Die leere Telefonzelle

von Gerhard Meister 30. Dezember 2015

Diese Zelle ist leer, niemand braucht sie mehr. Niemandem ist das Licht, das in ihr brennt, eine Verheissung von Kontakt und Gesprächen bis ans andere Ende der Welt. Dass man sich in diese Zelle hinein von der Welt absondern kann, um so mit ihr in Verbindung zu treten, ist ein aus den Köpfen verschwundener Gedanke.

Da steht sie. Noch brennt Licht in ihr, Zeugnis eines Rituals, das niemand mehr ausübt. Relikt aus einer vergangenen Zeit. Die Zelle wird nicht mehr allzu lange dort stehen. Für Relikte aus vergangener Zeit ist im öffentlichen Raum kein Platz. Es sei denn, was nicht mehr gebraucht wird, lasse sich umnutzen.

Aber wie lässt sich diese Zelle umnutzen? Was anstellen auf einem knappen Quadratmeter Fläche?

Für Gymnastik ist das zu klein, verstecken kann man sich darin auch nicht, die Glaswände verraten einen. Als Schutz vor Raubtieren wäre sie zu gebrauchen, ja, wie im alten Witz: zwei Männer im Dschungel, warum hast du eine Telefonzelle bei dir? Damit ich mich, wenn der Tiger kommt, dort hinein retten kann. Aha. Und du, warum trägst du einen Stein mit dir? Damit ich, wenn der Tiger kommt, den Stein fallen lassen und so viel schneller rennen kann. Oder hat einer noch Turnschuhe dabei, die er anziehen will, wenn der Tiger kommt? Um damit zwar nicht schneller zu sein als der Tiger, wie sein Kollege richtig feststellt, aber schneller als dieser?

Ganz kriege ich die Witze nicht mehr hin, und ich befürchte, dass ich sie mir zusammengoogeln könnte auf dem Handy – das dieser Zelle den Garaus gemacht hat. Oder ihr ihren Glanz gegeben.

Erfährt ein Objekt nicht eine Steigerung dadurch, dass es nutzlos ist? Wie schwierig, die Schönheit in Gebrauchsgegenständen zu sehen.

Auch die Schönheit dieser Zelle hätte ich übersehen, wären Zellen wie sie nicht selten und nutzlos geworden. Jetzt, wo es sie nicht mehr braucht, liegt im Licht, das aus ihr scheint, ein Glanz, der unendlich über die Möglichkeit einer telefonischen Verbindung hinaus reicht. Und doch ist manchmal gerade die Stimme im Hörer des Telefons das Unendliche, das wichtiger ist als alles andere.

Die Umnutzung der Zelle zu einem Gebetsraum wäre somit vielleicht eine, die keine ist.