

Vor ein paar Tagen habe ich nach Wochen wieder einmal die Tagesschau des spanischen Fernsehens eingeschaltet. Die ging los wie die Feuerwehr und schon nach ein paar Minuten war ich froh, dass ich nicht Spanier bin. Vielleicht ist das überhaupt einer der grossen Vorteile, die man geniesst, wenn man in einem anderen Land lebt. Man schaut zu, versucht zu verstehen, ist oft auch von Entscheidungen der Regierung betroffen, aber so nahe wie zuhause geht es einem doch nicht. Man kann sympathisieren oder in Gedanken opponieren, aber zuständig oder sogar mitverantwortlich fühlt man sich nie.

Schon nach ein paar Minuten war ich froh, dass ich nicht Spanier bin.

So berühren mich die heftigen diplomatischen Krisen, die Spanien gerade durchrütteln, nur sehr beschränkt. Für die Spanier und die Spanierinnen aber sind Länder wie Argentinien, Venezuela und Mexiko sogenannte Bruderländer, es sind Länder mit welchen man eine lange und schwierige Geschichte, dazu auch die Sprache und wesentliche Aspekte der Kultur teilt. Es sind auch Länder, mit denen intensiv Handel getrieben wird und es sind Länder, in welchen oft Verwandte und Freunde leben. Entsprechend ist Lateinamerika sehr präsent und auch mindestens so nah wie ein Nachbarland.

Natürlich haben der argentinische Präsident und Pedro Sanchez das Heu nicht auf der gleichen Bühne, wie könnten sie auch, und natürlich ist, seit sich der mutmassliche Gewinner der Wahlen in Venezuela in Spanien in Sicherheit brachte, auch da das Feuer im Dach. Aber jetzt noch Mexiko. Weil Claudia Sheinbaum, die neue Präsidentin, auf einer Forderung ihres Vorgängers beharrt, rotiert die spanische Diplomatie definitiv im roten Bereich. Nichts weniger als eine Entschuldigung für die während der Kolonisation begangenen Gräueltaten der spanischen Eroberer hatte Mexiko eingefordert und weil diese niemand liefern wollte, wurde jetzt der König nicht zur Feier der neuen Präsidentschaft eingeladen.

Wie zu erwarten war, finden das die einen richtig, andere gar nicht, aber da ist sie nun wieder, wunderbar neu entfacht lodert die ewige Diskussion: Wieviel Schuld hat sich das Spanische Kolonialreich in «Las Americas» aufgeladen? Und wie schuldig sollen sich die Spanier und die Spanierinnen von heute fühlen? Sicher, in der Schweiz hat man aus jener Zeit auch noch mehr als genug zu kauen und zu verdauen und doch geht es um andere Dimensionen.

Viel Fantasie braucht es nicht, um sich vorstellen zu können, wie das wäre, wenn die Boote aus Afrika auf den kanarischen Inseln, sondern beispielsweise die Petersinsel im Bielersee anpeilten.

Auch was die Gegenwart betrifft, fühle ich mich doch lieber mitverantwortlich für die Asylpolitik und für den Umgang mit Migranten und Migrantinnen in der Schweiz, als für die diesbezügliche Politik Spaniens. Von entscheidender Bedeutung ist hier sicher die Tatsache, dass die Schweiz ein Binnenland ist. Nur deshalb gibt es relativ wenig Tote an unseren Grenzen, aber viel Fantasie braucht es nicht, um sich vorstellen zu können, wie das wäre, wenn die Boote aus Afrika nicht «El hierro» auf den kanarischen Inseln, sondern beispielsweise die Petersinsel im Bielersee anpeilten. Auch da bin ich froh, dass ich nicht Spanier bin, denn die ungezählten Tragödien, die vielen ungelösten Probleme gehen mir auch so schon schmerzhaft nahe.

Und ja, das Wasser.

Weil ich an dieser Stelle wiederholt über die gnadenlose Dürre des vergangenen Sommers berichtet habe, auch noch dies: Endlich hat es geregnet. Nicht genug zwar, aber es war wunderbar, zu sehen, wie am Wegrand plötzlich überall gelbe und orange Blumen blühten, als wollten sie den Frühling nachholen. In meinem Gemüsegarten kamen total verspätet noch Gladiolen zum Vorschein und Tomaten, Bohnen und besonders die Peperoni, legten einen Wachstumsschub an den Tag, dass ich staunte.

Ganz besonders schön aber ist es, das Wasser wieder rauschen zu hören.

Wasser ist eben doch das Wertvollste, was es gibt. Das habe ich in diesem Sommer gelernt. Das wissen offensichtlich auch die Vögel, von denen ich mehr als einen in einer Pfütze rumschwadern sah.

Ganz besonders schön aber ist es, das Wasser wieder rauschen zu hören. Zum Beispiel am Dorfbrunnen, wo man vor noch nicht so langer Zeit die Krüge füllte und die Tiere tränkte und der während Monaten völlig stumm und trocken war.

Plötzlich ist wieder alles grün. (Foto: Beat Sterchi)

Hagel

von Beat Sterchi 27. August 2024

Hier und Heute Unser Kolumnist spricht mit seinem spanischen Nachbarn über Verschwörungstheorien. Warum etwa hagelt es auf grossen Parkplätzen von Autofabriken nie? Der Nachbar liefert Antworten.

Als ich heute in meinem spanischen Gemüsegarten in meinem Notizbuch blätterte, kam ein Nachbar vorbei und fragte, ob ich auf Wasser warten würde. Ich hatte mich auf eine Mauer gesetzt und in meinen Aufzeichnungen nach einem Bernbezug für diesen Blog gesucht. Weil mein Nachbar stehen geblieben war, stand ich auf, steckte mein Notizbuch in die Hosentasche und sagte, nein, ich wisse wohl, dass durch den Bewässerungskanal kein Tropfen fliessen werde. Die Wasserversorgung des Dorfes muss inzwischen mit Tankwagen gewährleistet werden, weil die eigene Quelle nicht mehr genug hergibt. Aber, sagte ich dann, laut Wetterbericht könnte es heute Regen geben. Mindestens ein Millimeter, ist angekündigt. Also nichts. Nada. Ein paar Tropfen auf den heissen Stein. Mein Nachbar lachte. Du weisst ja, sagte er, dass sie diese Millimeter verdammt klein gemacht haben.

Weil ich hoffnungsvoll bleiben wollte, sagte ich: Aber für das Wochenende sind Gewitter angesagt.

Wieder lachte er. Das kennen wir. Entweder nichts oder dann eine Sintflut, die die Erde wegschwemmt und dazu noch Hagel wie eine Tracht Prügel. Womöglich noch mit Hagelkörnern so gross wie Hühnereier.

Aus Marokko und aus Algerien, dort werde billiger produziert. Deshalb würden besondere Flugzeuge in unserer Gegend dafür sorgen, dass es nicht mehr regne.

Dass der Hagel hier Fenster und Windschutzscheiben zerschlagen, Karosserien verbeulen, sogar Menschen verletzen kann, das wusste ich aus eigener Erfahrung. Ich weiss auch, wie die Hagelkörner herumspicken können, kreuz und quer, als wären es Funken, aber es sind kaltglatte Steine aus Eis. Überhaupt nicht lustig, schon gar nicht für einen Gärtner. Es war auch dieser Nachbar gewesen, der mir einmal erzählt hatte, wie sein Vater, als dies noch erlaubt gewesen war, auf gefährliche Wolken Raketen abgefeuert hatte, um das vor der Ernte stehende Getreide nach Möglichkeit vor solchen Hagelstürmen zu schützen.

Als ich ihn jetzt fragte, was er denn von den kursierenden Verschwörungstheorien halte, wollte er davon nichts wissen. Davon, dass hinter der Dürre grosse Interessen stehen würden, halte er nichts. Es gibt aber tatsächlich Leute, die glauben, «die da oben», die in Spanien «ellos» genannt werden, die wollten gar nicht, dass es regne. Die wollten alle nur überall die Sonnenkollektoren ihrer Solaranlagen hinbauen. Die Landwirtschaft, die hier sowieso nicht rentabel sei, solle verschwinden und was wir zum Essen bräuchten, das könne importiert werden. Aus Marokko und aus Algerien, dort werde billiger produziert. Deshalb würden besondere Flugzeuge in unserer Gegend dafür sorgen, dass es nicht mehr regne.

Dass der Hagel hier Fenster und Windschutzscheiben zerschlagen, Karosserien verbeulen, sogar Menschen verletzen kann, das wusste ich aus eigener Erfahrung.

Nein, für solche Theorien habe er kein Verständnis, sagte mein Nachbar. Aber etwas kann ich dir sagen, fügte er dann hinzu, den ganz grossen Wasserhahn hat niemand in der Hand, etwas anderes sei folgende Tatsache und das könne ich ruhig aufschreiben. Dort in deine Bibel, sagte er mit einem Blick auf die Hosentasche, in der mein Notizbuch steckte.

Auf den riesigen Parkplätzen, sei es in Barcelona, Oviedo, Valencia oder Zaragozza, dort, wo sich die Wartehalden der Autofabriken von Opel, Seat, Ford oder Citroën mit Tausenden für den Verkauf bereit gestellten neuen Wagen befänden, dort habe es noch nie, nie gehagelt und dort werde es auch nie, nie hageln.

Da könne ich sicher sein.

Käfer

von Beat Sterchi 25. Juli 2024

Hier und Heute Unser Kolumnist freut sich für die spanische Fussballmannschaft und hofft, dass der Kartoffelkäfer nicht seine sowieso schon kleine Ernte auffrisst.

Gegensätze und Widersprüche überall. Manchmal sind sie kaum auszuhalten. Aber alles hat mit allem zu tun. Das ist es auch, was meinen spanischen Gemüsegarten mit Bern verbindet. Wegen der hier anhaltenden Dürre träume ich oft vom Rauschen der Aare. Und ich lese, dass in der Schweiz die Kartoffeln wegen der Nässe zu verfaulen drohen, während sie hier nicht wie üblich pfundschwer werden, sogar eher klein bleiben.

Wegen der hier anhaltenden Dürre träume ich oft vom Rauschen der Aare.

Wäre ich aber selbst eine Kartoffel, würde ich bei aller Trockenheit dennoch am liebsten in meinem eigenen Gemüsegarten hausen. Hier ist die Luft so rein und fein, es gibt keinen Lärm, keine nennenswerte Strasse weit und breit. Nur ab und zu ein schlecht erzogener, freilaufender Hund. Aber Hausrotschwanz und Amsel schauen vorbei und auch bei der grossen Hitze hätte ich ein kühles Beet im Schatten hoher Pappeln, wo die Eichhörnchen über ihre Astbrücken rasen und besonders morgens auf allen Etagen wilde Verfolgungsrennen veranstalten oder sonst herumturnen wie Akrobaten.

Wäre ich eine Kartoffel in meinem eigenen Garten, würde mir auch kein Gift zugemutet werden, was allerdings auch dazu führen kann, dass sich der Kartoffelkäfer breit macht. Er selbst ist ja eigentlich ein hübscher Kerl von einem Käfer, aber seine Larven sind eher «gruusig». Das behauptete zumindest meine Tochter, die sich anerboten hatte, beim Einsammeln dieser Schädlinge zu helfen. Aber als sie die roten, dicken Larven gesehen hatte, wollte sie diese nicht anfassen und zog ihr Angebot zurück.

Um das wenige Wasser zum Bewässern, das die Quelle noch hergibt, wird mittlerweile manchmal gestritten.

Weil ich aber meinen kleinen Beitrag zur Welternährung weiter leisten will, habe ich nicht nur immer wieder alle Käfer und alle Larven, die ich sah, eingesammelt, ich habe auch Kaffeesatz getrocknet und das Pulver über die Blätter der Kartoffelstauden gestreut. Wegen des blöden Käfers gab es leider auch weniger Blumen. Bekanntlich sind Kartoffelblumen so schön, dass sie zum Beispiel in Mexiko verehrt werden. Schaut man diese wunderbaren Blüten genau an, muss man wirklich an die Bilder von Gioria O’Keeffe denken.

Um das wenige Wasser zum Bewässern, das die Quelle noch hergibt, wird mittlerweile manchmal gestritten. Nicht heftig, aber doch so, dass man sich bei der Redensart «jemandem das Wasser abgraben» wieder auf ihre unsprünglich Bedeutung besinnt.

Korrupt sind sowieso immer nur die andern.

Was die grosse spanische Welt jenseits meines kleinen Gartens betrifft, gilt es Hitzewellen, extreme Waldbrandgefahr und einen anhaltenden und langweiligen Stillstand in der Politik zu vermelden. Anstatt sich um die Probleme des Landes zu kümmern, verheddern sich in Madrid alle in gegenseitigen Beschuldigungen. Eigentlich eher langweilig zu verfolgen, wer welchen Skandal aufgedeckt hat. Korrupt sind sowieso immer nur die andern.

Aber landesweit freut man sich über die jungen, sympathischen Fussballer, die Europameister wurden und die dem Land einen Spiegel vorhalten. Noch vor wenigen Jahren kam es vor, dass mich Freunde bei einem Spiel am Fernsehen gegen die Schweiz fragten, ob der und der Spieler wirklich Schweizer sei. Spätestens jetzt werden Spanier und Spanierinnen gezwungen, wahrzunehmen, dass sie auch ein Einwanderungsland sind und dass es gilt, den in der Öffentlichkeit kaum sichtbaren Teilen der Gesellschaft jene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihnen gebührt und die ihnen auch zusteht. Und zwar nicht nur dann, wenn sie für Spanien schöne Tore schiessen

Haifische

von Beat Sterchi 29. Juni 2024

Hier und Heute Sind Haifische die Geheimwaffe der Zukunft gegen den Massentourismus?

Hier in unserem spanischen Dorf bleibt das Wasser weiter knapp. Die Bewässerung der Gemüsegärten ist aufwendig und fordert viel Geduld. Dürre herrscht. Weil ich deshalb das Wasser, das ich in der Küche verbrauche, nach Möglichkeit nicht einfach durch den Ablauf entwischen lassen wollte, weiss ich jetzt, wieviel das ist. Der Putzeimer neben dem Spültrog füllt sich oft mehrmals pro Tag. Das Wasser, mit dem der Salat gewaschen wurde, kommt jetzt in die weissen Hängegeranien. So ist die Welt: Dort überschwemmt anhaltender Regen Felder und Dörfer, hier geht der kalt gewordene Tee in den Basilikum.

Und leider ist weiterhin Krieg.

Aber dessen ungeachtet zeichnet sich in Spanien ein neuer Tourismusrekord ab. 100 Millionen Menschen werden in diesem Jahr erwartet. Wenn man sich das vorstellt: Hundert Millionen. Mehr als zweimal die Bevölkerung des Landes. Dagegen erscheinen die touristischen Auswüchse in der Berner Altstadt geradezu harmlos. Besonders Barcelona ächzt und wird möglicherweise bald die erste Stadt sein, die Airbnb einschränkt, wenn nicht verbietet.

Vielerorts wird auch gegen die im angeheizten Wohnungsmarkt erbarmungslos steigenden Mieten demonstriert. Auf der ach so schicken Insel Ibiza müssen sich viele der Männer und Frauen, die im Tourismussektor arbeiten, mit einem Wohnwagen auf einem Parkplatz begnügen. Das sind keine schöne Blüten: Die einen bezahlen mehrere hundert Euros, um in eine Disco zu gelangen und die Leute, von denen sie dort bedient werden, können sich keine Bleibe mehr leisten.

Auch auf den kanarischen Inseln stösst das Geschäft mit der Sonne und dem Meer an seine Grenzen. Die einheimischen beginnen sich zu wehren. Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass neulich in kanarischen Gewässern Haie die Strände verunsichert haben sollen. Vielleicht ist das Sichten von Haifischen die Geheimwaffe der Zukunft gegen den Massentourismus. Würde mich nicht wundern, wenn bald auch vor Barcelona ein Hai auftaucht. Oder vielleicht Schwärme von gnadenlos zustechenden Mücken. Oder Horden von Wildschweinen stossen bis ins Zentrum vor.

Wenn ich aber daran denke, was sich sonst im Land, besonders in der Politik so tut, kann ich nur sagen, wie gut gibt es zur Ablenkung die Eurocopa. Da glänzen die Spanier.

Und bei den ersten beiden Spielen der Schweiz glänzte die spanische Kommentatorin. War das vielleicht ein Vergnügen, ihr zuzuhören. Fussballspiele kann man in der Schweiz ja schon seit Jahren nur auf RTS anschauen, aber hier. Es war ein Fest. Es war reine Poesie. Natürlich auch, weil die Schweiz unerwartet starke Auftritte hatte, aber diese Kommentatorin zeigte richtige Begeisterungsfähigkeit und wenn es heiss wurde vor dem Tor, war sie sich nicht zu schade, alles was zu sehen war, auch noch eloquent, in ihrer musikalischen Sprache genaustens zu beschreiben.

Gut mit den Namen von Schär und Aebischer hatte sie etwas Mühe, weil das im Spanischen keine geläufigen Lautfolgen sind. Vielleicht war sie auch froh, dass sie mit ihrem Stil nicht ein Spiel von Georgien kommentierte. Weil bei einer schnellen Passfolge von Mekvabishvili zu Kavaratskhelia und dann zu Chakvetadze oder zu Gugeshashvili wäre auch sie an ihre Grenzen gestossen.

Gute Radiokommentatoren konnten das früher aber auch. In Vorfernsehzeiten waren sie so gut, dass man das Spiel sehen konnte wie einen Film. Das geht natürlich nicht ohne Emotionen und diesbezüglich sind  die Spanier und die Spanierinnen sowieso eher unschlagbar.

Ich hatte übrigens auch vergessen, wie attraktiv so ein Fussballspiel sein kann. Wenn das so hin und her geht, wenn Angriff auf Angriff und Gegenangriff auf Gegenangriff folgt wie die Flutwellen am Meer und man sich kaum erklären kann, wo die Jungs diese Energie hernehmen und besonders, wenn sie sich tatsächlich bis in den Torraum hinein freilaufen und ihren Angriff mit einer meisterlichen Kurzflanke und einem ebenso bezaubernden Kopfballtor abschliessen, dann soll jemand kommen und diesem Spiel seinen Charme absprechen.

Schönes Wetter

von Beat Sterchi 30. Mai 2024

Hier und Heute Anders als in Bern, ist es in Spanien immer noch trocken. Unser Kolumnist macht sich bei der Arbeit im Gemüsegarten Gedanken zum Wetter, dem Weltgeschehen und den Herausforderungen der Zukunft.

In meinem Gemüsegarten in Spanien ist der Mist geführt und  inzwischen hat es tatsächlich geregnet, wenn leider auch noch lange nicht genug. Gleichzeitig hat die Regierung in Madrid einen kühnen Entscheid gefällt. Zusammen mit Irland und Norwegen hat sie Palästina offiziell als Staat anerkannt. Ob Präsident Sanchez und seine Leute dabei klug und umsichtig handeln, kann ich nicht wirklich beurteilen, aber aufgefallen ist mir sehr wohl, dass sich Spanien für europäische Verhältnisse  sehr israelkritisch verhält.

Erklären kann ich mir diese Haltung nur damit, dass der zweite Weltkrieg und dessen Aufarbeitung das Land Spanien relativ unberührt gelassen haben. Hier hat nie jemand behauptet, Auschwitz liege auch in Spanien. Während ich bei Israel immer die Shoa mitdenken muss –  ein Impuls, der eigentlich an Grauenhaftigkeit jedes Denken überfordert – scheint diese Dimension hier nicht zu existieren.

Auch schlechtes Wetter kann schön sein

Ob man sich nicht daran erinnert oder einfach wenig weiss, bleibe dahingestellt. Gerade jüngere Politikerinnen äussern sich aber oft etwas leichtfüssig zur Gegenwart in Nahost. Gerade so, als hätte der Konflikt mit dem Krieg in Gaza begonnen. Dass er dort auch nicht enden wird, scheint mittlerweile leider absehbar.

Noch überhaupt nicht absehbar ist dagegen, ob ich meinen Gemüsegarten während des Sommers bewässern kann und ob die häusliche Wasserversorgung gewährleistet sein wird. Das mag widersprüchlich klingen, aber verdanken tun wir diese Ungewissheit dem berühmten schönen Wetter. Bekanntlich lernt man schnell, wenn man direkt betroffen ist.

Schönes Wetter ist nicht nur schön.
Auch schlechtes Wetter kann schön sein.
Das habe ich gelernt.
Ohne Regen keine grüne Wiese.

Man kann nicht alles kontrollieren

Mittlerweile ist mir fast unverständlich, wie ein Reisebüro auf grossen Plakaten die vielen Regentage der Schweiz anprangern konnte, um damit für Ferien in sonnigeren Gegenden zu werben. Schlechtes Wetter ist auch gutes Wetter. Regen ist ein Segen. Ganz besonders dann, wenn er üppig und stetig vom Himmel fällt, um langsam, aber tief einzudringen in den Boden.

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Ganz schwierig zu ertragen, sind dagegen die vielen angekündigten Regentage, die sich auf dem Wetterportal immer nach hinten verschieben, um sich dort mitsamt der auf Null geschrumpften Niederschlagsmenge wieder aufzulösen. Einmal hat es auch ein paar Tage lang ein bisschen genieselt, von der Dachkante fielen auch immer wieder ein paar fette Tropfen, aber als ein Nachbar fragte, worüber ich mich beklagte, jetzt habe es doch geregnet, nahm ich die Hacke und zeigte es ihm. Die Oberfläche war nass, zwei Zentimeter darunter: Heller, trockener Härd.

Die romantische Vorstellung, durch Gartenarbeit mit den Zyklen der Natur in Kontakt zu kommen, enthält denn auch bittere Lektionen: Man kann nicht alles kontrollieren. Bis jetzt gibt der Himmel her, was er will und keinen Tropfen mehr. Aber die kleine Lektion für mich als Gärtner, ist gleichzeitig eine der Herausforderungen der Zukunft.

Schöner Mist

von Beat Sterchi 6. Mai 2024

Hier und Heute Mit dem besten Mist ist nichts mehr aus dem Boden zu holen, wenn es nicht regnet. Trotzdem möchte unser Kolumnist, der aus seinem Garten in Spanien berichtet, seinen Optimismus noch nicht aufgeben.

Ich bin zurück in Spanien in meinem Freiluftfitnesscenter. Die Sonne scheint, wie es sich für Spanien gehört. Aber der kalte Nordwind braust. Sonst würde ich heftiger schwitzen.

Ich führe Mist. Ich schaffe Fuhre um Fuhre Schafmist in meinen Gemüsegarten. Juan, ein Bauer aus dem Dorf, hat ihn mir auf einem Anhänger bereitgestellt. Ich karre den Mist über einen eigentlich für Maultiere gedachten Pfad und während ich mich abmühe, ergebe ich mich der schönen Idee, dass ich mich wieder einfüge in jenen Kreislauf der Natur, der die Welt bei Atem hält.

Der Mist ist schwer.

Mist ist Mist.

In trockenem Zustand ist der Mist körnig und kann schön aussehen, wird er aber nass, sieht er aus, wie das, was er ist. Dann stinkt er auch so.

Trotzdem: Ohne Mist geht nichts. Er kann zwar durch Industrieprodukte ersetzt werden, allerdings, wie es sich zunehmend zeigt, nicht ohne Nebeneffekte. Auch deshalb halte ich mich fest an meinem wertvollen Schafmist.

Mist ist Mist.

Kreislauf ist Kreislauf.

Mist wird zwar gemieden und verachtet, wie wertvoll er in Wirklichkeit aber ist, wusste man natürlich auch schon im alten China. Es soll dort zum guten Anstand gehört haben, dass, wer auswärts zum Essen geladen war, auch seinen oder ihren Mist dort zurück liess. Es hiess, sagte mir einmal eine chinesische Ärztin: Nix hier Essen aber scheissen zuhause.

Juan, der Bauer aus dem Dorf, der mir den Mist bereitgestellt hat, hat übrigens im Herbst wie immer Getreide gesät. Ich glaube vor allem Roggen und Hafer. Es sieht aber nicht so aus, als würde etwas daraus werden. Es zeigen sich nur ein paar wenige Stoppeln in den ausgetrockneten Äckern. Wer weiss, wo er inzwischen das Wasser für seine Tiere herholt. Das dafür vorgesehene Reservoir ist längst leer.

Ganz Spanien schmachtet unter Trockenheit. Vielerorts herrscht der Dürre-Notstand.

Ja, es stimmt, was die Medien melden: Ganz Spanien schmachtet unter Trockenheit. Vielerorts herrscht der Dürre-Notstand und als wir von Frankreich über die spanische Grenze nach Katalonien fuhren, erwartete uns dort nicht wie in den vergangenen Jahren die Propaganda der Unabhängigkeitsbewegung, sondern auf einer haushohen, riesigen Stellwand das englische Wort DROUGHT.

Und zwar mit Ausrufezeichen.

Ein Nachbar findet deshalb, meine Mühe mit dem Mist sei sinnlos. Du weisst ja gar nicht, ob du deinen Gemüsegarten bewässern können wirst. Die Quelle gibt ja kaum mehr etwas her.

Aber klar, sagt er dann, ihr Protestanten, ihr seid viel weniger Pessimisten als wir Mittelmeerkatholiken.

Weil mir nichts Klügeres einfiel, sagte ich dann, das könne schon sein, denn war es nicht Luther, der behauptet hatte, wenn er wüsste, dass am nächsten Tag die Welt unterginge, würde er trotzdem heute einen Baum pflanzen. Das hat entweder mit Dummheit oder mit Glauben, vielleicht aber auch mit Weisheit zu tun.

Ihr Protestanten, ihr seid viel weniger Pessimisten als wir Mittelmeerkatholiken.

Das Geschenk

von Beat Sterchi 25. März 2024

Hier und Heute Unser Kolumnist geht im Altenberg spazieren und macht sich dabei Gedanken über Osterhasen und Geschenke der Gegenwart.

Wassermangel, Trockenheit, Dürre. Vielerorts auf der Welt dreht sich alles nur darum. Ich aber stehe auf den Holzplanken des Altenbergsteges und erfreue mich am kräftigen, stetigen Fluss der ankommenden Aare. Olivengrün und breit fliesst sie weiter und während ich ihr gute Reise wünsche, zerrt am rechten Ufer ein Weidling an seiner Kette.

Auf einer Steintreppe am andern Ufer ist ein eng umschlungenes Paar am Schmusen und nachdem ich einem ganz grossen Mann mit einem ganz kleinen Hund begegnet bin, kommt jetzt eine ganz kleine Frau mit einem ganz grossen, schwarzen Hund auf mich zu. Es ist ein Bär von einem Hund. Lustig sieht er aus mit seinen verdeckten Augen und dem langen Bart unter seiner Schnauze.

Und wieder der Weidling. Läge er nicht  dort, würde ich ihn vermissen. Zweifellos eine banale Feststellung. Und doch: Es geht wieder darum, hier zu sein. Und zwar jetzt.
Hier und jetzt gilt es einmal mehr das Geschenk der Gegenwart zu erkennen und anzunehmen.

Im Gegensatz zu einem dort drüben lieblos hingesprayten Slogan verlangt der Weidling keine Beachtung. Eine der klassischen Mauerinschriften, die mich seit ewig begleitet, lautet:  If you are suffering from information overload, this is merely another installement. Der Weidling stellt jedoch keine  Ansprüche. Er belastet mich nicht. Er passt einfach. Und elegant ist er auch.

Dem Helm zum Trotz erkannte ich sie sofort und dachte, die will mir guten Tag sagen, dabei hatte sie mich gar nicht bemerkt.

Aber dann steht vorne im Altenberg, schon fast bei der Untertorbrücke in einem Schaufenster von Huber, Kuhn und Ringli dieser Osterhase.

Aber klar. Ostern steht bevor. Das Herzstück biblischer Geschichte. Man und frau kann die kirchlichen Feiertage zwar auch einfach als Freitage geniessen, aber gerade gibt es wieder mal gute Gründe, sich an das folgenreiche Drama zu erinnern, das sich vor 2000 Jahren in Jerusalem ereignete. Der Anfang unserer Zeitrechnung und vielleicht die Tragödie der westlichen Welt.

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Da hielt doch ein Gefangener, anstatt sich zu wehren, tatsächlich einfach seine andere Wange hin. Genauso, wie er es seinen Freunden und seinen Freundinnen geraten hatte. Eine seither sehr umstrittene Methode. Lächerlich, sagen die einen. So lassen sich keine Konflikte lösen. Weniger lächerlich ist allerdings die Tatsache, dass die angewendeten Methoden statt zu helfen, alles nur immer noch schlimmer machen.
Beim Aufstieg über den Fussweg zur Lerberstrasse komme ich dann ausser Atem und gleich sehe ich auch, wie am Aargauerstalden eine Velofahrerin abbiegt. Dem Helm zum Trotz erkannte ich sie sofort und dachte, die will mir guten Tag sagen, dabei hatte sie mich gar nicht bemerkt. Sie fuhr nahe an den Zaun, wo sie ohne abzusteigen ihr Handy hervor holte und etwas fotografierte.

Jetzt sah ich es auch: Über der Uni ging gerade die Sonne unter. Ein Spektakel, in welchem sämtliche Türme und sämtliche Kuppeln der Stadt in Gold getaucht wurden.
Meine Bekannte machte für ein weiteres Bild auf dem Display etwas mit Daumen und Zeigefinger und bevor ich sie, noch immer ausser Atem, anrufen konnte, steckte sie das Ding wieder ein und weg war sie.

Deshalb heisst die Gegenwart bekanntlich oft auch gleich so: Le présent, the present, das Präsent.

Aber sicher ist, auch sie hat dort eben das Geschenk der Gegenwart entgegengenommen, denn viel mehr haben wir wirklich nicht. Die Vergangenheit birgt viel Versäumtes, Zurückdenken kann sehr weh tun und die Zukunft verspricht gerade auch nicht viel Gutes.

Bleibt nur das Geschenk der Gegenwart. Deshalb heisst die Gegenwart bekanntlich oft auch gleich so: Le présent, the present, das Präsent. Danke für das Geschenk der Gegenwart. Allen gewünscht werden möglichst friedliche Ostertage.

Jammertal

von Beat Sterchi 16. Februar 2024

Hier und Heute Auf der Münsterplattform versucht unser Autor, der grossen weiten Welt zu entkommen und trifft auf eine perfekt choreografierte Tourist*innen-Gruppe aus China.

Auf der Münsterplattform sieht man es: Das Leben geht weiter. An den frisch zurückgeschnittenen Kastanienbäumen zeigen sich die ersten Knospen und die Aare fliesst grün und munter ins neue Jahr hinein. Ja, eigentlich läuft alles gut. Vor ein paar Wochen ist mir unten in der Matte noch ein Sürmel über den Weg gelaufen, aber seither begegnete ich keinem Menschen, der auf meine Frage nach seinem Wohlbefinden nicht gesagt hätte: Danke gut. Mir geht es sehr gut. Oder wenigstens: Ig cha nid chlage.

Ein wenig anders sieht es aus, wenn man sich der grossen weiten Welt zuwendet. Es sind ja nicht nur die so hässlichen Kriege, mit denen man leben muss, obschon man im Alltag wenig davon spürt. Fühlt man sich auch nur zu einer beschränkten Anteilnahme am Weltgeschehen verpflichtet, wird schnell klar, dass man eigentlich ein recht schweres Bürdeli durch ein Jammertal schleppt. Wie lebt man im Bewusstsein, dass sich Menschen gerade jetzt gegenseitig niedermetzeln? An so vielen Orten auf der Flucht sind oder sich sonst den fürchterlichsten Widrigkeiten ausgesetzt sehen? Ja, wie lebt man mit dem Elend der andern?

Kein Wunder, dass man dann etwas neidisch an diejenigen denkt, die regelmässig fasten oder wenigstens zum Jahresanfang während einer gewissen Zeit keinen Wein trinken oder kein Fleisch essen. Wie schön wäre es doch, einmal einen Monat lang auf jeglichen Medienkonsum zu verzichten? Einmal einfach nichts wissen und nichts ahnen von den Untaten der Mächtigen. No news please, ich faste. Welch ein angenehmer Traum.

Gerade als Bewohner der Innenstadt könnte man aber der grossen weiten Welt auch so nicht entkommen. Denn in der Form von Tourismus bricht sie immer wuchtiger über Bern herein und ja, auch der Massentourismus ist ein Jammertal. Manchmal könnte man meinen, man sei in Venedig. Man hat auch immer wieder Grund, sich zu wundern, mit welcher gnadenlosen Zielstrebigkeit sich ganze Reisegruppen hinter ihren Smartphones her beispielsweise auf den Rathausplatz stürzen, um dort mit blinder Entschlossenheit die arme St. Peter-und-Paul-Kirche ins Visier zu nehmen als wäre sie der Petersdom.

No news please, ich faste.

Logisch, sagte neulich ein Freund, wenn du aus einer chinesischen Millionenstadt kommst, flippst du aus in Bern.  Aber die Knipserei vor dem Einsteinhaus und ganz besonders vor dem Zeitglockenturm? Was soll das? Gut, Selfies müssen natürlich auch sein, aber trotzdem: So ein Leerlauf. Die Welt ist längst dokumentiert und in guter Qualität vieldimensional abgebildet. All diese Sehenswürdigkeiten, die hier so schnell und oberflächlich täglich tausend Mal abgeblitzt werden, liessen sich auf denselben Geräten mit wenigen Klicks auf die Bildschirme zaubern.

Und vor ein paar Tagen stürmte eine sehr kompakte Reisegruppe mit solcher Vehemenz über die Münsterplattform, dass ich glaubte, einer ultramodernen Ballettaufführung beizuwohnen. Sich etwas angeschaut hat niemand, fotografiert hat jede und jeder. Alle richteten ihre Handys buchstäblich auf alles, sogar auf den Himmel, wo gerade mal kein verirrter Milan, nur ein paar Wolken zu sehen waren.

Die Welt ist längst dokumentiert und in guter Qualität vieldimensional abgebildet.

Auf der Suche nach dem perfekten Sichtwinkel verrenkten und verbogen sie sich, als wären sie ein Turnverein und als vom Münster her die Glocken ertönten, wandten sich sicher zwanzig, wenn nicht dreissig, ausgestreckte Arme mit den Handys sofort dem Turm zu. Und zwar alles so koordiniert, als wäre der ganze Auftritt auf einen dramatischen Schluss hin professionell choreografiert worden.

Nur eine vor sich hin lächelnde Dame mit einer Pelzmütze auf dem Kopf liess sich bei ihrer Panoramaaufnahme nicht unterbrechen. Sie beugte sich über die Brüstung und sich langsam drehend, filmte sie alles vom Mattenschulhaus über die Englischen Anlagen bis hin zur Kirchenfeldbrücke, über die gerade ein Tram fuhr.

Der ganze Foto Tanz fand auch noch in einem rekordverdächtigen Tempo statt. Natürlich wollte ich dann wissen, woher diese Reisegruppe stammte. Das war aber gar nicht so einfach herauszufinden. Englischkenntnisse waren keine vorhanden. Zweimal wurde ich sogar auf eine Art abgewiesen, als hätte jemand den Befehl ausgegeben, mit niemandem zu sprechen. Eine junge Dame sagte aber schliesslich lächelnd: China. Und als ich insistierte: From where in China? sagte sie weiter sehr freundlich, sogar herzlich lächelnd: Shenzhen.

Bergstation

von Beat Sterchi 22. Dezember 2023

Hier und Heute Beim Spazieren an der Aare macht sich unser Autor Gedanken über Vorsätze und das neue Jahr. Beim Marzilibähnli wird er ganz hoffnungsvoll.

Beim Konsi an der Kramgasse ging eine Tür auf und zwei Smartphones drängten heraus in die Laube. Gleich löste sich von einem der Bildschirme der Blick einer jungen Frau, die freudig rief: Wow!

Ja, tanzende Schneeflocken sind ein Ereignis. Und ja, schön, dass es schon mal schneite. Aber sonst will sich das Wetter überhaupt nicht ans Festprogramm halten. Von der Plattform aus konnte man beobachten, wie die Aare drohte, die Matte zu überschwemmen. Erst Schnee und dann Hochwasser! Und das im Dezember. Riesige Äste und ganze Baumstämme wurden angeschwemmt und mussten mit Hilfe eines Krans entfernt werden, weil sie die Schleusen verstopften.

Jetzt wurden die Schleusen wieder geschlossen. Männer in grünen Schutzwesten kurbelten sie runter, aber noch ist die Aare braun und fett und wenn man ihr entlang von der Matte ins Marzili geht, spürt man ihre Kraft und den Affenzahn, den sie noch immer drauf hat.

Es war dort am Lauf der Aare, dass ich einem alten Freund begegnete. Weil wir uns schon lange nicht mehr gesehen hatten, kamen wir ins Gespräch über den Lauf der Zeit, wobei mein Freund plötzlich nicht mehr aufhören wollte mit Jammern und Klagen. Allenthalben düster die Aussichten und für das neue Jahr nehme er sich auch nichts mehr vor. Nie sei etwas in Erfüllung gegangen. Und während er sich eine Zigarette anzündete, sagte er, er habe sich auch immer wieder vorgenommen, an Silvester mit dem Rauchen aufzuhören. Immer wieder und immer vergebens. Ich könne mir ja gar nicht vorstellen wie oft schon! Scho uhuere mängisch!

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Weil ich schon lange lieber einfach weiter der Aare entlang gegangen wäre, sagte ich, da könne ich ihm zum Abschied einen wertvollen Rat geben. Das sei nämlich ganz einfach: Wenn sich die Wünsche nicht erfüllten, sollte er sie umdrehen ins Gegenteil. Wenn Du dir zum Beispiel vornimmst, nächstes Jahr viel mehr zu rauchen, dann klappt es vielleicht. Er lachte und ich dachte, auch gute Vorsätze sind nur Sätze und der alte Konfuzius, wusste schon immer, dass es am Baum der guten Vorsätze viele Blüten, aber wenig Früchte gibt. Deshalb nehme ich mir selbst auch nichts vor, ausser vielleicht, jeden Morgen an den Himmel zu schauen. Und täglich mindestens einmal über die Aare zu gehen. Auf dem Wasser, versteht sich. Zurück vielleicht über eine Brücke. Und kleine Schritte sind auch Schritte und jede Sekunde ist aus Gold.

So! dachte ich dann.

Als ich kurz darauf im Marzilbähnli wartete, dass sich die Tür wieder öffnete und dort in roten Buchstaben stand Tickets an der Bergstation vorweisen, war ich ganz sicher: Es kann im neuen Jahre nur aufwärts gehen.

Schliesslich sind die Witze auch nicht mehr so blöd wir früher. Als Kinder mussten wir es immer wieder hören: Dieses Marzilibähnli. Die kürzeste Drahtseilbahn Europas mit dem grössten Verwaltungsgebäude der Welt.

Schöni Wiehnacht u nes guets Nöis!

Schweinestall

von Beat Sterchi 12. Dezember 2023

Hier und Heute Unser Kolumnist über sein Unbehagen im Angesicht faschistoider Gespenster und dem grössten Schweinestall der Welt.

Noch einmal Spanien.

Das Land hat nun also wieder eine Regierung und wie an dieser Stelle hier vorausgeahnt, hat es Pedro Sanchez einmal mehr geschafft, sich selbst und sagen wir, die fortschrittlich gesinnten Kräfte des Landes unter ziemlich schwierigen Umständen an der Macht zu halten.

Allerdings hat man den Eindruck, dass sich darüber niemand so richtig freuen kann. Zu unappetitlich war das Gewurstel, das dieser Regierungsbildung vorausgegangen ist. Dass man, um im Parlament die nötige Mehrheit zu erlangen, den separatistischen Parteien Kataloniens mit einer Amnestie entgegenkam, hat für ganz Spanien zweifellos etwas Erlösendes, aber dass vor den Wahlen niemand auch nur im Entferntesten an diesen zukunftsträchtigen Schritt gedacht hatte, hat auch etwas Peinliches.

Die jetzt weiter in die Opposition verbannten konservativen Kräfte sowieso, aber auch moderate Stimmen befürchten, Sanchez habe sich, um an der Macht zu bleiben, mit dem Teufel verbündet.

Und dass dem reichen Katalonien auch noch gleich Schulden in Milliardenhöhe erlassen wurden, stösst in anderen Regionen auf Unverständnis und Widerstand. Die jetzt weiter in die Opposition verbannten konservativen Kräfte sowieso, aber auch moderate Stimmen befürchten, Sanchez habe sich, um an der Macht zu bleiben, mit dem Teufel verbündet.

Zweifellos steht Spanien eine schwierige, wenn nicht ungewisse Legislaturperiode bevor. Dass der mit allen Wassern gewaschene Sanchez – «Ich lüge nicht, ich ändere meine Meinung» – mit diesem Risikogeschäft eine konservative Regierung mit Beteiligung der rechtsnationalen Vox-Partei verhinderte, ist dennoch viel mehr als nur ein schwacher Trost.

Wenn er es sogar schaffen sollte, Spanien den sich sonst überall in Europa abzeichnenden Rutsch in die trüben, populistischen Gewässer zu ersparen, muss man ihm schlicht dankbar sein. Aus einem einfachen Grund: Es gibt in Spanien noch viel zu viele von jenen teils verirrten und verwirrten, teils faschistoiden Gespenstern, die jetzt wieder ihre hässlichen Fratzen zeigten. Bei den Demonstrationen der letzten Woche gegen die Regierungsbildung haben sie gewütet und ohne Rücksicht auf Verluste getobt, als stünde ganz Spanien kurz vor dem Untergang. Man möchte sie wirklich weder sehen noch hören und wundert sich, wo sie sich versteckt gehalten haben.

Es gibt in Spanien noch viel zu viele von jenen teils verirrten und verwirrten, teils faschistoiden Gespenstern, die jetzt wieder ihre hässlichen Fratzen zeigten.

Und wenn man sich vorstellt, dass der Chef der rechtsextremen Vox-Partei zu diesen Demonstrationen auch noch den sogar von Fox-News geschassten Berufslügner einfliegen liess, kann man sich nur an den Kopf langen und Sanchez das Gewurstel, mit dem er verhindert, dass solche Leute an die Macht kommen, verzeihen. In einer konservativen Regierung wäre der Vorsitzende der Vox-Partei Vizepräsident vielleicht sogar Justizminister geworden.

Anders als vom Pöbel behauptet, befindet sich der grösste Schweinestall der Welt übrigens nicht im Moncloa-Palast in Madrid, dem offiziellen Sitz des Ministerpräsidenten, sondern in Ezhou. Dort gibt es eine Schweinemästerei mit 26 Stockwerken, deren Bild um die Welt ging und mich seit Monaten verfolgt.

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Ezhou ist eine jener chinesischen Millionenstädte, von denen ich noch nie etwas gelesen oder gehört hatte und dennoch kommt mir das monströse Gebäude vor wie ein Sinnbild für die Asymmetrie, in welche sich die durchmedialisierte Welt mehr und mehr begibt.

Während ich den aufkommenden mehrstöckigen Gewächshäusern, die computergesteuert eine Ernte nach der andern produzieren und mitten in Städten wie New York stehen können, noch einen gewissen Respekt zollen muss, weil sie angeblich die optimale Nutzung der notwendigen Ressourcen garantieren, macht mir der Schweine-Wolkenkratzer nun doch einfach Angst und ich denke einmal mehr an den alten Spruch: Dem Batteriehuhn folgt der Batteriemensch. Wenn man sich, mit Hilfe von Google Street-View auch noch ein wenig in Ezhou umsieht, wird auch gleich klar, wie entsetzlich wahr dieser Spruch noch immer ist.

Tomaten

von Beat Sterchi 13. Oktober 2023

Die spanische Politik verdarb unserem Autoren zwischenzeitig die Lust, über Politik zu berichten. Tomaten scheinen da als Alternative reizvoller.

Es gibt keinen guten Grund, warum ich in diesem Sommer nicht über Spanien berichtet habe, obschon ich seit Monaten wieder hier lebe. Aber besonders was die Politik betrifft, hatte ich wohl einfach keine Lust. Es haben Wahlen stattgefunden und es ist viel passiert, aber sehr wenig, womit ich mich gerne beschäftigte und auch sehr wenig, von dem ich den Eindruck hatte, das müsste man auch in Bern wissen.

Weil mir aber immer mal wieder bewusst wird, dass ich in zwei Welten lebe, habe ich mir vorgenommen, wieder vermehrt aus der einen Welt in die andere zu berichten.

Rückblickend, gibt es zu den Wahlen, die leider sehr unklare Verhältnisse geschaffen haben, vor allem eins zu sagen: Es ist ein bisschen beschämend für eine politische Kultur, wenn vor den Wahlen nur auf tiefem Niveau über Eitelkeiten gestritten wird und die politische Diskussion um ein derart wichtiges Thema wie – um es kurz zu sagen – den Umgang von Madrid mit Katalonien, erst einsetzt, wenn es darum geht, im Parlament auf Biegen und Brechen eine Mehrheit zu schaffen.

Man schaut da eigentlich nicht gerne zu, aber die Verantwortlichen können offensichtlich gut damit umgehen.

Jetzt ist Monsieur Puigdemont mit seiner Partei plötzlich das Zünglein an der Waage. Wohlgemerkt, dabei handelt es sich um eine Partei, die in Katalonien nur noch die Dritte Kraft ist und bei den nationalen Wahlen gerade mal ein paar Hunderttausend Stimmen erhielt. Die Bösewichte von gestern haben heute also die fortschrittlichen Kräfte des Landes im Würgegriff. Puigdemont und allen andern, die sich während des theatralischen Aufstandes von 2017 hervorgetan und strafbar gemacht haben, sollen im Gegenzug alle Sünden vergeben werden. Man schaut da eigentlich nicht gerne zu, aber die Verantwortlichen können offensichtlich gut damit umgehen. Öffnet man die Zeitung, sieht man immer nur einen lachenden Präsidenten und eine ebenso glückliche und strahlende Vizepräsidentin. Die haben es offensichtlich gut. Dass ein Liter Olivenöl jetzt zweimal so viel kostet wie vor einem Jahr, scheint sie auch nicht wahnsinnig zu berühren.

Natürlich wird das Reiberein, wenn nicht sogar Zoff geben. Um an der Macht zu bleiben, missachten jetzt diejenigen, die dies Katalonien verwehrt haben, selbst die Verfassung. Die Geschichte macht als doch immer wieder gewaltige Purzelbäume.

Habe übrigens gerade die Spiegeleier des Jahres gegessen. Gebraten in Olivenöl. Mit Zucchetti, Tomaten und etwas Knoblauch.

Und warum waren diese Spiegeleier so unglaublich gut? Vor allem wegen der Tomaten.
Weil der Unterschied zwischen einer selbstgezogenen Tomate und einer Tomate, die grün geerntet wurde und dann wer weiss wie lang in Plastik verpackt auf Reisen geht, ist eben doch sehr gross.

Das Vergnügen, reife Tomaten essen zu können, ist mit einem gewissen Aufwand verbunden.

Eine Tomate, reif von der Staude gepflückt, löst im Gaumen eine Geschmacksexplosion aus, die sich eigentlich nicht angemessen beschreiben lässt.  Man kann es natürlich versuchen, kann sogar eine Kanone mit Adjektiven in Position bringen: Süss. Saftig. Samtig. Aromatisch. Chüschtig. Köstlich. Aber auch so, es kommt nicht hin. Was dabei allerdings leicht vergessen geht: Das Vergnügen, reife Tomaten essen zu können, ist mit einem gewissen Aufwand verbunden, den man, wenn man will, auch Arbeit nennen kann. Obwohl: Jemand, der es wissen muss, habe gesagt, was man gerne tue und tun will, sei nicht Arbeit. Ich glaube das war Konfuzius. Auch bei den Tomaten muss wohl jeder für sich abwägen zwischen Aufwand, Preis und Nutzen.

Neulich sagte ein Nachbar: Aber im Supermarkt sind Tomaten so billig. Natürlich erhob ich keinen Einspruch, dachte aber für mich: Gerade hier liegt eben noch ein anderer Hund begraben! Mit eigenen Tomaten lassen sich unreif oder grün gepflückte Tomaten aus der Massenproduktion geschmacklich zwar nicht vergleichen, sie sind aber auch noch viel zu billig. Wie fast alles, was über lange Transportwege ins Gemüseregal kommt, sind sie subventioniert, die Erntearbeiterinnen sind unterbezahlt und um die Kosten tief zu halten, wird alles, was es gibt an Chemie, gnadenlos eingesetzt.

Nichtsdestotrotz gibt es aber die Tomatina. Das Bild ist echt.

Die Tomatina ist ein mittlerweile berühmtes Fest, das jedes Jahr in Buñol, also hier in der Region Valencia, gefeiert wird. Freunde von mir waren in diesem Jahr dabei und berichteten, es sei eigentlich wie eine Schneeballschlacht, bloss bewerfe man sich halt mit Tomaten, die unbeschränkt angekarrt würden. Lastwagen um Lastwagen.

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Ich habe schon von einem ähnlichen Fest des Überflusses gehört, das eher nach meinem Geschmack wäre. In einem Winzerdorf, ich glaube in der Region Aragon, spritzt so lange das Fest dauert, nicht Wasser aus der Röhre des Dorfbrunnens, sondern Rotwein.

Sicher ist, Spanier und Spanierinnen sind nicht nur gut im Fussball, sie sind auch weiterhin unangetastete Weltspitze im Feste feiern.