Das Film-Ding

Bevor es Fernseher und Youtube gab

von Janine Schneider 11. November 2023

Film-Ding 008 In den 1940er-Jahren wird eine neue Filmmaschine auf den Markt gebracht. Mit einem Münzeinwurf können kurze Musikfilme angeschaut werden. Das «Panoram» steht in Bars und Restaurants und erfreut sich grosser Beliebtheit. Bis das Fernsehen kommt.

November 1940. Franklin Roosevelt gewinnt eine dritte Amtszeit und in Europa herrscht seit einem Jahr Krieg. In Chicago hat sich derweil in einer Bar eine Menschentraube um ein kurioses Gerät gebildet. «Panoram» genannt, ist es eine absolute Neuheit, eine Art Kino im Kleinformat, das dem unterhaltungsbegierigen Publikum kurze Musikfilme, sogenannte «Soundies» zeigt. In Restaurants, Bars und Casinos soll es die Kundschaft dazu bringen, länger zu verweilen und mehr zu konsumieren.

Das Licht verheisst ein Spektakel: das Panoram im Kinosaal des Lichtspiels. (Foto: Janine Schneider)
Ein Dime ist hier einzuwerfen. Heute geht es auch mit einem Einfränkler. (Foto: Janine Schneider)

Über dem Münzeinwurf steht der Name des Unternehmens, das solche «Filmmaschinen» vor Kurzem auf den Markt gebracht hat: Mills Novelty Company. Die Firma mit Sitz in Chicago ist die mit der Produktion von Spiel- und Verkaufsautomaten gross geworden. Kernidee all dieser Automaten ist die Möglichkeit, mit einem Münzeinwurf eine Dienstleistung in Gang zu setzen. Die Münze wird auf Grösse, Gewicht und dank einer Magnetfalle auch auf ihr Material geprüft. Hat sie diesen Echtheitstest bestanden, wird vom 16mm-Projektor des «Panoram» eine Filmschleife über einen Spiegel auf den Bildschirm projiziert. Den Film wählen konnte man nicht. Es lief einfach der, der als nächstes in der Schleife war. Acht «Soundies» hatten in so einem «Panoram» Platz und wurden von Zeit zu Zeit ausgewechselt.

Hier haben acht Filmrollen Platz. (Foto: Janine Schneider)

Kurzfilme in Schnellproduktion

Diese kurzen Filme mit musikalischen Darbietungen waren überaus beliebt. So beliebt, dass sie sogar fürs Kino als kurze Vorfilme adaptiert wurden. Drei Firmen waren für die Produktion zuständig. Die «Soundies Distributing Corporation of America» kümmerte sich um die Verteilung. Bei der Produktion wurde auf alle möglichen Genres zurückgegriffen, von Boogiewoogie über Klassik bis hin zu patriotischen Liedern, wobei nicht nur aber auch Nachtklubkünstler  In den Kriegsjahren wurde auch Propaganda abgespielt. Die meisten «Soundies» gaben jedoch Lieder aus der Hitparade wieder.

Durch die «Soundies» sind Filmaufnahmen von afroamerikanischen Künstler*innen erhalten geblieben, die sonst nur wenig Möglichkeiten hatten, in Filmen aufzutreten.

Die Filme wurden in irrwitzigem Tempo hergestellt. In den besten Zeiten seien zehn «Soundies» pro Woche produziert worden, erklärt Vladimir Malogajski vom Lichtspiel, das selbst über eine Sammlung von «Soundies» verfügt. Die Qualität der Musikfilme litt teilweise unter der schnellen Produktion. Malogajski zeigt sich aber dennoch fasziniert von den kurzen Geschichten: «Immer steckt eine kleine Botschaft drin. Die Filme sind bis zum Schluss durchdacht.»

Sie decken ausserdem einen wichtigen Teil der amerikanischen Geschichte ab. Zweiter Weltkrieg, Rassentrennung und wirtschaftlicher Aufschwung werden in den kurzen Filmen gespiegelt. Die «Soundies» haben deshalb auch schon öfters als Material für soziologische Forschungen gedient. Was nicht zuletzt besonders wichtig für die heutige Musikgeschichte ist: Durch die «Soundies» sind Filmaufnahmen von afroamerikanischen Künstler*innen wie Duke Ellington oder Cab Calloway erhalten geblieben, die sonst nur wenig Möglichkeiten hatten, in Filmen aufzutreten.

Ende und Wiederaufnahme

Mit dem Aufkommen und der immer weiteren Verbreitung des Fernsehens ging auch die Zeit der «Soundies» zu Ende. 1947 musste die «Soundies Distributing Corporation» schliessen. Die «Panoram»-Filmmaschinen wurden eingestampft oder umgebaut.

Eines von fünf Scopitone, die das Lichtspiel besitzt. (Foto: Janine Schneider)

Allerdings wurde das Konzept 1958 von der französischen Firma wieder aufgenommen. Diese baute ähnliche Jukeboxen mit den Namen «Scopitone». Das Prinzip war dasselbe, die Qualität des Tons und der Farben hatte sich allerdings entscheidend verbessert. Ausserdem konnte man nun auswählen, welcher Film abgespielt werden sollte. Auch hier wurde die ausgewählte 16mm-Filmspule dann über zwei Spiegel auf den Bildschirm projiziert. Von Frankreich aus verbreitete sich das Scopitone nochmals in einer Erfolgswelle über England, Deutschland bis in die USA und den arabischen Raum. Scopitones standen in Bars, an Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen. 1969 war dann auch die Zeit des Scopitones vorbei.

Das Innere des Scopitones ist raffiniert konstruiert. (Foto: Janine Schneider)

Und heute? Scopitones und Panoram-Filmmaschinen sind Sammlerstücke geworden. Zu sehen sind sie noch im Kinosaal des Lichtspiels. Wo sie in ihrem Leben schon alles gestanden haben, ist leider nicht überliefert. Aber heute können sie wieder von den Besucher*innen des Lichtspiels benutzt werden. Dann rüttelt und schüttelt es und auf dem Bildschirm erscheint Cab Calloway.

Als Hollywood Berns Jugend rief

von Rita Jost 30. Mai 2023

DAS FILM-DING Ausgabe 007 unserer Serie tanzt aus der Reihe. Für einmal verlassen wir die Kinemathek im Marzili und graben ausser Haus nach Reminiszenzen aus der Filmgeschichte.

Soviel war klar: das «Filmding 007» muss sich um den berühmtesten Geheimagenten der Leinwand drehen. Doch: im Berner Lichtspiel gibt es relativ wenig James-Bond-iges. Für Publikumsführungen hat das Lichtspiel zwar einige Leckerbissen rund um das Making-Of einiger Agententhriller auf Lager. Aufnahmen aus Newssendungen, Fotomaterial von den Dreharbeiten und sogar ein Werbefilmchen, in dem Bond für … Milch wirbt.

Aber sonst? Kein Filmplakat, keine Requisiten. Langspielfilme gehören nun mal nicht ins Archiv und ins Konzept der Kinemathek. Aber wir werden trotzdem fündig. In den Köpfen einiger Berner*innen, die Ende der Sechzigerjahre im 6. Bondstreifens mit dem Titel «Im Dienste ihrer Majestät» ihr Filmdebut gaben. Zum Beispiel Peter Vollmer, nachmaliger SP-Politiker, Nationalrat und in den Sechzigerjahren aufmüpfiger Soziologiestudent an der Uni Bern.

Blick zurück

Wir schreiben das Jahr 1969. In Bern wird nicht nur gerockt, gestreikt und rebelliert. Es hängt – an den Anschlagbrettern der Gymnasien und der Uni – auch ein Ruf aus Hollywood. Es werden Statisten gesucht! Für einen James Bond-Film. Gedreht wird in Mürren und auf dem Schilthorn. Gesucht werden «gutaussehende junge Menschen». Peter Vollmer fühlte sich angesprochen: «Nein, nicht wegen des Aussehens», beeilt er sich heute zu sagen, «mich lockte vor allem die Aussicht auf ein paar Tage in den Bergen und natürlich die Gage. Als Student konnte ich das Geld brauchen. Ich habe mich deshalb gleich für eine ganze Woche verpflichtet.»

Das hatte den Vorteil, dass er sozusagen als Premium-Statist eingeteilt wurde. Seine Drehorte waren auf dem Schilthorn, dem Piz Gloria, wie das Mürrener Wahrzeichen nun hiess, und vor allem im futuristisches Drehrestaurant, wo der Bösewicht sein Labor eingerichtet hatte und wo die Bondgirls auf der improvisierten alpinen Curlingbahn Steine schoben.

Die höchstglegene Curlingbahn der Welt. Auf 3000 Metern über Meer. (Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Vollmer kann heute seine damalige Kritiklosigkeit kaum mehr verstehen. Die Frauen durften in ihren hautengen Keilhosen, Pelzjacken und den modischen Apresskistiefeln bloss ein bisschen herumstehen und lächeln. «Das wäre heute ja undenkbar!» Die Berner Studis haben aber fraglos mitgespielt. Immerhin, die Szene, in der Vollmer selber Curlingsteine schiebt, schaffte es nicht in den Film. Darüber ist er heute fast ein wenig froh.

Dafür ist er für die Filmgeschichte auf der Sonnenterrasse auf der Mittelstation Birg verewigt. Hier landete Bonds Gegenspieler per Helikopter mitten unter den Gästen, was Angst und Schrecken auslöste. Vollmer erinnert sich vor allem an die unzähligen Wiederholungen der Szene. Und nicht ganz ohne Stolz erzählt er, wie man ihn im Film ganz kurz erkennen kann in der aufgeschreckten Menge: «Das ist jeweils der Moment, wo bei uns zuhause der Film angehalten und in Zeitlupe abgespielt wird.»

Stuntman Russi

So wie bei Vollmers geht es wohl noch in einigen anderen Berner Haushalten. Obwohl die wenigsten Statisten von damals sich wirklich erkennen können in den Massenszenen, am Rand des Eisfelds in Grindelwald, an der Bobrennbahn in Mürren oder am Go-Kart-Rennen in Lauterbrunnen. Aber die Erinnerungen an die Drehtage im Berner Oberland sind vielerorts noch wach. Spektakulär war‘s. Und unvergesslich. Schon allein wegen der Tagesgage: 20 Franken plus eine Fahrt zum Drehort und ein Lunchpaket.

Da nahmen die Jungstatisten die Rüffel der verärgerten Lehrer*innen und die unentschuldigten Absenzen gerne in Kauf. Immerhin lockte die Aussicht – vielleicht – dem Superstar Diana Rigg zu begegnen. Sie war damals als Star der Gaunerkomödie «Mit Schirme, Charme und Melone» gerade ziemlich populär und jedenfalls einiges bekannter als der Bond-Darsteller George Lazenby, der übrigens nur einmal in diese Rolle des Geheimagenten schlüpfen durfte. Mürren hat er jedoch nicht vergessen. 2013 kam er für ein Erinnerungstreffen wieder auf den Berg und feierte, von Mürren Tourismus werbewirksam inszeniert, mit Vertretern der Filmcrew und einigen Statisten ein Erinnerungsfest. Und posierte auch mit Peter Vollmer für ein Bild.

Zwei schon etwas ergraute Filmstars: Peter Vollmer, der Statist, und George Lazenby, der James Bond im 6. Agententhriller. (Foto: Perer Vollmer)

Angestossen wurde auf spektakuläre Szenen – unter anderem mit Bernhard Russi als Stuntman. Unvergessen sind aber auch ein spektakulärer Lawinenniedergang, die Kameramänner, die abenteuerlich am Helikopter baumelten, die wilden Verfolgungsjagden auf Skiern und Bobschlitten. Und vor allem die Hauptdarstellerin, die sich todesmutig ins Tal stürzte… kniend auf einem Rettungsschlitten! Denn Ski fahren konnte sie ja nicht. Willy Bogner, der deutsche Skirennfahrer, der als Kameramann im Einsatz war, wusste auch diese Szenen fürs damalige Filmpublikum einigermassen glaubhaft darzustellen.

Die Drehtage 1969 waren oft weniger glamourös. Stundenlanges Herumstehen, -zig Wiederholungen der gleichen Szenen und kaum je ein Blick auf die Stars. Trotzdem: es machte Spass. Und wer dabei war, hat etwas zu erzählen. Und künftig eine ganz andere Sicht auf den Streifen, wenn er denn wieder einmal im Fernsehen zu sehen ist. «Da, da … der in der roten Skijacke, das bin ich.» In wie vielen Familien sind solche und ähnliche Sätze wohl Grund für augenrollende Kinder oder unterdessen bereits Grosskinder!

Der Streifen «Im Dienste ihrer Majestät» wurde im Übrigen kein Kassenschlager. Mit einem Einspielergebnis von «bloss» 646 Millionen gehört er zu den eigentlichen Flops der Reihe. Aber das ändert nichts daran, dass noch heute auf dem Schilthorn James Bond allgegenwärtig ist. Und einige Statisten noch lange von den Drehtagen in Mürren schwärmen. Und sich die Massenszenen jeweils mit Sperberaugen anschauen.

Das Film Ding 006: Der «Running Man» in der Wäschetrommel

von Rita Jost 9. Februar 2023

Sie standen einst in jeder Waschküche: Die kupfernen Wäscheschleudern, im Volksmund «Uswindi» genannt. Im Lichtspiel erinnert eine solche Trommel an die Zeit, als die Bilder laufen lernten.

Mit seinen weissen Haaren und dem buschigen Schnurrbart sieht er ein bisschen aus wie der zerstreute Wissenschaftler im Film «Back to the Future». Aber der 75-jährige Vladimir Malogajski ist alles andere als zerstreut, er ist hellwach. Und in die Zukunft blickt er auch nicht. Eher in die Vergangenheit. Aber Wissenschaftler ist er. Physiker, Chemiker, Philosoph und Tüftler.

1980 als Student von Belgrad nach Bern gekommen, studierte er an der hiesigen Universität und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung als Kristallograph. Er konstruierte Maschinen und Apparate zur Messung der Zusammensetzung von Kristallen. Seit der Pensionierung ist der drahtige Rentner mehrmals wöchentlich ehrenamtlich in der Werkstatt des Lichtspiels im Marzili anzutreffen. Er erfindet und konstruiert Maschinen, die den Besucher*innen die Welt des Films erfahr- und erlebbar machen.

Ich treffe Malogajski in der Werkstatt im alten Backsteinhaus an der Sandrainstrasse 3. Auf den Regalen um ihn herum eine Unmenge Kameras, Projektoren, Aufnahme- und Abspielgeräte und Filmrollen. An den Wänden Filmplakate und Leuchtschriften. Und mitten drin eine Wäschetrommel, wie sie einst in jeder Schweizer Waschküche stand. Vladimir Malogajski hat daraus ein Praxinoskop konstruiert.

Das Praxinoskop

Für ihn sei das eine ganz spezielle Maschine, sagt Valdimir Malogajski und versetzt der Auswinde einen Schubs. Das Schauspiel beginnt: Im Innern der Trommel erkennt man auf zwölf Spiegeln einen trabenden Läufer. Man kann um die Trommel herumgehen, aus jedem Winkel sieht man den Athleten. Er rennt, setzt einen Fuss vor den anderen, bewegt die Arme. Und für unser Auge wirkt diese Bewegung aus jeder Perspektive völlig natürlich und flüssig. Solange die Trommel sich dreht.

Das Praxinoskop wurde erfunden, als noch niemand das Wort Film kannte. Und doch, sagt Vladimir Malogajski, ist die Bildwiedergabe noch heute für das menschliche Auge perfekt, natürlicher kann sie der beste moderne Projektor nicht liefern. Aus einem einfachen Grund: Wir können uns um die Trommel herumbewegen und blicken aus allen möglichen Perspektiven auf den trabenden Mann. Und immer nehmen wir seine Bewegungen genauso wahr, als ob der Mann tatsächlich in der Trommel rennen würde. Die 12 Bilder, die auf die Spiegel projiziert werden, fliessen nahtlos ineinander über und wir nehmen es als einen perfekten Bewegungsablauf wahr.

«Die Filmpioniere dachten immer, man müsse mehr Bilder pro Sekunde liefern, damit das Auge überlistet werde», sagt Malogajski, «Ich bin überzeugt, es müssen nicht mehr Bilder sein. Man muss die Wahrnehmung nicht überlisten, man muss die Natur nachahmen.» Und unsere natürliche Aufnahmekapazität kann höchstens ein Bild alle zwanzig Millisekunden verarbeiten.

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Der «Running Man»

Erfunden wurde das Praxinoskop 1877 vom Franzosen Emile Reynaud. Der flache rotierende, oben offene Zylinder hatte etwa die Grösse einer Schallplatte. Auf der Innenseite der Aussenwand war ein Bildstreifen angebracht mit acht oder zwölf Bildern: Zeichnungen, später auch Fotos. Diese wurden in der Mitte des Zylinders auf die gleiche Anzahl Spiegel projiziert. Wenn sich die Trommel drehte, entstand aus der Bilderfolge eine fliessende Bewegung.

Damit verblüffte Reynaud sein staunendes Publikum. Ab 1892 zeigte er kurze Zeichentrickfilme, welche er Lichtpantomimen nannte. Die Vorstellungen wurden in Paris von Tausenden Menschen besucht. Mit Bildbändern konnte eine Projektionsdauer von 15 Minuten erreicht werden. Erst mit dem Aufkommen des Kinematografen der Gebrüder Lumière Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Ende des Praxinoskop eingeläutet.

Drei Bewegungsstudien des Chronofotografen Muybridge. (Foto: Rita Jost)

Der «running man» jedoch, die erste bewegte Bildfolge, die das Publikum zu sehen bekam, wurde ikonografisch. (Zu sehen ist er etwa im Vorspann eines jeden durch die Filmcoopi Zürich verliehenen Films). Die Fotos des rennenden Athleten hatte der Fotopionier Eadweard Muybridge gemacht. Der 1830 geborene Engländer, der sich in den USA einen Namen als Chronofotograf geschaffen hatte, schoss von verschiedenen Bewegungsabläufen mehrere Fotos innerhalb einer Sekunde.

So entstanden unter anderem Bewegungsstudien von Tänzerinnen, kriechenden Kleinkindern, Hoch- und Weitspringern und 1878 die legendär gewordene Serienaufnahme eines galoppierenden Pferds. Damit erbrachte er übrigens auch den Beweis, dass ein Pferd im Galopp kurzzeitig alle vier Hufe in der Luft hat.

Das Praxinoskop in der Wäschetrommel

Zurück in die Werkstatt des Lichtspiels zu Vladimir Malogajski. Er baute vor einigen Jahren ein Praxinoskop originalgetreu in eine Wäscheschleuder ein. Die ehemalige «Uswindi» fand er irgendwo im Bernbiet in einem Garten – zweckentfremdet als Blumentopf für Geranien. Als filmbegeisterter Tüftler erkannte Malogajski sofort die Möglichkeit, in diese Wäscheschleuder ein Praxinoskop einzubauen. Die Trommel war robust, gut erhalten, drehte ruhig und hatte den idealen Durchmesser. Konstruktionsangaben für Reynauds Apparat waren vorhanden.

Also bildete Malogajski die Erfindung aus dem 19. Jahrhundert nach und setzte Kopien der Fotos von Muybridges «running man» ein. Bei seiner Arbeit machte er übrigens eine für ihn überraschende Entdeckung: die Wasserturbine, mit deren Hilfe die «Uswindi» ursprünglich funktionierte, wurde genau im gleichen Jahr zum Patent angemeldet wie das Praxinoskop.

Das Praxinoskop wurde 1830 erfunden. Hier das Modell im Lichtspiel. (Foto: Lichtspiel)

Vladimir Malogajski gibt der Trommel wieder einen Schubs und erzählt, während der Athlet seine Runden dreht, nochmals vom erstaunlichen Phänomen der limitierten Aufnahmefähigkeit des Menschen. Die zwanzig Millisekunden sind auch für andere Sinne wie das Gehör und den Tastsinn offenbar seit Urzeiten eine Limite. Mehr Eindrücke in kürzerer Zeit können wir nicht verarbeiten.

Es scheint, dass dies natürlicherweise die Einheit ist, die uns ermöglicht, mit der Umwelt überhaupt zurechtkommen und uns zu orientieren. Auch modernste Technik kann deshalb das Praxinoskop in der Wiedergabe nicht überbieten. Sofern die Trommel in der richtigen Geschwindigkeit dreht.

 

Das Film-Ding 005: Die Fresnel-Linse (eine weihnächtliche Kulturgeschichte)

von Dieter Fahrer 23. Dezember 2022

Eine licht- und bahnbrechende Erfindung: Lebensretter für Seeleute in Not, Zauberstab für die Kinematographie und Wegbereiter für eine nachhaltige Zukunft.

Demonstration auf dem Triumphbogen

200 Jahre ist es her, als in Paris, bis weit über die Stadt hinaus sichtbar, Wunderliches geschah: Wir schreiben das Jahr 1822, den 28. August, ein Mittwoch wie viele andere. Doch am Abend versammeln sich Menschenmassen auf der Avenue des Champs-Élysées und schauen mit Neugier zum Triumphbogen hoch, auf dessen Dachterrasse eine Scheinwerferanlage aufgebaut wurde, die mit dem Einbruch der Nacht ihre schier unglaubliche Reichweite unter Beweis stellen soll.

Frankreichs König Louis XVIII und seine Entourage haben sich weit weg vom Stadtzentrum postiert: Aus 32 Kilometern Distanz sehen sie staunend ein Licht über dem damals noch dunklen Pariser Nachthimmel. Die Begeisterung ist riesig, auch bei der Akademie der Wissenschaften, deren Mitglieder der Demonstration ebenfalls beiwohnen.

Ein Weltwunder

Es ist die Geburtsstunde der Fresnel-Linse (Stufenlinse). Ihr Erfinder, der französische Physiker Augustin Jean Fresnel, hatte von der nationalen Leuchtturmkommission den Auftrag erhalten, nach Möglichkeiten zu suchen, um die Reichweite des Lichts von Leuchttürmen zu verbessern.

Fresnels Scheinwerferanlage wird über den Winter in Bordeaux gelagert und im Frühling 1823 auf dem Leuchtturm von Cordouan im Golf von Biskaya installiert. Weil Bordeaux nicht direkt am Meer liegt, ist diese Stelle für den Zugang in ruhige Gewässer für Seeleute oft nur schwer zu finden.

Das helle Bogenlicht rettete nicht nur Seefahrer in Not, es revolutionierte auch die Kinotechnik.

Am 25. Juli 1823, ein Jahr nach der eindrücklichen Demonstration auf dem Arc de Triomphe, wird die Fresnel-Maschinerie in Anwesenheit ihres Erfinders in Betrieb genommen. Das Leuchtfeuer von Cordouan ist jetzt aus dreimal grösserer Distanz zu erkennen.

Für Augustin Jean Fresnel muss dies ein grosser Moment gewesen sein, und gleichzeitig ein ganz übler, denn am gleichen Tag zeigt sein chronischer Husten blutigen Auswurf. Fresnel hat Typhus, eine Krankheit, die bei ihm nie mehr richtig heilen wird. Er stirbt vier Jahre später, im Alter von nur 39 Jahren.

Leuchttürme für die Seefahrt

Fresnels Innovation wird schnell bekannt und die Spezialisten der grossen Seefahrernationen reisen nach Frankreich, um das Leuchtwunder im Original zu sehen. In den folgenden Jahrzehnten wird die Leuchtturmtechnik weiterentwickelt, insbesondere, was die Leuchtmittel anbelangt. Fresnels Anlage in Cordouan war weithin sichtbar, aber die Lichtstärke noch nicht sehr gross, denn als Leuchtmittel wurde Rapsöl verwendet, das an drei dicken, zentral positionierten, Dochten brannte. Es entstehen nun Anlagen mit Gaslicht, später mit verschiedenen elektrischen Lichtquellen, wobei die Erfindung des Bogenlichts einen erneuten Quantensprung an Leuchtkraft bedeuten sollte.

(Das helle Bogenlicht rettete nicht nur Seefahrer in Not, es revolutionierte auch die Kinotechnik und kam bei Filmprojektoren zum Einsatz – nachzulesen in «Das Film-Ding 002: Der hitzige Filmprojektor».)

Die Fresnel-Linse

Die Brechung von Licht beim Übergang von einem Medium in ein anderes, wie z.B. von Luft in Glas, wurde schon im alten Ägypten und in Mesopotamien beobachtet.

200 Jahre vor der Erfindung der Fresnel-Linse wurde diese Lichtbrechung vom niederländischen Philosophen und Naturforscher Willebrord Snel mathematisch präzise berechnet (Snelliussches Brechungsgesetz). Gleichzeitig entstanden die ersten Fernrohre.

Doch die Herstellung von grossen optischen Gläsern war aufwendig und teuer. Dazu kam das enorme Gewicht der massiven Glaskörper, das der Herstellung von grossen Linsen enge Grenzen setzte.

Weil die Lichtbrechung nicht im Innern der Linse geschieht, sondern an ihren Oberflächen, kam Augustin Jean Fresnel auf die Idee der Massenreduktion durch die Aufteilung der Linse in abgestufte Kreissegmente, die die konvexe Krümmung präzise übernahmen. Die ‘unnötige’ Glasmasse wurde so auf ein Minimum reduziert.

Links: Klassische konvexe Sammellinse. Mitte: Schematische Darstellung der Massereduktion. Rechts: Die Fresnel-Linse mit minimierter Glasmasse. (Foto: parabolixlight.com)
Bündelung eines Lichtstrahls beim Durchgang durch die verschiedenen, kreisförmig angeordneten Segmente einer Stufenlinse. (GIF: Artworks Florida Classic Fresnel Lenses, )

Leuchttürme für den Film

Anfang der 1930er-Jahre entwickeln findige Lichtingenieure bei Mole-Richardson Co. in Los Angeles die Fresnel-Scheinwerfer für die Filmproduktion. Ihre Arbeit wird 1935 mit einem Oscar für technische Innovation ausgezeichnet.

Die Anwendung der Fresnel-Technik revolutioniert die filmische Bildgestaltung wie kaum eine andere zuvor und danach. Stufenlinsenscheinwerfer ermöglichen eine präzise Lichtführung auch auf grosse Distanz. Ihr Licht ist hart, präzise und hat doch auch einen schmeichelnden Touch, denn das Glas ist mattiert, um eine Abbildung der konzentrischen Kreise zu verhindern.

Seit ihrer Erfindung gehören Stufenlinsenscheinwerfer zu den unverzichtbaren Arbeitsinstrumenten aller Kameraleute, oder präziser, aller «Directeurs de la photographie/Directors of Photography», wie im grossen Kino die Meister der Lichtführung genannt werden, weil sie nicht für das Schwenken der Kamera zuständig sind, sondern für die Lichtinszenierung.

Gerätepark auf einem Filmset in den 1930er-Jahren.
Die verschieden grossen Stufenlinsen-Scheinwerfer haben unter Filmbeleuchter:innen noch immer die gleichen Spitznamen wie damals: Inky (300W), Baby (1 kW), Junior (2 kW), Senior (5 kW). In jüngerer Zeit dazugekommen sind noch der Tener (10 kW), das Big Eye (12 kW) und der Solarspot (20 kW). (Foto: essentialhome.eu)

Meister des Lichts

Einer der grossen Meister des filmischen Lichts war der Franzose Henri Alekan (1909-2001). In jungen Jahren hatte er noch mit den Erfindern des Kinos, den Brüdern Lumières, zusammengearbeitet. Doch schon bald wurde er selbst zu einem gefragten Directeur de la photographie. Sein Kernanliegen war das Rhythmisieren von Licht im Raum und die Erschaffung von präzise ausgestalteten Lichtstimmungen, die das Wesen des jeweiligen filmischen Werks zum Ausdruck brachten. Die Fresnel-Scheinwerfer gehörten zu seinen wichtigsten Werkzeugen, und er handhabte sie wie Zauberstäbe.

Meilensteine in der Geschichte des filmischen Lichts sind seine Lichtinszenierungen in «La Belle et la Bête» (1946) von Jean Cocteau und die mystische Lichtgestaltung in seiner letzten grossen Arbeit für «Der Himmel über Berlin» (1987) von Wim Wenders.

1991 hat Alekan seine Lichtphilosophie im dicken Bildband «Des lumières et des ombres» veröffentlicht, und er gewährt Einblick, wie er sich von den grossen Meistern der Malerei inspirieren liess und wie seine Beleuchtungsskizzen aussahen, die seinem Chefbeleuchter als Grundlage für die oft komplexe Umsetzung dienten. Die gebundene Edition dieses reichen Buchs ist leider vergriffen, kann jedoch in der Bibliothek der Kinemathek Lichtspiel eingesehen werden.

Hinter grossen Filmen verstecken sich oft grosse Freundschaften. Henri Alekan hat ab 1945 stets mit dem gleichen Chefbeleuchter gearbeitet: Louis Cochet (1907-2001). Die beiden Lichtgestalten verstanden sich blind. Ihre Zusammenarbeit war ernsthaft und spielerisch zugleich, jedoch immer der Poesie des filmischen Werks verpflichtet. Zwei Studenten der Hochschule für Film und Fernsehen in München HFF, Patrick Hörl und Ulrich Weis, konnten während den Dreharbeiten zu «Der Himmel über Berlin» mit Alekan und Cochet sprechen. Ihr Filmportrait gibt Einblick in die Arbeitsweise und das Denken der langjährigen Licht-Freunde:

Fresnel im «Alten Schweizer Film»

Auch die Kameraleute in der Schweiz arbeiten mit Stufenlinsenscheinwerfern, wenn sie präzises und stimmungsvolles Licht erschaffen wollen, seit jeher, so auch der Berner Kameramann Fritz E. Maeder (1936-2018), dessen Kameraarbeit für den Spielfilm «Dällebach Kari» exemplarisch die Bildsprache des sogenannten «Alten Schweizer Films» verkörpert.

Maeder setzte seine Fresnel-Lichtführung auch bei Dokumentarfilmen ein, so zum Beispiel bei seiner Zusammenarbeit mit dem Berner Fotografen und Dokumentarfilmer Kurt Blum.

Deutlich weniger kraftvoll ist Maeders Bildsprache bei Filmklassikern wie «Die Schweizermacher» oder «Kassettenliebe», beides Farbfilme, deren seichte Bildästhetik erkennen lässt, dass den Kameraleuten der alten Schule der Umgang mit Farbe als filmisches Gestaltungsmittel noch wenig vertraut war.

665 x Sonne

Der Nutzen von Fresnels Erfindung beschränkt sich heute längst nicht nur auf die Seefahrt und die Kinematographie. Die Anwendungsgebiete sind vielfältig. Insbesondere im Bereich der Photovoltaik spielen Fresnel-Linsen eine zukunftsweisende Rolle.

Seit 2020 wird am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg i.B. an hocheffizienten Solarzellen geforscht. Das Projekt heisst «50 Prozent», weil man sich erhofft, dass die neuesten Solarzellen des Typs «Konzentrator», die mit Fresnel-Technik arbeiten, einen Wirkungsgrad von 50% haben werden. Am 30. Mai 2022 konnten die Forschenden des ISE vermelden, dass mit 665-facher Sonnenkonzentration ein Wirkungsgrad von 47,6% erreicht wurde – eine kleine Sensation auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft.

Licht ist vielfältig und es hat bis heute nicht alle seine Geheimnisse offenbart, obschon Wissenschaftler:innen aller Kulturen und Zeiten seine Eigenschaften erforschten.

Für Euklid gingen die Lichtstrahlen vom Auge aus. Eine Metapher für das Licht des Bewusstseins?

Im Fokus des letzten Kapitels soll deshalb nicht die Fresnel-Linse stehen, sondern die Frage nach dem Licht selbst; eine kleine Kulturgeschichte der Erforschung des Lichts also, die einiges über das Wesen des Lichts aussagt, aber noch mehr über das Bewusstsein der Menschen, die sich immer wieder die gleiche Frage gestellt haben – eine Frage, die gut zu Weihnachten passt:

Was ist Licht?

Göttliches Licht

Im alten Ägypten wachte der Sonnengott Ra über allem, was war. Sein Licht war Licht und göttliche Sicht zugleich. Die Menschen lebten in seinem Licht und wurden gleichzeitig von diesem gesehen.

Aristoteles kam dem heutigen Lichtverständnis nahe: Licht kommt in seinen Schriften von einer Lichtquelle, wird von Gegenständen reflektiert und so vom Auge gesehen. Doch auch weiterhin machten Lichtvorstellungen Schule, die wir heute allenfalls noch als Metapher sehen können. So zum Beispiel bei Euklid, für den die Lichtstrahlen vom Auge ausgingen. Eine Metapher für das Licht des Bewusstseins?

Weisses Licht wird von einem Glasprisma gebrochen und in die Spektralfarben zerlegt,
weil jede Farbe ein anderes Brechungsverhalten aufweist. (GIF: wikimedia.com)

Die Farben des Lichts

Indem er einen weissen Lichtstrahl auf ein Glasprisma richtete, hat der englische Physiker, Astronom und Mathematiker Sir Isaac Newton (1643-1727) das weisse Licht in seine farbigen Bestandteile zerlegt.

Lichtausbreitung, Lichtbrechung und viele Phänomene in der Natur wie z.B. den Regenbogen konnte er so erklären. Doch Newton irrte, indem er glaubte, dass Licht aus winzigen Teilchen (Korpuskeln) bestehe, die von einer Lichtquelle ausgeschleudert würden.

Lichtwellen

Newton ertrug Kritik nur sehr schlecht und er bekämpfte seine physikalischen Konkurrenten mit Vehemenz. Als Christiaan Huygens 1678 die Wellennatur des Lichts postulierte (Huygenssches Prinzip), liess Newton seine Verbindungen als Vorsitzender der Royal Society spielen, und so sollte es noch lange dauern, bis sich die Vertreter der Wellentheorie, zu denen auch Fresnel zählte, Gehör verschaffen konnten.

Elektromagnetische Wellen im Äther

1864 formulierte James Clerk Maxwell die noch heute gültigen Grundgleichungen der Elektrodynamik und er erkannte, dass Licht eine elektromagnetische Welle ist. Allerdings vermutete er, wie damals die meisten Physiker, dass diese Welle nicht im leeren Raum existieren könne, sondern ein Ausbreitungsmedium brauche. Dieses Medium, das das gesamte Weltall ausfüllen müsste, wurde als Äther bezeichnet.

Die Doppelnatur des Lichts und des Menschen

Mit der Quantenhypothese von Max Planck (1900) wird Licht zur reinen Energie. 1905 erkennt Albert Einstein, dass das ganze Strahlungsfeld aus Quanten besteht. Für seine theoretische Herleitung erhält er 1921 den Nobelpreis.

Diese Quanten, die später Photonen genannt werden, besitzen jedoch eine «Doppelnatur». Wenn wir Teilchen suchen, dann finden wir sie, doch wenn wir Wellen suchen, dann zeigt uns das Licht seine Wellennatur. Das Licht vereint Eigenschaften von Welle und von Teilchen, ist beides, oder keines (Welle-Teilchen-Dualismus). Licht entzieht sich damit unserer konkreten Anschauung.

Der Begriff «Doppelnatur» wird seit jeher auch für das Wesen des Menschen angewandt, und es gibt viele Parallelen zu unserem Verständnis von Licht.

Über die Jahrtausende hat das Licht viele Wesenszüge preisgegeben, doch es hat auch Geheimnisse bewahrt.

So könnte hier nun noch eine Kulturgeschichte zur Doppelnatur des Menschen folgen. Es wäre dann von metaphysischem Dualismus die Rede, von kosmologischem, naturphilosophischem und religiösem Dualismus.
Es ginge um Sein und Werden, um Ewigkeit und Zeitlichkeit, Körper und Geist, Gut und Böse – oder zeitgenössischer, in den Worten des Zürcher Philosophen Ludwig Hasler:

«Der Mensch ist nichts Eindeutiges. Er ist der verkörperte Zwiespalt. Er hängt irgendwo zwischen dem Geist und dem Animalischen. Mensch ist er nur, solange er in dieser Spannung bleibt, solange er sich nicht versimpelt zu einer Eindeutigkeit. Um vergnügt zu leben, müsste er seine Doppelnatur akzeptieren.»

Ist der Mensch auch Licht, mag man sich fragen? Und:

Was ist Licht?

Über die Jahrtausende hat das Licht viele Wesenszüge preisgegeben, doch es hat auch Geheimnisse bewahrt. Licht ist das, was wir als Licht erkannt haben – doch es ist auch das, was wir noch nicht als Licht kennen.

Licht ist deshalb Wissen und Unwissen, ist Antwort und bleibt Frage.

Was ist Licht?

Leuchtende Weihnacht!

Fresnel-Linse von A.E. Cremer, Paris. (Foto: Kinemathek Lichtspiel Bern)

 

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Das Film-Ding 004: Ein «audiophiles Schweizermesser» für John F. Kennedy

von Dieter Fahrer 8. November 2022

Das «Nagra SN»: Ein Tonaufnahmegerät so klein und flexibel einsetzbar, dass Geheimdienste und Polizei es zur Spionage einsetzten.

Brennende Projekte

Als die Familie Kudelski aus Warschau, nach einer langen Flucht vor den Nazis, über Ungarn und Frankreich 1943 in die Schweiz gelangte, war ihr Sohn Stefan 14 Jahre alt. Niemand hätte damals gedacht, dass US-Präsident John F. Kennedy nach dem Krieg mit ihm Kontakt aufnehmen würde, mit einem höchst geheimen Auftrag, der bestens in einen James-Bond-Film passen würde.

Doch schon die Studienzeit von Stefan Kudelski war abenteuerlich. Nach dem Collège de Genève besuchte er ab 1948 die EPUL (heute EPFL) in Lausanne und begann ein Ingenieurstudium, das er jedoch nie abschloss. Seine eigenen Projekte brannten ihn mehr.

Noch während dem Studium entwickelte er den ersten Industrieroboter mit elektronischer Steuerung und 1951 das erste professionelle und transportable Tonaufnahmegerät, das «Magnetophon Nagra I», das er in zwei Exemplaren an «Radio Suisse Romande» verkaufen konnte.

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Kudelski hat das Potential seines Recorders sofort erkannt, denn damals waren Tonaufnahmegeräte so gross wie klobige Aktenkoffer und nur mühsam zu transportieren. Sein Nagra, kaum dicker als ein Bundesordner, und mit Tontechnik vom Allerfeinsten ausgestattet, ermöglichte erstmals ein sehr viel flexibleres Arbeiten.

Kudelski entwickelte die Maschine laufend weiter und sie wurde schon bald ein unverzichtbares Arbeitsinstrument für Tontechniker und Journalistinnen beim Rundfunk.

1958 kam das «Nagra III» mit Synchronspur, das speziell auf die Bedürfnisse der Tonmeister beim Film zugeschnitten war (Tonmeisterinnen gab es damals noch kaum).

Doch die edle Kiste, bei der auch die Schlitzschrauben-Köpfe poliert waren, war zwar mobil, aber gute 6,5 Kilogramm schwer. Davon können alte Tonmeister ein Lied singen, wie es sich anfühlt, wenn man stunden- und tagelang mit der schweren Maschine um den Hals auf einem Filmset arbeitet!

Stefan Kudelski mit einem «Nagra III» (Foto: Kudelski S.A.)

Das «Nagra III» und später die IV-er-Reihe, sowie die Stereoausführung ab 1977 wurden zu Verkaufsschlagern für Tonprofis in der ganzen Welt.

«Série Noire»

John F. Kennedy wurde während seiner knapp zweijährigen US-Präsidentschaft (1961-63) auf das blühende und innovative Unternehmen Kudelski S.A. in Cheseaux-sur-Lausanne aufmerksam. Ob er selbst mit Kudelski in Kontakt trat, ist nicht überliefert, aber die Anfrage aus den USA, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit am Lac Léman diskutiert wurde, muss dort wie eine Bombe eingeschlagen haben: Kennedy beauftragte Kudelski mit dem Bau eines Kleinsttonbandgeräts, das für Spionagezwecke geeignet sein sollte.

‘SN’ für ‘Série Noire’, ein passendes Kürzel für ein Gerät, das versteckt eingesetzt wurde – und das es bis 1970 offiziell gar nicht gab.

Kudelski und sein Team übertrafen sich selbst und entwickelten das «Nagra SN», das ab 1965 vom CIA und FBI gebraucht wurde. «SN» für «Série Noire», ein passendes Kürzel für ein Gerät, das versteckt eingesetzt wurde – und das es bis 1970 offiziell gar nicht gab.

«Nagra SN», im Hintergrund ein Exemplar des «American Cinematographer Magazine» aus dem Jahr 1970
(Foto: )

Das «audiophile Schweizermesser», wie das Mini-Nagra später von einem Journalisten bezeichnet wurde, war auch in der Stereo-Version nur gerade 590 Gramm schwer und es fand mit 146 x 101 x 26 Millimeter locker in der Westentasche Platz (Nagra SNST).

Natürlich war es batteriebetrieben, aber um Strom zu sparen wurden die Bänder von Hand zurückgespult. Dazu konnte eine kleine Kurbel ausgeklappt werden, die mit spitzen Fingern und etwas Geschick ein schnelles Umspulen der nur 3,81 Millimeter (0,15 Zoll) breiten Magnetbänder ermöglichte.

(Fotografik: cryptomuseum.com)
(GIF: Audiophiles and the Cold War/Nikita )

Fichen, Stasi, Nachtgeschichte

1970 präsentierte Kudelski das Nagra ST auf der Photokina in Köln und ab 1971 war das kleine Technikwunder frei käuflich. Schweizer Behörden und Kantonspolizeien gehörten nun auch zu den Kunden und sie verwendeten das Mini-Nagra zur Überwachung der eigenen Bürger:innen (Fichenaffäre). Wenig erstaunlich, dass auch die DDR-Stasi zu den Käuferinnen gehörte.

Doch auch die Profis der Filmbranche stürzten sich auf die Innovation aus Lausanne, denn es gab noch lange keine Ansteckmikrofone mit Funkübertragung. Das Mini-Nagra eröffnete erstmals die Möglichkeit, Schauspieler:innen mit einem Aufnahmegeräte auszustatten und lippennah ihre Stimmen und Geräusche aufzuzeichnen.

Auch Expeditions- und Autorenfilmer:innen nutzten das kleine Nagra, so auch Clemens Klopfenstein, das enfant terrible der Schweizer Filmszene, der schon bei den Dreharbeiten für seinen Essay-Reisefilm «Geschichte der Nacht» (1978) den Ton mit einem Mini-Nagra aufnahm. Ein Filmnomade mit leichtem Gepäck. Und er blieb dem Mini-Nagra treu – oder besser: das Nagra ihm, denn bei Klopfenstein musste der Kleinrecorder einiges aushalten (Siehe auch: Info-Box).

Kürzlich hat eine Lichtspiel-Delegation Klopfenstein in Italien besucht und diverse in die Jahre gekommene filmtechnische Geräte abgeholt, die die Gerätesammlung der Kinemathek am Aareufer bereichern. Mit dabei: der Alukoffer, der Klopfensteins Mini-Nagra-Ausrüstung enthält, die über Jahrzehnte in einem Keller lagerte. Trotzdem brauchte das kleine Juwel nur neue Batterien und die Spulen drehten sich wieder.

Das Gerät wird nun von den Spezialisten im Lichtspiel revidiert und der Koffer sanft aufgeräumt, denn er soll auch in Zukunft einen unverblümten Einblick in die Vergangenheit und Arbeitsweise des bekannten Schweizer Filmschaffenden gewähren.

Tonkoffer «Nagra SN» von Clemens Klopfenstein
mit Originaltonbändern von den Dreharbeiten zu «Der Ruf der Sibylla», 1985
Streaming: https://www.artfilm.ch/de/der-ruf-der-sibylla
(Fotos: Kinemathek Lichtspiel)

Oscars als Beilage

Der Oscar («Academy Award of Merit») gehört zu den heiss begehrten und viel umjubelten Preisen in der Welt des Films. Für seine technischen Errungenschaften wurde Stefan Kudelski gleich mehrmals damit ausgezeichnet. In lockeren Abständen, 1965, 1977, 1978 und 1990, gewann er eine Statuette nach der andern – sozusagen als Beilage. Vermutlich hat Stefan Kudelski auch den Dr. h.c., den ihm die EPFL Lausanne 1986 verlieh, mit Freude und einem Schmunzeln angenommen, er, der Studienabbrecher von anno dazumal.

Wirklich interessiert haben ihn weitere technische Innovationen und als in den 80er-Jahren die Digitalisierung alle Lebensbereiche zu durchdringen begann, stellte er die Weichen für eine Neuausrichtung der Firma, die sein Sohn André ab 1991 weiterführte.

Stefan Kudelski mit zwei seiner Oscars (Foto: RTS)

Die Kudelski S.A. ist heute ein börsenkotiertes Unternehmen, das sich auf digitale Sicherheitssysteme spezialisiert hat. Ihre neu entwickelten Technologien finden u.a. Anwendung im Bereich der Informationsübertragung, dem Schutz von Inhalten im Digitalfernsehen (Verschlüsselungssysteme) und der Zutrittskontrolle von Personen oder Fahrzeugen bei Veranstaltungen, zu Liegenschaften oder auf Skipisten.

Das Film-Ding 003: 9.5mm, das Nostalgieformat

von Rita Jost 13. September 2022

Filme von den ersten Gehversuchen des Sohnes, bewegte Surfbilder aus der Karibik, Geburtstags- und Hochzeitsfilmchen… Wer denkt, solche Eigenproduktionen für die Familie seien neu, kann jetzt in der Kinemathek Lichtspiel staunen. Heimkino gibt’s seit 100 Jahren!

1922 lancierte die französische Filmfirma Pathé das Heimkino. Die Kamera und der Projektor Pathé-Baby ermöglichten es, mit einer relativ handlichen Ausrüstung privat Filme zu drehen, zu bearbeiten und zu zeigen. «Alles war sehr klein, fast spielzeugartig,» sagt David Landolf vor der Vitrine im Lichtspiel mit den Filmrollen und Kameras rund um diese Neuheit aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts.

Das Filmformat 9.5 mm hatte eine Mittellochung, was fast die volle Ausnützung des Filmstreifens möglich machte. Die gleichzeitig auf den Markt gebrachte Montageausrüstung samt Klebeanleitung garantierten eine einfache Montage der Filmstreifen. Kein Wunder, dass die Kamera plötzlich eine beliebte Anschaffung war – allerdings nur für Besserbetuchte. Aus historischer Sicht ist das trotzdem ein Glücksfall. Es gibt deshalb heute noch eine grosse Auswahl an Familienfilmchen, die Alltagssituationen dokumentieren aus einer Zeit, als die Bilder erst gerade laufen lernten. Diese Filmchen können nun besichtigt werden. Das Lichtspiel feiert den 100. Geburtstag des 9,5 mm Filmformats mit einer Reihe von Anlässen und einer Ausstellung.

Im letzten Jahr hat das Lichtspiel mit einem Aufruf Filmmaterial gesucht, das irgendwo in Familienarchiven lagert. Und man wurde fündig. Diese Filme wurden von einer Mitarbeiterin katalogisiert und z.T. digitalisiert, und sie werden einmal pro Monat gezeigt. Da gibt es z.B. Filme einer Familie aus Wabern, die die akrobatischen Übungen der Familienmitglieder festhalten oder einen Film aus Basel mit Eindrücken von Fasnachtsumzügen und von einer Völkerschau (!) aus den Zwanzigerjahren. Ein Teil dieses Materials kann auch auf der Website des Lichtspiels angeschaut werden.

Berner 9.5-Fans

Im Archiv des Berner Lichtspiels lagern auch Statuten und Jahresberichte des 1953 gegründeten «Berner Filmclubs 9.5mm». Dieser zeitweise sehr aktive Verein von Amateurfilmern hatte einst über 100 Mitglieder, die sich international auch erfolgreich an Wettbewerben beteiligten. In den späten Sechzigerjahren bekamen diese Filmfreunde der ersten Stunde allerdings Konkurrenz von einem neuen Format. In den Jahresberichten liest man immer öfter vom «Angriff der Super-8-Filmer». 1969 wollten diese gar Clubmitglieder werden, was eigentlich angesichts des Mitgliederschwunds und der Überalterung bei den 9,5mm-Filmern erwünscht gewesen wäre. Aber das Ansinnen wurde abgelehnt. O-Ton aus dem Jahresbericht: «… bei den meisten (unserer) Mitgliedern setzte sich die Überzeugung durch, dass wir unser Ziel, die Erhaltung und Förderung des 9,5mm-Formates, nur erreichen können, wenn wir bleiben was wir sind. Wer würde sich für die 9,5er einsetzen, wenn im Club die anderen Formate in der Mehrzahl sind?»

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Der 9.5 Filmclub Bern bestand noch bis 2009, dann wurde er nach 56 Jahren aufgelöst und bloss noch als «lockere Kameradschaft» weitergeführt. Das Bedauern über die Auflösung des Clubs hielt sich wohl in Grenzen. Aber es gab – im digitalen Raum – immerhin auch Bedauern: «Schade, denn dieser Filmclub war immerhin noch der einzige Echtfilmclub ohne irgendwelche digitalen Ambitionen in der Schweiz. Es fand eine starke Überalterung statt und es waren schlussendlich einfach zu wenig Mitglieder, um ein Weiterbestehen aufrecht zu erhalten.»

Nach Informationen des Lichtspiels lebt heute wohl nur noch ein ehemaliges Mitglied des 9.5mm Filmclubs. Der Veteran hat – zusammen mit seiner Tochter – die Ausstellungseröffnung besucht.

Das Film-Ding 002: Der hitzige Filmprojektor

von Rita Jost 25. Juli 2022

Heute präsentieren wir – passend zur Hitzewelle – einen Projektor, der für heisse Vorstellungen sorgte.

Aus dem Jahr 1924 gibt es einen Stummfilm mit Buster Keaton («Sherlock Junior»), in dem der amerikanische Schauspieler und Komiker als Filmoperateur Detektiv spielt und während der Vorführung in seinen Gedanken die verrücktesten Dinge erlebt.

Der Projektor, den er bedient, ist ein Ungetüm, das beim Abspielen so heiss wurde, dass man darauf Spiegeleier hätte braten können. Mit Hilfe von zwei Kohlenstäben produzierte der Apparat einen Lichtbogen, der die einzelnen Filmbilder beleuchtete. Der Operateur musste höllisch aufpassen, dass der 35 Millimeter-Nitrocellulosefilm beim Abspielen nicht Feuer fing. Der Apparat wäre sonst explodiert.

Genauso ein Abspielgerät steht auch im Berner Lichtspiel. Es ist einer der ältesten Projektoren der Sammlung. Und das Gerät vom Hersteller Pathé ist sogar ein portables Modell, was eine Seltenheit ist. Der Apparat wurde in einem Holzkasten transportiert und konnte irgendwo im Freien, oder in Sälen bei Vereins- oder Familienanlässen aufgestellt und bedient werden.

Man kann sich vorstellen, dass vor hundert Jahren solche Vorführungen für volle Zuschauerränge und nicht geringe Verblüffung gesorgt hatten. Natürlich nur, wenn der Operateur sein Handwerk verstand, denn das Abspielen hatte eben seine Tücken: der Abstand der beiden Kohlenstäbe musste dauernd überwacht und justiert werden, die Filmrolle durfte ja nicht zu nahe an die Lichtquelle kommen, sonst hätte das Filmmaterial Feuer gefangen.

 

Eine von vielen Trouvaillen im Lichtspiel: ein 100-jähriges portables Projektor-Modell aus dem weltberühmten Hause Pathé (Fotos: Lichtspiel).

Das Gerät wurde in den Zehner- und Zwanzigerjahren hauptsächlich im Profibereich eingesetzt, aber das Modell im Lichtspiel stammt von einem Privatmann: vom Vater des späteren Chemienobelpreisträgers Richard Ernst (1933 – 2021). Johannes Robert Walter Ernst (1892 – 1955) war Architekt und Offizier der Schweizer Armee. Er hatte den Filmprojektor offenbar erworben, weil er schlicht technisch interessiert war. Er unterrichtete auch in Winterthur und habe immer gesagt, er wolle «die Welt dokumentieren». So jedenfalls erzählte es der im letzten Jahr verstorbene Richard Ernst den Leuten vom Lichtspiel.

Zusammen mit dem Apparat hat die Familie dem Lichtspiel auch mehrere private Filme überlassen. Von Armeeübungen, aber zum Beispiel auch jene von der Hochzeitsreise des Hobbyfilmers, die per Schiff nach St. Petersburg führte. Der Film sei in seiner Familie regelmässig den staunenden Besuchern gezeigt worden, erzählte Richard Ernst. Sein Vater sei im übrigen nie Mitglied eines Filmclubs gewesen, er habe sich das Handwerk selber beigebracht.

Filmbilder aus der Privatsammlung Ernst: die Hochzeitsreise per Schiff nach St. Petersburg (Foto: zvg).

Man fragt sich, warum vor hundert Jahren nicht eine elektrische Lampe als Lichquelle installiert wurde. Elektrizität gab es ja bereits. David Landolf, der Leiter des Lichtspiels, hat die Erklärung: Elektrisches Licht war damals noch viel zu wenig intensiv. Nur der Kohlenbogen lieferte die nötige Helligkeit.

Das Film-Ding No. 001

von Dieter Fahrer 21. Mai 2022

Zentralamerika, Hippietrail und Patent Ochsner: Diese Truhe und die in ihr gelagerte Kamera aus dem Archiv des Lichtspiels haben viele Geschichten zu erzählen. Ein Rückblick von Dieter Fahrer in Fotos und Filmen. Wir veröffentlichen ausserdem das letzte mit dieser Kamera gedrehte Filmjuwel: «Ludmilla» von Patent Ochsner aus dem Jahr 1994.

Das FILM-DING No. 001 ist eine Kiste.
Das passt gut zur siebten Kunst, die schon in ihrem Ursprung nomadisch war, denn die Geschichte des Kinos beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Jahrmärkten: Optische Täuschungen, Stereoskope, Panoramen und Lichtbildprojektionen gehörten zu den magischen Künsten der Schausteller, die von Stadt zu Stadt zogen. Und die Filmschaffenden selbst, die ihre Werke in aller Welt realisieren, gehören zu den Nomaden unserer Zeit, die mit Kisten leben, ihre Gerätschaften darin transportieren – und oft auch einfach darauf sitzen, wenn Warten angesagt ist.

Die hier abgebildete Aluminiumkiste von «Zarges» aus Weilheim in Oberbayern (noch heute Hersteller bester Ware) wurde von verschiedenen Menschen «besessen». Gekauft hat sie der deutsche Filmemacher Werner Penzel in den 1970er-Jahren, um seine 16-mm-Filmausrüstung solide zu verpacken, damit sie auch auf holprigen, feuchten, oder staubigen Reisen geschützt blieb. Die Kiste und die darin transportierte Filmkamera, eine Eclair ACL, und einiges an Zubehör und Objektiven ist heute ein Bestandteil der grossen Gerätesammlung der Kinemathek Lichtspiel.

Die Eclair ACL war eine äusserst beliebte Kamera in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts. Auch Clemens Klopfenstein hat seine Filme mit ihr gedreht. Es war die erste Kamera in schallgeschütztem Gehäuse (geblimpte Kamera), die tauglich war für Dreharbeiten mit Direktton in einem kleinen Team, insbesondere auch für Dokumentarfilme.

Penzel konnte seine ACL gebraucht, aber in noch gutem Zustand, vom ZDF erwerben und er hat damit seinen Film «Vagabundenkarawane» mit der deutschen Band «Embryo» realisiert, als diese in den 70-er-Jahren auf dem Landweg nach Indien reiste. Ein flirrender Musiktrip aus Hippie-Zeiten:

Mehrere Dokumentarfilmprojekte in Zentralamerika folgten. In den Jahren 1989/90 war Werner Penzel zusammen mit Nicolas Humbert (München) und Dieter Fahrer (Bern) unterwegs für die Dreharbeiten zu «Step Across the Border», jenem von Res Balzli (Balzli & Cie, Nidau) produzierten Musikfilm, der in den 90-ern zum Kultfilm avancieren sollte.

Ein letztes Mal zum Einsatz kam die Kiste und ihre 16mm-Kamera für die Dreharbeiten des Musikclips «Ludmilla» mit «Patent Ochsner» im Jahr 1994 (Autoren/Regie: Dieter Fahrer, Bernhard Nick. Montage: Regina Schorneck). Das 4:3-Bildformat wurde auf 16:9 kaschiert und der verbleibende Bildbereich in einem aufwendigen Laborprozess bei «Schwarz Filmtechnik» in Ostermundigen zubelichtet. In diesen Schwarzbereich wurden mit den damals üblichen chemisch-mechanischen Verfahren, Bild für Bild, Untertitel in die Filmemulsion geätzt.

Eine dieser Filmkopien hat die Jahrzehnte überlebt. Sie wurde von der «Kinemathek Lichtspiel» gescannt und von Christoph Walther (trinipix GmbH) digital remastered. Journal B veröffentlicht das letzte kleine Filmjuwel aus der weitgereisten Kiste einer Gruppe von Cinenomaden:

Patent Ochsner: «Ludmilla», 1994