Für Beat Sterchi

von Guy Krneta 5. Juni 2015

Ich lebe in einer vielsprachigen Welt. Dialoge wie folgender im Bus – geschrieben von einer Schülerin im Rahmen einer Schreibwerkstatt – sind durchaus realistisch.

A: hey dusho geitz guet?

B: ma super u dir o?

A: jebote zivi se…

B: wieso shta je bilo?

A: ke anig

B: ehj vidi de luegt di huere shreg a man jebo mu mater

A: lassy de verzeu witter shta je bilo?

B: ke anig ashiss znash… jebote

A: okey ako neces reci… wo geish jetzt?

B: kuci a ti schatz?

A: haha jebote schatz haha… gange o hei

B: ehjj odo ja… bis einisch

A: hmm oke ciao pazi se

A: ehj wart shneu… chum am samsti i atlantis bice ludilo

B: i luege no ok ciao

Wenn davon die Rede ist, dass Muttersprache Identität begründet, kommt mir das immer ein bisschen anachronistisch vor. Unbestreitbar prägt sprachlicher Alltag die Identität von Menschen. Doch wachsen heute viele zwei- oder dreisprachig auf. Sie haben deswegen nicht zwei oder drei Identitäten. Vielmehr liegt ihre Identität genau in dieser mehrsprachigen Situation.

Die veränderten, vielleicht auch gar nicht so neuen Sprachrealitäten – man denke an Elias Canetti – finden in der heutigen, zumindest der deutschsprachigen Literatur kaum ihren angemessenen Ausdruck. Wollte die Literatur die sprachlichen Verhältnisse, in denen sie entsteht, fassen und gestalten, müsste sie das Denken in Sprachräumen ablegen und sich entschieden der Oralität zuwenden.

Dieser Prozess ist, schwach reflektiert und zögerlich, tatsächlich im Gange. Spoken Word und Poetry Slam boomen, wenigstens in der Deutschschweiz, und Literatur in Mundart ist seit Pedro Lenz’ „Der Goalie bin ig“ ein Breitenphänomen. Auch über die Anerkennung im Literaturbetrieb – Preise, Einladungen zu Festivals etc. – können wir uns kaum beklagen.

Doch verbindet sich der Erfolg von „Mundartliteratur“ gelegentlich mit einem Missverständnis. Statt die neue Mündlichkeit als Öffnung der Literatur gegenüber veränderten Sprachrealitäten zu begreifen – auf deren Weg auch der Übergang in die Mehrsprachigkeit liegt –, wird sie immer wieder als Rückzug ins Heidiland, als – durchaus sympathischer – Trotz gegenüber Globalisierung verstanden.

Als ich angefangen habe Mundart zu schreiben – mehr noch zu singen –, habe ich mich nicht gegen kulturelle Globalisierung gewehrt, im Gegenteil. Meine Vorbilder waren, neben den hiesigen Grössen, amerikanische Folksänger, deutsche Liedermacherinnen und italienische Cantautori. Es war die Musik Schottlands oder Irlands, die mich auf die Schweizer Volksmusik aufmerksam machte. Ich empfand es als progressiv, keine Berührungsängste zu haben gegenüber dem Hackbrett, dem Alphorn und dem Schwyzerörgeli. Ich verteidigte sie als Musikinstrumente wie den Dudelsack oder das Banjo gegen jede ideologische Vereinnahmung.

Ähnlich verfahre ich heute mit der mündlichen Sprache. Ich schreibe nicht Berndeutsch, weil ich diese Sprache für ausserordentlich halte. Ich schreibe sie, weil sie klangliche, rhythmische und gestische Erinnerungen birgt, die ich wie in keiner anderen Sprache eigenwillig gestalten kann. Es ist möglich, auf Berndeutsch experimentell zu sein, ohne angestrengt zu wirken.

Und ich bemerke, dass die gleichen Kritiker, die gegen „Migrantenliteratur“ polemisieren sich auch explizit weigern Mundarttexte zu lesen. Das halte ich nicht für Zufall.

In Schulklassen mit 90% „Migrationshintergrund“ erlebe ich, dass Mundart die Sprache ist, in der sich Albanerinnen, Erythreer und Tamilinnen zumeist verständigen. Diese Sprache ist bei Kindern und Jugendlichen, die hier aufwachsen, Teil ihrer Identität. Durch die Teilnahme der mehrsprachigen Jugend an der Mundart verändert sich diese. Wie sie sich auch durch Moden und Trends und medialen Gebrauch verändert. Und: Sie verändert sich rascher als dies standardisierte Sprachen tun.

Heute wird mehr geschrieben und gelesen denn je. Festzustellen ist, dass sich schriftliche Kommunikation der mündlichen annähert (vermutlich auch umgekehrt). Und die elektronischen Medien befördern dabei neue Formen der schriftlichen Notation, die Piktogramme und Symbole einschliesst.

In welchen literarischen Werken spiegeln sich all diese Realitäten? Ich hoffe sehr, dass die Frage eines Tages nicht mehr rhethorisch ist.

Was Beat Sterchi zum Thema meint, erfahren Sie hier.