Nachdem wir am Freitag mit Hatepop unterwegs waren (ein ausführlicher Beitrag dazu folgt noch) und angesichts der hohen Temperatur war am Samstag gemütliches Programm angesagt. Offenbar sahen das viele Festivalbesucher*innen ähnlich, das Publikum wirkte insgesamt etwas müde. Da war neben der Zeltbühne in der Wiese sitzen und mit halbem Ohr den Emotional Oranges lauschen genau das Richtige. Eigentlich sollte zu dieser Zeit ja Sampa the Great spielen, doch aufgrund von Anreiseproblemen verschob sich ihr Konzert nach hinten.
Auf der Hauptbühne folgte dann ein Klassiker: Lo & Leduc auf ihrem Hausberg. Die Berner Publikumslieblinge boten auch ein klassisches Lo & Leduc-Gurtenkonzert mit allem was dazugehört. Pacomé, die Band hinter dem Duo spielte wie immer auf hohem Niveau, das Repertoire umfasste Songs bis zum Debutalbum «Zucker fürs Volk» und Lo gab seine Freestylefähigkeiten zum Besten. Das Lied «Fründ» sorgte dann doch noch für etwas Tiefgang und bei einigen im Publikum gar für Gänsehaut. Einem Grossteil schien die thematische Schwere des Songs allerdings nicht bewusst zu sein, anders lässt sich das gut hörbare Geschwätz allenthalben nicht erklären. Allgemein schien es den beiden Musikern weniger als auch schon zu gelingen, mit dem Publikum in Verbindung zu treten.
Etwas mehr Erfolg mit der emotionalen Schiene hatte Rapper Nativ. Dach ungefähr drei Liedern holte er zu einem Monolog gegen Hass und Vorverurteilungen aus. Das Ganze kam zwar etwas hölzern und stream-of-consciousness-mässig daher und zog sich zu lange hin, doch er schien einen Teil des Publikums damit abzuholen. Vor allem schien Nativ danach gelöst und riss das Waldbühnenpublikum mit.
Dann endlich war es soweit: Die sambische Künstlerin Sampa the Great betrat die Zeltbühne (wegen Problemen mit den Speicherkarten gibt es davon leider keine Bilder). Obwohl fast zeitgleich Deichkind auf der Hauptbühne auftrat, versammelte sich doch ein ansehnliches Publikum, das Sampas Hip-Hop mit Einflüssen aus Gospel, Neo-Soul, Zamrock und elektronischer Musik zu schätzen wusste. «Zu Hause fragten uns viele, warum wir in der Schweiz spielen werden, ihr würdet doch ohnehin nicht verstehen was wir machen», erzählte die Sängerin auf der Bühne. Doch Musik sei eine universelle Sprache, deshalb habe sie sich keine Sorgen gemacht. Zurecht, denn die Herzen der Anwesenden wusste Sampa zu erobern.
Ausgetauschtes Publikum
Der Sonntag unterschied sich deutlich vom Rest des Festivals. Viele der Besitzer*innen eines Viertagespasses hatten sich im Vorfeld gegen das zusätzlich zu lösende Sonntagsticket entschieden. So war das Publikum am letzten Tag zu grossen Teilen ausgetauscht und der Altersdurchschnitt insgesamt höher. Was nicht erstaunt, mit Bands wie Fettes Brot oder den Toten Hosen wurde klar eine andere Altersgruppe angesprochen als beim Rest des Programms.
Ein Blick auf die T-Shirts der Besucher*innen zeigte, dass die meisten vorwiegend für eine Band da war: die Hosen. Etwas undankbar für andere Acts, wie Steiner & Madlaina, die auch einen Platz im regulären Programm verdient hätten. Das Indie-Folk-Pop-Duo zeigte sich dennoch überwältigt ob dem Andrang vor ihrer Bühne. Es seien mehr als bei ihrem letzten Mal auf der Waldbühne. Mit ihren scharfsinnigen Texten und mitreissenden Klängen taten sie dem doch sehr seichten Sonntagsprogramm gut.
Die Toten Hosen lieferten mit ihrem Fussballstadion-Punk, was von ihnen zu erwarten war. Als stimmungsvoller Abschluss funktionierte das ganz gut. Das Publikum sang und hüpfte mit und liess sich von Campinos krächzender Stimme animieren. Dafür, dass so viele Fans extra für ihre Band angereist waren, wäre aber doch mehr zu erwarten gewesen. Immerhin sorgten ab und an Pyros für ein wenig Fankurvenstimmung.
Luft nach oben
Alles in allem bot das Gurtenfestival 2023 einige schöne Überraschungen, hochkarätige Acts und kleine Perlen. Musiknerds fanden ihre nischigen Konzerte, zu deren Besuch sie ihre Friends nötigen konnten, grundneugierige Hörer*innen dürften die eine oder andere Neuentdeckung gemacht haben und das hitparadenaffine Publikum kam sowieso auf seine Kosten. Nächstes Jahr tun es aber vier Tage auch wieder.
Überschattet wurde das ganze leider vom mangelhaften Awarenesskonzept. Was aber nicht ist kann zum Glück noch werden. Dem Publikum ist es zu wünschen, dass das Gurtenfestival fürs nächste Jahr daraus seine Lehren zieht. Dem Gurtenfestival ist es zu wünschen, dass sein Publikum aufs nächste Jahr diskriminierungssensibler wird.