Halsbrecherische Sprünge und filmreife Verfolgungsjagden. Wer auf Youtube nach dem Stichwort «Parkour» sucht und nicht ganz schwindelfrei ist, verspürt möglicherweise ein leichtes Kribbeln bei den vorgeführten Stunts in den angezeigten Videos.
Parkour – für mich war das immer James Bond; Daniel Craig, der in der Anfangsszene von Casino Royale einen Schurken durch die Bahamas jagt, über jedes erdenkliche Hindernis; vom Gerüst einer Baustelle bis zu einem Sprung zwischen zwei Kränen bis zu einer beinahe obligatorischen Explosion.
Gefühlte tausend Mal habe ich als Kind die inszenierte Flucht auf meiner portablen Playstation angeschaut. Auf demselben Gerät kletterte und sprang ich später als Attentäter über die Dächer von Florenz und Venedig. Und hätte ich keine Höhenangst, so hätte wohl auch ich mich in der urbanen Hindernis-Sportart versucht.
«Diese ‘Vorstellungen’ von Parkour sind sehr dominant», sagt Arvo Losinger, Geschäftsführer von ParkourOne Schweiz und Parkour-Schüler der ersten Stunde, als ich ihm das alles erzähle. Die Sonne schlägt hart auf den Asphalt der Schützenmatte. Hier hat vergangenes Wochenende ein grosses Parkour-Festival stattgefunden. Und er habe selber Höhenangst, gesteht Losinger. Schwer zu glauben, wenn man Losinger in Videos gekonnt klettern, rollen und präzise landen sieht.
Während wir sprechen, springen Jugendliche, Kinder und Erwachsene über eigens dafür aufgestellte Holzkuben oder schwingen sich durch Gerüste. Die Manöver sehen teils gefährlich, aber auch immer sehr kontrolliert aus. Parkour sei zwar gewissermassen eine Flucht-Sportart, erklärt Losinger. Doch das stehe hier nicht im Fokus, sowie auch Wettbewerb und Konkurrenz bei ParkourOne nach dem Bildungsmodell TRUST Education keine Rolle spielen sollten.
Um was geht es dann? «Um Gemeinschaft», sagt später Roger Widmer, Parkour-Pionier und Gründer von ParkourOne Schweiz, als einige Besuchende im Kreis für eine Führung zusammengekommen sind. Der gelernte Goldschmied, Lehrer für Gestaltung und Kunst und Erwachsenenbildner aus Münsingen spricht von «ganzheitlicher Bildung», von «multidimensionalem Lernen» und «Persönlichkeitsentwicklung». Sich selber einschätzen zu lernen, Ziele zu formulieren und diese dann auch umzusetzen – dies alles könne Parkour leisten. Auch das man Fehler in der Regel schmerzlich direkt am eigenen Körper spüre, könne diesbezüglich hilfreich sein.
Parkour, so merkt man, ist für viele hier nicht bloss Sport – sondern eine Lebensschule. Eigens dafür hat Widmer TRUST Education gegründet, der die zugrundeliegenden Werte in ein holistisches Bildungsmodell übersetzt. Dieser Verein ermöglicht es laut Widmer, das Ideelle ins Zentrum zu stellen. Denn ParkourOne Schweiz wurde als GmbH gegründet, womit gewisse Systemzwänge verbunden sind. So will die Firma ihren Klassenleiter*innen einen fairen Lohn bezahlen.
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Die Parkour-Stunden, die schweizweit angeboten werden, sind deswegen nicht gerade günstig. Über 120 Franken pro Monat bezahlt man für zwei Trainings pro Woche. Das sei zwar relativ teuer, sagt Geschäftsführer Losinger. Im Vergleich zu anderen Angeboten wie etwa Tanzlektionen sei Parkour jedoch noch unterdurchschnittlich teuer. ParkourOne-Gründer Widmer relativiert: «Auf die angebotene Stunde macht das 8 Franken.» Für diesen Betrag finde man nichts Vergleichbares.
ParkourOne will niemanden ausschliessen. So lautet die Devise ganz getreu Parkour-Idealen: Es gibt keine unüberwindbaren Hindernisse. Auch finanziell finde sich jeweils eine Lösung, sagt Losinger. Als Beispiel nennt er einen jungen Asylsuchenden, der bei ihm trainiert und nichts dafür bezahlen muss. Losinger verweist hierbei auf den minimalen Betrag, den Asylsuchende in der Schweiz erhalten.
Ein grösseres Hindernis könnte hingegen sein, überhaupt einen Platz in einer Klasse zu finden. Denn eines ist klar: Der Parkour-Hype ist ungebrochen. Beim Wankdorf baut die Stadt deshalb in Zusammenarbeit mit ParkourOne eine Anlage für den akrobatischen Sport. An Schüler*innen fehle es keineswegs, meint auch Losinger. Eher an Instructors: «Ich könnte nach wie vor weitere Klassen öffnen, wenn ich dafür die Leiter*innen hätte».