Hier und Heute

Das Geschenk

von Beat Sterchi 25. März 2024

Hier und Heute Unser Kolumnist geht im Altenberg spazieren und macht sich dabei Gedanken über Osterhasen und Geschenke der Gegenwart.

Wassermangel, Trockenheit, Dürre. Vielerorts auf der Welt dreht sich alles nur darum. Ich aber stehe auf den Holzplanken des Altenbergsteges und erfreue mich am kräftigen, stetigen Fluss der ankommenden Aare. Olivengrün und breit fliesst sie weiter und während ich ihr gute Reise wünsche, zerrt am rechten Ufer ein Weidling an seiner Kette.

Auf einer Steintreppe am andern Ufer ist ein eng umschlungenes Paar am Schmusen und nachdem ich einem ganz grossen Mann mit einem ganz kleinen Hund begegnet bin, kommt jetzt eine ganz kleine Frau mit einem ganz grossen, schwarzen Hund auf mich zu. Es ist ein Bär von einem Hund. Lustig sieht er aus mit seinen verdeckten Augen und dem langen Bart unter seiner Schnauze.

Und wieder der Weidling. Läge er nicht  dort, würde ich ihn vermissen. Zweifellos eine banale Feststellung. Und doch: Es geht wieder darum, hier zu sein. Und zwar jetzt.
Hier und jetzt gilt es einmal mehr das Geschenk der Gegenwart zu erkennen und anzunehmen.

Im Gegensatz zu einem dort drüben lieblos hingesprayten Slogan verlangt der Weidling keine Beachtung. Eine der klassischen Mauerinschriften, die mich seit ewig begleitet, lautet:  If you are suffering from information overload, this is merely another installement. Der Weidling stellt jedoch keine  Ansprüche. Er belastet mich nicht. Er passt einfach. Und elegant ist er auch.

Dem Helm zum Trotz erkannte ich sie sofort und dachte, die will mir guten Tag sagen, dabei hatte sie mich gar nicht bemerkt.

Aber dann steht vorne im Altenberg, schon fast bei der Untertorbrücke in einem Schaufenster von Huber, Kuhn und Ringli dieser Osterhase.

Aber klar. Ostern steht bevor. Das Herzstück biblischer Geschichte. Man und frau kann die kirchlichen Feiertage zwar auch einfach als Freitage geniessen, aber gerade gibt es wieder mal gute Gründe, sich an das folgenreiche Drama zu erinnern, das sich vor 2000 Jahren in Jerusalem ereignete. Der Anfang unserer Zeitrechnung und vielleicht die Tragödie der westlichen Welt.

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Da hielt doch ein Gefangener, anstatt sich zu wehren, tatsächlich einfach seine andere Wange hin. Genauso, wie er es seinen Freunden und seinen Freundinnen geraten hatte. Eine seither sehr umstrittene Methode. Lächerlich, sagen die einen. So lassen sich keine Konflikte lösen. Weniger lächerlich ist allerdings die Tatsache, dass die angewendeten Methoden statt zu helfen, alles nur immer noch schlimmer machen.
Beim Aufstieg über den Fussweg zur Lerberstrasse komme ich dann ausser Atem und gleich sehe ich auch, wie am Aargauerstalden eine Velofahrerin abbiegt. Dem Helm zum Trotz erkannte ich sie sofort und dachte, die will mir guten Tag sagen, dabei hatte sie mich gar nicht bemerkt. Sie fuhr nahe an den Zaun, wo sie ohne abzusteigen ihr Handy hervor holte und etwas fotografierte.

Jetzt sah ich es auch: Über der Uni ging gerade die Sonne unter. Ein Spektakel, in welchem sämtliche Türme und sämtliche Kuppeln der Stadt in Gold getaucht wurden.
Meine Bekannte machte für ein weiteres Bild auf dem Display etwas mit Daumen und Zeigefinger und bevor ich sie, noch immer ausser Atem, anrufen konnte, steckte sie das Ding wieder ein und weg war sie.

Deshalb heisst die Gegenwart bekanntlich oft auch gleich so: Le présent, the present, das Präsent.

Aber sicher ist, auch sie hat dort eben das Geschenk der Gegenwart entgegengenommen, denn viel mehr haben wir wirklich nicht. Die Vergangenheit birgt viel Versäumtes, Zurückdenken kann sehr weh tun und die Zukunft verspricht gerade auch nicht viel Gutes.

Bleibt nur das Geschenk der Gegenwart. Deshalb heisst die Gegenwart bekanntlich oft auch gleich so: Le présent, the present, das Präsent. Danke für das Geschenk der Gegenwart. Allen gewünscht werden möglichst friedliche Ostertage.

Jammertal

von Beat Sterchi 16. Februar 2024

Hier und Heute Auf der Münsterplattform versucht unser Autor, der grossen weiten Welt zu entkommen und trifft auf eine perfekt choreografierte Tourist*innen-Gruppe aus China.

Auf der Münsterplattform sieht man es: Das Leben geht weiter. An den frisch zurückgeschnittenen Kastanienbäumen zeigen sich die ersten Knospen und die Aare fliesst grün und munter ins neue Jahr hinein. Ja, eigentlich läuft alles gut. Vor ein paar Wochen ist mir unten in der Matte noch ein Sürmel über den Weg gelaufen, aber seither begegnete ich keinem Menschen, der auf meine Frage nach seinem Wohlbefinden nicht gesagt hätte: Danke gut. Mir geht es sehr gut. Oder wenigstens: Ig cha nid chlage.

Ein wenig anders sieht es aus, wenn man sich der grossen weiten Welt zuwendet. Es sind ja nicht nur die so hässlichen Kriege, mit denen man leben muss, obschon man im Alltag wenig davon spürt. Fühlt man sich auch nur zu einer beschränkten Anteilnahme am Weltgeschehen verpflichtet, wird schnell klar, dass man eigentlich ein recht schweres Bürdeli durch ein Jammertal schleppt. Wie lebt man im Bewusstsein, dass sich Menschen gerade jetzt gegenseitig niedermetzeln? An so vielen Orten auf der Flucht sind oder sich sonst den fürchterlichsten Widrigkeiten ausgesetzt sehen? Ja, wie lebt man mit dem Elend der andern?

Kein Wunder, dass man dann etwas neidisch an diejenigen denkt, die regelmässig fasten oder wenigstens zum Jahresanfang während einer gewissen Zeit keinen Wein trinken oder kein Fleisch essen. Wie schön wäre es doch, einmal einen Monat lang auf jeglichen Medienkonsum zu verzichten? Einmal einfach nichts wissen und nichts ahnen von den Untaten der Mächtigen. No news please, ich faste. Welch ein angenehmer Traum.

Gerade als Bewohner der Innenstadt könnte man aber der grossen weiten Welt auch so nicht entkommen. Denn in der Form von Tourismus bricht sie immer wuchtiger über Bern herein und ja, auch der Massentourismus ist ein Jammertal. Manchmal könnte man meinen, man sei in Venedig. Man hat auch immer wieder Grund, sich zu wundern, mit welcher gnadenlosen Zielstrebigkeit sich ganze Reisegruppen hinter ihren Smartphones her beispielsweise auf den Rathausplatz stürzen, um dort mit blinder Entschlossenheit die arme St. Peter-und-Paul-Kirche ins Visier zu nehmen als wäre sie der Petersdom.

No news please, ich faste.

Logisch, sagte neulich ein Freund, wenn du aus einer chinesischen Millionenstadt kommst, flippst du aus in Bern.  Aber die Knipserei vor dem Einsteinhaus und ganz besonders vor dem Zeitglockenturm? Was soll das? Gut, Selfies müssen natürlich auch sein, aber trotzdem: So ein Leerlauf. Die Welt ist längst dokumentiert und in guter Qualität vieldimensional abgebildet. All diese Sehenswürdigkeiten, die hier so schnell und oberflächlich täglich tausend Mal abgeblitzt werden, liessen sich auf denselben Geräten mit wenigen Klicks auf die Bildschirme zaubern.

Und vor ein paar Tagen stürmte eine sehr kompakte Reisegruppe mit solcher Vehemenz über die Münsterplattform, dass ich glaubte, einer ultramodernen Ballettaufführung beizuwohnen. Sich etwas angeschaut hat niemand, fotografiert hat jede und jeder. Alle richteten ihre Handys buchstäblich auf alles, sogar auf den Himmel, wo gerade mal kein verirrter Milan, nur ein paar Wolken zu sehen waren.

Die Welt ist längst dokumentiert und in guter Qualität vieldimensional abgebildet.

Auf der Suche nach dem perfekten Sichtwinkel verrenkten und verbogen sie sich, als wären sie ein Turnverein und als vom Münster her die Glocken ertönten, wandten sich sicher zwanzig, wenn nicht dreissig, ausgestreckte Arme mit den Handys sofort dem Turm zu. Und zwar alles so koordiniert, als wäre der ganze Auftritt auf einen dramatischen Schluss hin professionell choreografiert worden.

Nur eine vor sich hin lächelnde Dame mit einer Pelzmütze auf dem Kopf liess sich bei ihrer Panoramaaufnahme nicht unterbrechen. Sie beugte sich über die Brüstung und sich langsam drehend, filmte sie alles vom Mattenschulhaus über die Englischen Anlagen bis hin zur Kirchenfeldbrücke, über die gerade ein Tram fuhr.

Der ganze Foto Tanz fand auch noch in einem rekordverdächtigen Tempo statt. Natürlich wollte ich dann wissen, woher diese Reisegruppe stammte. Das war aber gar nicht so einfach herauszufinden. Englischkenntnisse waren keine vorhanden. Zweimal wurde ich sogar auf eine Art abgewiesen, als hätte jemand den Befehl ausgegeben, mit niemandem zu sprechen. Eine junge Dame sagte aber schliesslich lächelnd: China. Und als ich insistierte: From where in China? sagte sie weiter sehr freundlich, sogar herzlich lächelnd: Shenzhen.

Bergstation

von Beat Sterchi 22. Dezember 2023

Hier und Heute Beim Spazieren an der Aare macht sich unser Autor Gedanken über Vorsätze und das neue Jahr. Beim Marzilibähnli wird er ganz hoffnungsvoll.

Beim Konsi an der Kramgasse ging eine Tür auf und zwei Smartphones drängten heraus in die Laube. Gleich löste sich von einem der Bildschirme der Blick einer jungen Frau, die freudig rief: Wow!

Ja, tanzende Schneeflocken sind ein Ereignis. Und ja, schön, dass es schon mal schneite. Aber sonst will sich das Wetter überhaupt nicht ans Festprogramm halten. Von der Plattform aus konnte man beobachten, wie die Aare drohte, die Matte zu überschwemmen. Erst Schnee und dann Hochwasser! Und das im Dezember. Riesige Äste und ganze Baumstämme wurden angeschwemmt und mussten mit Hilfe eines Krans entfernt werden, weil sie die Schleusen verstopften.

Jetzt wurden die Schleusen wieder geschlossen. Männer in grünen Schutzwesten kurbelten sie runter, aber noch ist die Aare braun und fett und wenn man ihr entlang von der Matte ins Marzili geht, spürt man ihre Kraft und den Affenzahn, den sie noch immer drauf hat.

Es war dort am Lauf der Aare, dass ich einem alten Freund begegnete. Weil wir uns schon lange nicht mehr gesehen hatten, kamen wir ins Gespräch über den Lauf der Zeit, wobei mein Freund plötzlich nicht mehr aufhören wollte mit Jammern und Klagen. Allenthalben düster die Aussichten und für das neue Jahr nehme er sich auch nichts mehr vor. Nie sei etwas in Erfüllung gegangen. Und während er sich eine Zigarette anzündete, sagte er, er habe sich auch immer wieder vorgenommen, an Silvester mit dem Rauchen aufzuhören. Immer wieder und immer vergebens. Ich könne mir ja gar nicht vorstellen wie oft schon! Scho uhuere mängisch!

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Weil ich schon lange lieber einfach weiter der Aare entlang gegangen wäre, sagte ich, da könne ich ihm zum Abschied einen wertvollen Rat geben. Das sei nämlich ganz einfach: Wenn sich die Wünsche nicht erfüllten, sollte er sie umdrehen ins Gegenteil. Wenn Du dir zum Beispiel vornimmst, nächstes Jahr viel mehr zu rauchen, dann klappt es vielleicht. Er lachte und ich dachte, auch gute Vorsätze sind nur Sätze und der alte Konfuzius, wusste schon immer, dass es am Baum der guten Vorsätze viele Blüten, aber wenig Früchte gibt. Deshalb nehme ich mir selbst auch nichts vor, ausser vielleicht, jeden Morgen an den Himmel zu schauen. Und täglich mindestens einmal über die Aare zu gehen. Auf dem Wasser, versteht sich. Zurück vielleicht über eine Brücke. Und kleine Schritte sind auch Schritte und jede Sekunde ist aus Gold.

So! dachte ich dann.

Als ich kurz darauf im Marzilbähnli wartete, dass sich die Tür wieder öffnete und dort in roten Buchstaben stand Tickets an der Bergstation vorweisen, war ich ganz sicher: Es kann im neuen Jahre nur aufwärts gehen.

Schliesslich sind die Witze auch nicht mehr so blöd wir früher. Als Kinder mussten wir es immer wieder hören: Dieses Marzilibähnli. Die kürzeste Drahtseilbahn Europas mit dem grössten Verwaltungsgebäude der Welt.

Schöni Wiehnacht u nes guets Nöis!

Schweinestall

von Beat Sterchi 12. Dezember 2023

Hier und Heute Unser Kolumnist über sein Unbehagen im Angesicht faschistoider Gespenster und dem grössten Schweinestall der Welt.

Noch einmal Spanien.

Das Land hat nun also wieder eine Regierung und wie an dieser Stelle hier vorausgeahnt, hat es Pedro Sanchez einmal mehr geschafft, sich selbst und sagen wir, die fortschrittlich gesinnten Kräfte des Landes unter ziemlich schwierigen Umständen an der Macht zu halten.

Allerdings hat man den Eindruck, dass sich darüber niemand so richtig freuen kann. Zu unappetitlich war das Gewurstel, das dieser Regierungsbildung vorausgegangen ist. Dass man, um im Parlament die nötige Mehrheit zu erlangen, den separatistischen Parteien Kataloniens mit einer Amnestie entgegenkam, hat für ganz Spanien zweifellos etwas Erlösendes, aber dass vor den Wahlen niemand auch nur im Entferntesten an diesen zukunftsträchtigen Schritt gedacht hatte, hat auch etwas Peinliches.

Die jetzt weiter in die Opposition verbannten konservativen Kräfte sowieso, aber auch moderate Stimmen befürchten, Sanchez habe sich, um an der Macht zu bleiben, mit dem Teufel verbündet.

Und dass dem reichen Katalonien auch noch gleich Schulden in Milliardenhöhe erlassen wurden, stösst in anderen Regionen auf Unverständnis und Widerstand. Die jetzt weiter in die Opposition verbannten konservativen Kräfte sowieso, aber auch moderate Stimmen befürchten, Sanchez habe sich, um an der Macht zu bleiben, mit dem Teufel verbündet.

Zweifellos steht Spanien eine schwierige, wenn nicht ungewisse Legislaturperiode bevor. Dass der mit allen Wassern gewaschene Sanchez – «Ich lüge nicht, ich ändere meine Meinung» – mit diesem Risikogeschäft eine konservative Regierung mit Beteiligung der rechtsnationalen Vox-Partei verhinderte, ist dennoch viel mehr als nur ein schwacher Trost.

Wenn er es sogar schaffen sollte, Spanien den sich sonst überall in Europa abzeichnenden Rutsch in die trüben, populistischen Gewässer zu ersparen, muss man ihm schlicht dankbar sein. Aus einem einfachen Grund: Es gibt in Spanien noch viel zu viele von jenen teils verirrten und verwirrten, teils faschistoiden Gespenstern, die jetzt wieder ihre hässlichen Fratzen zeigten. Bei den Demonstrationen der letzten Woche gegen die Regierungsbildung haben sie gewütet und ohne Rücksicht auf Verluste getobt, als stünde ganz Spanien kurz vor dem Untergang. Man möchte sie wirklich weder sehen noch hören und wundert sich, wo sie sich versteckt gehalten haben.

Es gibt in Spanien noch viel zu viele von jenen teils verirrten und verwirrten, teils faschistoiden Gespenstern, die jetzt wieder ihre hässlichen Fratzen zeigten.

Und wenn man sich vorstellt, dass der Chef der rechtsextremen Vox-Partei zu diesen Demonstrationen auch noch den sogar von Fox-News geschassten Berufslügner einfliegen liess, kann man sich nur an den Kopf langen und Sanchez das Gewurstel, mit dem er verhindert, dass solche Leute an die Macht kommen, verzeihen. In einer konservativen Regierung wäre der Vorsitzende der Vox-Partei Vizepräsident vielleicht sogar Justizminister geworden.

Anders als vom Pöbel behauptet, befindet sich der grösste Schweinestall der Welt übrigens nicht im Moncloa-Palast in Madrid, dem offiziellen Sitz des Ministerpräsidenten, sondern in Ezhou. Dort gibt es eine Schweinemästerei mit 26 Stockwerken, deren Bild um die Welt ging und mich seit Monaten verfolgt.

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Ezhou ist eine jener chinesischen Millionenstädte, von denen ich noch nie etwas gelesen oder gehört hatte und dennoch kommt mir das monströse Gebäude vor wie ein Sinnbild für die Asymmetrie, in welche sich die durchmedialisierte Welt mehr und mehr begibt.

Während ich den aufkommenden mehrstöckigen Gewächshäusern, die computergesteuert eine Ernte nach der andern produzieren und mitten in Städten wie New York stehen können, noch einen gewissen Respekt zollen muss, weil sie angeblich die optimale Nutzung der notwendigen Ressourcen garantieren, macht mir der Schweine-Wolkenkratzer nun doch einfach Angst und ich denke einmal mehr an den alten Spruch: Dem Batteriehuhn folgt der Batteriemensch. Wenn man sich, mit Hilfe von Google Street-View auch noch ein wenig in Ezhou umsieht, wird auch gleich klar, wie entsetzlich wahr dieser Spruch noch immer ist.

Tomaten

von Beat Sterchi 13. Oktober 2023

Die spanische Politik verdarb unserem Autoren zwischenzeitig die Lust, über Politik zu berichten. Tomaten scheinen da als Alternative reizvoller.

Es gibt keinen guten Grund, warum ich in diesem Sommer nicht über Spanien berichtet habe, obschon ich seit Monaten wieder hier lebe. Aber besonders was die Politik betrifft, hatte ich wohl einfach keine Lust. Es haben Wahlen stattgefunden und es ist viel passiert, aber sehr wenig, womit ich mich gerne beschäftigte und auch sehr wenig, von dem ich den Eindruck hatte, das müsste man auch in Bern wissen.

Weil mir aber immer mal wieder bewusst wird, dass ich in zwei Welten lebe, habe ich mir vorgenommen, wieder vermehrt aus der einen Welt in die andere zu berichten.

Rückblickend, gibt es zu den Wahlen, die leider sehr unklare Verhältnisse geschaffen haben, vor allem eins zu sagen: Es ist ein bisschen beschämend für eine politische Kultur, wenn vor den Wahlen nur auf tiefem Niveau über Eitelkeiten gestritten wird und die politische Diskussion um ein derart wichtiges Thema wie – um es kurz zu sagen – den Umgang von Madrid mit Katalonien, erst einsetzt, wenn es darum geht, im Parlament auf Biegen und Brechen eine Mehrheit zu schaffen.

Man schaut da eigentlich nicht gerne zu, aber die Verantwortlichen können offensichtlich gut damit umgehen.

Jetzt ist Monsieur Puigdemont mit seiner Partei plötzlich das Zünglein an der Waage. Wohlgemerkt, dabei handelt es sich um eine Partei, die in Katalonien nur noch die Dritte Kraft ist und bei den nationalen Wahlen gerade mal ein paar Hunderttausend Stimmen erhielt. Die Bösewichte von gestern haben heute also die fortschrittlichen Kräfte des Landes im Würgegriff. Puigdemont und allen andern, die sich während des theatralischen Aufstandes von 2017 hervorgetan und strafbar gemacht haben, sollen im Gegenzug alle Sünden vergeben werden. Man schaut da eigentlich nicht gerne zu, aber die Verantwortlichen können offensichtlich gut damit umgehen. Öffnet man die Zeitung, sieht man immer nur einen lachenden Präsidenten und eine ebenso glückliche und strahlende Vizepräsidentin. Die haben es offensichtlich gut. Dass ein Liter Olivenöl jetzt zweimal so viel kostet wie vor einem Jahr, scheint sie auch nicht wahnsinnig zu berühren.

Natürlich wird das Reiberein, wenn nicht sogar Zoff geben. Um an der Macht zu bleiben, missachten jetzt diejenigen, die dies Katalonien verwehrt haben, selbst die Verfassung. Die Geschichte macht als doch immer wieder gewaltige Purzelbäume.

Habe übrigens gerade die Spiegeleier des Jahres gegessen. Gebraten in Olivenöl. Mit Zucchetti, Tomaten und etwas Knoblauch.

Und warum waren diese Spiegeleier so unglaublich gut? Vor allem wegen der Tomaten.
Weil der Unterschied zwischen einer selbstgezogenen Tomate und einer Tomate, die grün geerntet wurde und dann wer weiss wie lang in Plastik verpackt auf Reisen geht, ist eben doch sehr gross.

Das Vergnügen, reife Tomaten essen zu können, ist mit einem gewissen Aufwand verbunden.

Eine Tomate, reif von der Staude gepflückt, löst im Gaumen eine Geschmacksexplosion aus, die sich eigentlich nicht angemessen beschreiben lässt.  Man kann es natürlich versuchen, kann sogar eine Kanone mit Adjektiven in Position bringen: Süss. Saftig. Samtig. Aromatisch. Chüschtig. Köstlich. Aber auch so, es kommt nicht hin. Was dabei allerdings leicht vergessen geht: Das Vergnügen, reife Tomaten essen zu können, ist mit einem gewissen Aufwand verbunden, den man, wenn man will, auch Arbeit nennen kann. Obwohl: Jemand, der es wissen muss, habe gesagt, was man gerne tue und tun will, sei nicht Arbeit. Ich glaube das war Konfuzius. Auch bei den Tomaten muss wohl jeder für sich abwägen zwischen Aufwand, Preis und Nutzen.

Neulich sagte ein Nachbar: Aber im Supermarkt sind Tomaten so billig. Natürlich erhob ich keinen Einspruch, dachte aber für mich: Gerade hier liegt eben noch ein anderer Hund begraben! Mit eigenen Tomaten lassen sich unreif oder grün gepflückte Tomaten aus der Massenproduktion geschmacklich zwar nicht vergleichen, sie sind aber auch noch viel zu billig. Wie fast alles, was über lange Transportwege ins Gemüseregal kommt, sind sie subventioniert, die Erntearbeiterinnen sind unterbezahlt und um die Kosten tief zu halten, wird alles, was es gibt an Chemie, gnadenlos eingesetzt.

Nichtsdestotrotz gibt es aber die Tomatina. Das Bild ist echt.

Die Tomatina ist ein mittlerweile berühmtes Fest, das jedes Jahr in Buñol, also hier in der Region Valencia, gefeiert wird. Freunde von mir waren in diesem Jahr dabei und berichteten, es sei eigentlich wie eine Schneeballschlacht, bloss bewerfe man sich halt mit Tomaten, die unbeschränkt angekarrt würden. Lastwagen um Lastwagen.

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Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

Ich habe schon von einem ähnlichen Fest des Überflusses gehört, das eher nach meinem Geschmack wäre. In einem Winzerdorf, ich glaube in der Region Aragon, spritzt so lange das Fest dauert, nicht Wasser aus der Röhre des Dorfbrunnens, sondern Rotwein.

Sicher ist, Spanier und Spanierinnen sind nicht nur gut im Fussball, sie sind auch weiterhin unangetastete Weltspitze im Feste feiern.