Kifle Abraham steht im roten Shirt, die Haare von einem ebenso roten Haarband zurückgehalten, neben den Pingpongtischen. «Über 15 Nationen spielen hier», erzählt der 55-Jährige, der sich schon der sich seit Jahren für die Tischtenniskultur im Freibad Marzili einsetzt und auch schon Turniere organisiert hat, «wir kennen uns seit dreissig Jahren – einige sind mittlerweile schon gestorben.» Neben Kifle steht Milan Bergant, der älteste der Gruppe. «Ich bin schon 83 Jahre alt, aber spiele hier jeden Tag Pingpong», erklärt er stolz.
Im Hintergrund ist das wilde Treiben des Marzilibades zu hören: Kinder, die schreien, die quietschenden Federn des Sprungbrettes, das Klacken der Pingpongbälle auf den Tischen und die Autos, die neben dem vollen Veloparkplatz vorbeifahren. Jetzt im Juni ist hier Hochbetrieb. Die 30-Grad-Marke wurde schon am Mittag geknackt. Es riecht nach Sonnencreme, Frittierfett und Chlor.
Die Pingpong-Spieler gibt es, seit ich denken kann. Doch in diesem Jahr habe ich mich zum ersten Mal getraut sie anzusprechen.
Gegen 18 Uhr sind alle sieben Tische belegt und die Gruppe der Pingpong-Spieler ist auf ein gutes Dutzend Personen gewachsen. Ihre Gesichter sind mir vertraut. Ich bin nicht weit von hier aufgewachsen, im ersten Stock über dem Marzili Beck. Die Pingpong-Spieler gibt es, seit ich denken kann. Doch in diesem Jahr habe ich mich zum ersten Mal getraut sie anzusprechen.
Eine eingespielte Gemeinschaft
Hier spielen alle mit allen. Das Niveau ist hoch, der Umgang unter den Männern warm und neckisch. Auch ich werde sogleich herzlich empfangen. Einer der Spieler, Alexander Ogi, fragt mich, ob ich auch spielen will. Ich sage zu, und wir spielen eine Partie.
«Du musst in die Knie und aus dem ganzen Arm den Ball spielen, das heisst, bei den guten Schlägen entsteht eine Kombination der Bewegungen aus dem Schultergelenk, dem Ellenbogengelenk und dem Handgelenk», erklärt Alexander, der als Pflegefachmann in der Psychiatrie arbeitet und schon seit dreissig Jahren Teil der Pingpongtruppe ist. Ich versuche, den Anweisungen zu folgen, und merke schon nach mehreren Minuten, wie ich die schnellen Bälle besser zurückspielen kann.
«Ich schätze es, dass ich nach der Arbeit hier hinkommen kann und immer irgendwer da ist», erklärt Alexander, «ohne, dass ich vorher zuerst in einen Chat schreiben müsste.» Es würden auch immer wieder neue Spieler hinzukommen.
Als ich Anfang Oktober auf einen zweiten Besuch wiederkomme, ist das Marzilibad leer und die Blätter haben sich bunt verfärbt, aber die Gruppe ist etwa in gleicher Zahl um die Tische versammelt wie im Juli. Sie geniessen die untergehende Sonne und spielen eine Partie Tischtennis.
Kifle zeigt mir ein Foto der Beerdigung eines Spielers, die Gruppe steht um das Grab, die Tischtennisschläger in den Händen.
Die Jahreszeit spielt keine Rolle für die Spielenden. Kifle zeigt mir Bilder auf seinem Handy: Die Gruppe, wie sie im Winter an den Tischen spielt, Schnee bedeckt die Tische, einen haben sie freigeräumt. Die Beerdigung eines Spielers, die Gruppe steht um das Grab, die Tischtennisschläger in den Händen. Der Zusammenhalt in der Gruppe ist gross.
In den 30 Jahren haben sich aber auch einige Dinge verändert. So erzählt Kifle, dass man bis 2019 für die Miete der Tische hatte bezahlen müssen, 5 Franken in der Stunde. Danach wurde es gratis, weil sie sich dafür eingesetzt hätten. «Für Familien war es sehr teuer, wenn vier Kinder spielen wollten.»
Umbau und Gesamtsanierung des Marzilibades
Auch in Zukunft stehen Veränderungen bevor. Ein grosses Thema unter den Spielern ist Sanierung und Umbau des Marzilibades, die in vier Etappen ausserhalb der Badesaison in den Winterhalbjahren 2025 bis 2029 umgesetzt werden sollen.
Dazu gehört die Erneuerung der Wasserbecken, der Sanierung der Umkleidekabinen und des «Paradiesli» (der Liegebereich für Frauen) sowie der Umbau des südlichen Teils, wo unter anderem eine neue Anlegestelle für Gummiboote entstehen soll. Zudem sieht das Projekt vor, das alte Restaurant komplett abzureissen, und stattdessen auf dem jetzigen Veloparkplatz ein neues Gebäude mit einem Bistrobetrieb zu errichten, welches das ganze Jahr über geöffnet sein soll.
Das geplante Restaurant finden sie unnötig, es seien ausserhalb der Saison sowieso kaum Leute im Marzilibad anzutreffen.
«Es wird viel zu wenig Velo-Parkplätze geben und Familien mit kleinen Kindern müssen einen langen Weg laufen, um zu den Wasserbecken zu gelangen», befürchtet Kifle, der die Pläne studiert hat. Die Stadt schreibt zwar, dass 1’150 neue Veloabstellplätze entstehen sollen. Diese werden aber vielleicht weiter entfernt vom Eingang zum Freibad sein als die bisherigen. Auch der Verbleib der Pingpong-Tische ist noch unsicher. Der jetzige Standort neben dem Haupteingang ist sehr praktisch gelegen – so sehen die Pingpong-Spieler immer, wer kommt und geht.
Für Kifle und Milan müsste sich nicht viel ändern im Marzilibad. Ein kostengünstigeres Projekt hätte es auch getan, finden die beiden. Die Kabinen, Toiletten und Schwimmbecken müssten natürlich erneuert werden, und sie würden sich einen Gummibelag unter den Pingpong-Tischen wünschen, der im Gegensatz zum Steinbelag schön federt und die Gelenke schont. Das geplante Restaurant finden sie jedoch unnötig, es seien ausserhalb der Saison sowieso kaum Leute im Marzilibad anzutreffen.
Noch ist das Bauprojekt nicht definitiv bestätigt. Im Mai stimmen die Berner*innen über den Baukredit von 66,75 Millionen Franken ab. Im Herbst 2025 soll dann mit der Sanierung der Schwimmbecken begonnen werden. Und die Tischtennisspieler werden hoffentlich noch lange weiterspielen.