Wie genossenschaftlich baut Bern?

von Luca Hubschmied 1. September 2019

Die Stadt Bern kämpft mit steigenden Mietpreisen und knappem Wohnraum. Auch der genossenschaftliche Wohnungsbau fristet ein Schattendasein. Neue Überbauungen wie auf dem Warmbächliareal könnten aber ein Zeichen dafür sein, dass die Wohnbaupolitik langsam in Bewegung kommt.

Noch ist das Areal der alten Kehrichtverbrennung Warmbächli eine staubige Brache. Doch bereits für den Oktober kündigt der Verein Warmbächlibrache, der hier auf der «lieblichsten Steinwüste der Stadt» die Zwischennutzung organisiert, das grosse Abschlussfest an. Danach soll Realität werden, was schon seit Jahren vorgespurt ist. Wo bis 2012 die Kamine der Verbrennungsanlage in den Himmel ragten, entsteht eine neue Siedlung, ja quasi ein neues Quartier. «Holliger» lautet der Name der Überbauung, in der rund 330 Wohnungen entstehen werden.

Anstieg der Mieten

Seit Jahren steigen in der Stadt Bern die Mietpreise an, die Entwicklung verläuft ähnlich wie im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Die Statistik vom November 2018 weist für Bern einen Anstieg von 0.9 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Aktuell zahlen Bernerinnen und Berner für eine Drei- Zimmer-Wohnung durchschnittlich 1202 Franken und für eine 4-Zimmer-Wohnung 1502 Franken. Der Anstieg der Mietpreise in der Stadt Bern liegt deutlich über jenem des gesamten Warenkorbs der Konsumentenpreise. Während letzterer seit 2003 um 5.6 Prozent angestiegen ist, haben sich die Mietpreise im selben Zeitraum um 19.2 Prozent erhöht.

Konkret heisst das: Die Ausgaben für die Miete steigen unverhältnismässig stärker an als die Ausgaben für alle anderen Produkte. Wer in einem urbanen Gebiet wohnen will, muss sich das erst leisten können. In der Stadt Bern spielt der gemeinnützige Wohnungsbau zudem eine untergeordnete Rolle. Während in Zürich etwa ein Viertel aller Wohnungen gemeinnützigen Wohnbauträgern wie Wohnbaugenossenschaften (WBG) gehören, trifft das in Bern nur auf jede zehnte Wohnung zu. «Wohnbaugenossenschaften sind der bewährte Weg für mehr bezahlbaren Wohnraum, da statt Profitorientierung sogenannte Kostenmieten gelten, die mittelfristig 15-20 Prozent günstiger sind als konventionelle Mietverhältnisse», sagt Natalie Imboden, Generalsekretärin des Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz.  Zürich habe den gemeinnützigen Wohnungsbau bereits früh gefördert, so Imboden. In Bern stehe er erst seit etwa zehn Jahren breiter abgestützt auf der politischen Agenda.

Nicht umgesetzte Wohninitiative

Dass in der rot-grün regierten Bundesstadt Handlungsbedarf besteht, wurde schon vor einiger Zeit erkannt. Im Mai 2014 nahmen die Berner Stimmberechtigten mit einer wuchtigen Mehrheit von 72 Prozent die städtische Wohn-Initiative an. Die Initiative forderte, dass bei Um- und Neueinzonungen mindestens ein Drittel der Wohnnutzung für preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung stehen muss. Diese Wohnungen sollen dauerhaft in Kostenmiete vermietet oder an einen gemeinnützigen Bauträger abgegeben werden.

Umgesetzt wurde dieser Wunsch nach mehr bezahlbarem Wohnraum bis heute nicht. Der Hauseigentümerverband (HEV) Bern und Umgebung befürchtete eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit und reichte eine Beschwerde bei der kantonalen Kirch-, Gemeinde- und Justizdirektion ein. Diese wies die Einsprache ab, ebenso das Verwaltungsgericht. Aktuell ist die Beschwerde beim Bundesgericht hängig. Das sei schon frustrierend, schreibt Natalie Imboden, die damals die Initiative mitlanciert hat: «Die Gegner aus Kreisen des HEV, gemeinsam mit FDP und SVP, spielen auf Zeit, indem die klar gewonnene Abstimmung bis zur letzten Instanz gezogen wird und alle Rechtsmittel ausgeschöpft werden.»

Das Areal der Genossenschaften

Bereits 2012, zwei Jahre vor der Wohninitiative entschied das Berner Stimmvolk, dass auf der Überbauung des Warmbächliareals mindestens die Hälfte des Wohnungsbaus von gemeinnützigen Wohnbauträgern durchgeführt werden soll. Dieser Anteil hat sich schlussendlich verdoppelt, auf dem weitläufigen Areal im Westen Berns werden nun alle der geplanten 330 Wohnungen von insgesamt sechs verschiedenen Wohnbaugenossenschaften erstellt. Die jüngste davon ist die WBG Warmbächli. Sie hat sich eigens gegründet, um in der entstehenden «Holliger»-Siedlung das Haus an der Güterstrasse 8 umzubauen. Es ist das einzige der sechs Häuser des Holligers, welches um- und nicht neugebaut wird.

«Wir haben uns Ende 2012 zum ersten Mal getroffen, als sich die Möglichkeit eröffnete, auf dem Warmbächliareal gemeinschaftlichen Wohnraum zu realisieren», erklärt Ilja Fanghänel von der WBG Warmbächli. Zwar existieren im Raum Bern bereits verschiedene, teils auch grosse Wohnbaugenossenschaften, wie etwa die Eisenbahnergenossenschaft, doch die WBG Warmbächli unterscheide sich davon in gewissen Punkten, wie Fanghänel sagt: «Wir legen Wert auf viel geteilten Gemeinschaftsraum und wenig Privatraum, auch aus einer ökologischen Überlegung heraus. Zudem arbeiten wir sehr partizipativ und sind offen für alle Interessierten. Unser Vorstand hat sich aus der losen Gruppe gebildet, die wir am Anfang waren.»

Wohin steuert die Stadt?

Das lange Warten auf der Warmbächlibrache scheint nun vorbei zu sein. Die langsamen Mühlen von Verwaltung und Politik haben fein gemahlen und den Boden vorbereitet, auf dem dieses Jahr die Bagger auffahren. Der Umbau des Hauses durch die WBG Warmbächli soll im Sommer 2021 abgeschlossen sein. Welche rund 200 Personen dann in diese Wohnungen einziehen dürfen, ist noch unklar. In einer ersten Phase werden die Wohnungen innerhalb der Genossenschaft ausgeschrieben. «Zu diesem Zweck haben wir ein Vermietungsreglement, welches gewisse Kriterien für die Vergabe festlegt», erläutert Ilja Fanghänel, «etwa das Engagement für die Genossenschaft oder die Altersdurchmischung.» Zudem stehe schon fest, dass einige Wohnungen an soziale Institutionen vermietet werden.

Für die neuere Wohnbaupolitik der Stadt Bern ist das Warmbächliareal ein Novum. Dass ein solch grosses Gebiet ausschliesslich von Wohnbaugenossenschaften bebaut wird, könnte ein Zeichen sein, dass der gemeinnützige Wohnungsbau in Bern langsam aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Auch auf dem Viererfeld, einem weiteren grossen Bauprojekt in der Stadt, ist mindestens die Hälfte der Wohnfläche für den gemeinnützigen Wohnungsbau reserviert. Für Natalie Imboden sind das wichtige Schritte, die aber nicht überbewertet werden dürfen: «Diese neuen Areale werden die Situation zwar verbessern, aber es braucht weitere Massnahmen für alle weiteren Überbauungen und der gemeinnützige Wohnungsbau muss auch stärker regional verankert werden.»