Schon der Applaus an diesen Weltmeisterschaften ist ungewöhnlich. Das junge, überwiegend weibliche Publikum klatscht im Einklang, die Athlet*innen rennen im Gleichschritt zum Rhythmus des Applauses in die Arena, verbeugen sich vor den Richter*innen, bevor sie sich an der Seite der Manege aufstellen. Dann wird es ganz still. Und bleibt still. Egal, welche halsbrecherischen Kunststücke die Turner*innen vorführen – niemand klatscht oder jubelt. Denn die Athlet*innen führen ihre Hebefiguren und Saltos nicht auf dem Boden aus – sondern auf einem galoppierenden Pferd.
Es braucht Kraft, Gleichgewicht, Beweglichkeit und gleichzeitig auch Musikalität und Ausdruck
Pferde sind bekanntermassen Fluchttiere. Die Sicherheitsvorkehrungen sind dementsprechend strikt: Blitz ist nicht erlaubt, Klatschen während der Aufführung auch nicht. Das Publikum ist angehalten, nichts fallen zu lassen, um die Pferde nicht zu erschrecken. «Damit sich die Pferde an die Umgebung gewöhnen können, reisen die Voltigeteams schon Anfang Woche an», erklärt Nicole Heppler, Medienbeauftragte der Vaulting Championships.

Die Pferde dürfen die Halle der Post Finance Arena in aller Ruhe erkunden, an den Blumen schnuppern, sich an die Manege gewöhnen. Ausserdem werden sie tierärztlich untersucht. Dann gibt es einen Probedurchlauf unter Wettbewerbsbedingungen, mit Musik, Publikum und allem Drum und Dran. «Danach darf nichts mehr verändert werden, kein einziges Bouquet umgestellt», so Nicole Heppler, deren Bruder selbst bei den Voltigiermeisterschaften antritt.
Nur etwa ein Viertel meines Trainings findet auf dem Pferd statt
Gleich gegenüber der Post Finance Arena befinden sich die Stallungen des Nationalen Pferdezentrums, wo die 125 Pferde, die mit ihren Teams an die Weltmeisterschaften gereist sind, einquartiert sind. Da grasen Wallache und Stuten mit so kuriosen Namen wie «Le Garçon de Mon Cœur» oder auch «Irresistible». Die meisten sind mit Pferdetransportern in der Grösse eines Reisecars angereist. Dies aus Kosten- und Effizienzgründen: So können mehrere Teams ihre Pferde zusammen transportieren.

«Allerdings haben die wenigsten aus Übersee ihre eigenen Pferde mitgebracht», erklärt Heppler. Stattdessen starten diese mit Pferden aus der Nähe. Ein gewisser Nachteil – denn beim Voltigieren geht es nicht nur darum, dass die einzelnen akrobatischen Kunststücke perfekt geturnt werden, auch das Pferd wird bewertet. «Für das Pferd besteht die Schwierigkeit darin, die Gewichtsverlagerungen auf seinem Rücken immer wieder auszugleichen und möglichst gleichmässig zu galoppieren», so Nicole Heppler.
Was mir am Voltigieren besonders gefällt, ist die Vielseitigkeit des Sports
Fast so gleichmässig wie das Roboterpferd, das draussen vor der Post Finance Arena zum Testen steht. Ein mechanischer Kasten, der sich in sanftem und unermüdlichem Galopp bewegt. Ein Grossteil des Trainings von Voltigierer*innen findet denn auch auf solchen Geräten statt – um die Übungen zu perfektionieren und das Pferd zu schonen. «Nur etwa ein Viertel meines Trainings findet auf dem Pferd statt», erklärt denn auch Lukas Heppler, der nicht nur als Co-Präsident die Meisterschaften mitorganisiert hat, sondern auch selbst als Athlet bei den Voltigierwettkämpfen antritt.

Für den Berner ist es ein Heimspiel. Wie auch für die Voltigiererin Ilona Hannich, die ebenfalls an den Meisterschaften antritt und die auf dem vierten Platz knapp den Podestplatz verpassen sollte. Die beiden trainieren im Nationalen Pferdezentrum gleich nebenan.
«Was mir am Voltigieren besonders gefällt, ist die Vielseitigkeit des Sports», erklärt Lukas Heppler, «Es braucht Kraft, Gleichgewicht, Beweglichkeit und gleichzeitig auch Musikalität und Ausdruck, um die Choreographie umsetzen zu können.»

Angefangen hat Lukas Heppler mit dem Voltigieren als seine Schwestern die ersten Reitstunden genommen haben. Er wollte auch, war jedoch noch zu klein, um reiten zu lernen. Deshalb erhielt er zuerst einige Voltigierstunden. Da man das Pferd nicht selbst führen muss, kann man sich an die Bewegungen gewöhnen und mit dem Tier vertraut machen. Im Breitensport ist das nicht ungewöhnlich. Tatsächlich galt Voltigieren aus diesem Grund auch lange Zeit eher als Kindersport.
«Ich habe dann ein paar Reitstunden genommen, bin aber schliesslich beim Voltigieren hängen geblieben», erzählt Lukas Heppler. Oftmals seien das zwei verschiedene Welten, erklärt auch seine Schwester: «Einige, die voltigieren, reiten sonst überhaupt nicht.» Lukas Heppler reitet zwar von Zeit zu Zeit, ein Pferd zum Reiten ausbilden, könne er aber nicht, wie er erklärt.

Drinnen laufen derweil die Meisterschaften weiter. Die Voltigierer*innen müssen drei Teile durchlaufen: Die Pflicht, in der alle dieselben Übungen vorführen müssen; ein Technikprogramm, bei dem in eine individuell gewählte Choreografie fünf Übungen eingebaut werden müssen; und die Kür, bei der ein völlig frei zusammengestelltes Programm geturnt wird. Es gibt Einzelwettkämpfe, Partner- und Gruppenwettkämpfe, sowie einen Nationenpreis, für den jedes Land mit zwei Einzelvoltigierer*innen und einer Gruppe antritt.
Viele der Teilnehmenden sind auffallend jung, wie im Kunstturnen auch, die jüngsten nehmen hier schon mit 12 oder 13 Jahren an den Weltmeisterschaften teil. Lukas Heppler gehört mit seinen 31 Jahren schon zur älteren Generation in diesem Wettkampf. «Irgendwann kann man nicht mehr mithalten, das ist klar», so der Berner, «Ich möchte aber voltigieren, solange ich Spass dabei habe.»
