Bevor es Fernseher und Youtube gab

von Janine Schneider 11. November 2023

Film-Ding 008 In den 1940er-Jahren wird eine neue Filmmaschine auf den Markt gebracht. Mit einem Münzeinwurf können kurze Musikfilme angeschaut werden. Das «Panoram» steht in Bars und Restaurants und erfreut sich grosser Beliebtheit. Bis das Fernsehen kommt.

November 1940. Franklin Roosevelt gewinnt eine dritte Amtszeit und in Europa herrscht seit einem Jahr Krieg. In Chicago hat sich derweil in einer Bar eine Menschentraube um ein kurioses Gerät gebildet. «Panoram» genannt, ist es eine absolute Neuheit, eine Art Kino im Kleinformat, das dem unterhaltungsbegierigen Publikum kurze Musikfilme, sogenannte «Soundies» zeigt. In Restaurants, Bars und Casinos soll es die Kundschaft dazu bringen, länger zu verweilen und mehr zu konsumieren.

Das Licht verheisst ein Spektakel: das Panoram im Kinosaal des Lichtspiels. (Foto: Janine Schneider)
Ein Dime ist hier einzuwerfen. Heute geht es auch mit einem Einfränkler. (Foto: Janine Schneider)

Über dem Münzeinwurf steht der Name des Unternehmens, das solche «Filmmaschinen» vor Kurzem auf den Markt gebracht hat: Mills Novelty Company. Die Firma mit Sitz in Chicago ist die mit der Produktion von Spiel- und Verkaufsautomaten gross geworden. Kernidee all dieser Automaten ist die Möglichkeit, mit einem Münzeinwurf eine Dienstleistung in Gang zu setzen. Die Münze wird auf Grösse, Gewicht und dank einer Magnetfalle auch auf ihr Material geprüft. Hat sie diesen Echtheitstest bestanden, wird vom 16mm-Projektor des «Panoram» eine Filmschleife über einen Spiegel auf den Bildschirm projiziert. Den Film wählen konnte man nicht. Es lief einfach der, der als nächstes in der Schleife war. Acht «Soundies» hatten in so einem «Panoram» Platz und wurden von Zeit zu Zeit ausgewechselt.

Hier haben acht Filmrollen Platz. (Foto: Janine Schneider)

Kurzfilme in Schnellproduktion

Diese kurzen Filme mit musikalischen Darbietungen waren überaus beliebt. So beliebt, dass sie sogar fürs Kino als kurze Vorfilme adaptiert wurden. Drei Firmen waren für die Produktion zuständig. Die «Soundies Distributing Corporation of America» kümmerte sich um die Verteilung. Bei der Produktion wurde auf alle möglichen Genres zurückgegriffen, von Boogiewoogie über Klassik bis hin zu patriotischen Liedern, wobei nicht nur aber auch Nachtklubkünstler  In den Kriegsjahren wurde auch Propaganda abgespielt. Die meisten «Soundies» gaben jedoch Lieder aus der Hitparade wieder.

Durch die «Soundies» sind Filmaufnahmen von afroamerikanischen Künstler*innen erhalten geblieben, die sonst nur wenig Möglichkeiten hatten, in Filmen aufzutreten.

Die Filme wurden in irrwitzigem Tempo hergestellt. In den besten Zeiten seien zehn «Soundies» pro Woche produziert worden, erklärt Vladimir Malogajski vom Lichtspiel, das selbst über eine Sammlung von «Soundies» verfügt. Die Qualität der Musikfilme litt teilweise unter der schnellen Produktion. Malogajski zeigt sich aber dennoch fasziniert von den kurzen Geschichten: «Immer steckt eine kleine Botschaft drin. Die Filme sind bis zum Schluss durchdacht.»

Sie decken ausserdem einen wichtigen Teil der amerikanischen Geschichte ab. Zweiter Weltkrieg, Rassentrennung und wirtschaftlicher Aufschwung werden in den kurzen Filmen gespiegelt. Die «Soundies» haben deshalb auch schon öfters als Material für soziologische Forschungen gedient. Was nicht zuletzt besonders wichtig für die heutige Musikgeschichte ist: Durch die «Soundies» sind Filmaufnahmen von afroamerikanischen Künstler*innen wie Duke Ellington oder Cab Calloway erhalten geblieben, die sonst nur wenig Möglichkeiten hatten, in Filmen aufzutreten.

Ende und Wiederaufnahme

Mit dem Aufkommen und der immer weiteren Verbreitung des Fernsehens ging auch die Zeit der «Soundies» zu Ende. 1947 musste die «Soundies Distributing Corporation» schliessen. Die «Panoram»-Filmmaschinen wurden eingestampft oder umgebaut.

Eines von fünf Scopitone, die das Lichtspiel besitzt. (Foto: Janine Schneider)

Allerdings wurde das Konzept 1958 von der französischen Firma wieder aufgenommen. Diese baute ähnliche Jukeboxen mit den Namen «Scopitone». Das Prinzip war dasselbe, die Qualität des Tons und der Farben hatte sich allerdings entscheidend verbessert. Ausserdem konnte man nun auswählen, welcher Film abgespielt werden sollte. Auch hier wurde die ausgewählte 16mm-Filmspule dann über zwei Spiegel auf den Bildschirm projiziert. Von Frankreich aus verbreitete sich das Scopitone nochmals in einer Erfolgswelle über England, Deutschland bis in die USA und den arabischen Raum. Scopitones standen in Bars, an Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen. 1969 war dann auch die Zeit des Scopitones vorbei.

Das Innere des Scopitones ist raffiniert konstruiert. (Foto: Janine Schneider)

Und heute? Scopitones und Panoram-Filmmaschinen sind Sammlerstücke geworden. Zu sehen sind sie noch im Kinosaal des Lichtspiels. Wo sie in ihrem Leben schon alles gestanden haben, ist leider nicht überliefert. Aber heute können sie wieder von den Besucher*innen des Lichtspiels benutzt werden. Dann rüttelt und schüttelt es und auf dem Bildschirm erscheint Cab Calloway.