Glücksforschung in Zeiten von Corona

von Rita Jost 17. März 2020

Unglaublich: vor nicht einmal 100 Tagen umarmten wir wildfremde Menschen, stiessen an auf «Glück und ein gesundes 2020», und die einzige Sorge schien, ob anderntags Sonne, Regen oder Schnee angesagt sein würde.

Und jetzt? Ein Leben mit Nah-Kontakt-Verbot, mit genau definiertem «Freigang» und dem Stempel «vulnerabel» für Leute ab 65. Und plötzlich wird mir (69) klar, was «Glück» eigentlich ist bzw. war.

 

Zum Beispiel:

– mein vierjähriges Nachbarskind, das jederzeit bei uns reinschneit, uns zum Lachen bringt, mit mir Kuchen backen, Legotürme bauen, Büechli anschauen, verkäuferlen, ysebähnlen, verstecklen… will. Fällt aus, wegen Corona gestrichen!

– meine Freundinnen mit denen ich mich zum Pilates oder zum Walken treffe, die mit mir schwitzen, mir auf die Finger klopfen, mich umarmen … Körpernahe Tätigkeiten – also auch gestrichen!

– Diskussionen, Theater-, Kino und Ausstellungsbesuche – fällt alles aus.

– Besuche, Teilhabe am Alltag der anderen. Untersagt.

 

Und Glück war auch:

– Nachrichten und Zeitungen ohne «Corona»-Schlagzeilen

– TV-Sendungen ohne Kinder, die über Fallzahlen dozieren

– Werbebotschaften wie «happy spring», «ab in den Süden», «da möchte man nur noch Kofferpacken» usw, die man höchstens verlockend (und nicht zynisch) fand

– Begegnungen im Freien, ohne den Gedanken «was tut denn der/die noch hier?»

– Weiss- und Grauhaarige zu sehen, ohne das schreckliche Wort «vulnerabel» zu denken

 

Und nicht zuletzt war Glück:

– Die etwas langweilige, aber weitgehend sorglose Normalität

– Die simple Freude am Frühling, an spriessenden Tulpen, blühenden Forsythien, grünenden Bäume, und die Lust sich mit Setzlingen einzudecken …

– Das Spielen, Kreischen, Tollen, Rumtoben, Brüllen, Jubeln, Streiten der Kinder draussen….

 

Die Liste liesse sich endlos fortsetzen. Klagen mag man nicht (solange man kein Fieber hat; oder müsste man wohl mal messen…?), aber vielleicht darf man ja ein bisschen ins Philosophieren geraten. Zum Beispiel über die Frage: warum fühlt sich Glück in der Gegenwart so selten an wie Glück?