Gärtner pflanzen Chrysanthemen in die steinernen Vasen beim Eingang. Weite Rasenflächen sind frisch angesät, über andere rattert der Mäher. Aus den Brunnen im Park tröpfelt das Wasser erst und das grosse ovale Becken mit der Fontäne ist noch leer wie die KaWeDe zwischen der Bade- und der Schlittschuhsaison.
Die Bauzeit neigt sich dem Ende entgegen, die neue Nutzung hat noch nicht angefangen. Im Innern legen Handwerker letzte Hand an. Das markante Parkett glänzt. Bald wird sich der Schmetterling entpuppen.
Villa Morillon 2.0
Man darf sich Hans Widmer als glücklichen Menschen vorstellen. Eben hat der Eigentümer, ehemaliger Industrieller aus dem Aargau, die Villa Morillon mitsamt der Kutscherei an der Grenze zwischen Bern und Köniz baulich sanieren lassen. Das Denkmal von nationaler Bedeutung glänzt frisch im wundersam auf englische Art angelegten Park mit Brunnen, Weihern und grossen alten Bäumen, die die Rasenflächen gliedern und überwölben. Baulich erscheint das Ensemble zwischen Morillonstrasse, BLS-Trasse und Tram nach Wabern – man kann es Morillon 2.0 nennen – beinahe wie einst. Und doch ist fast alles anders.
Einst, das war das «Neue Morillon», 1831 durch den jungen Architekten Osterrieth erstellt im Auftrag der Eheleute von Wattenwyl und von Frisching. Das Gebäude ist der Villa La Rotonda von Palladio bei Vicenza an der Brera nachempfunden, die ab 1566 erbaut worden war.
Die fast zweihundert Jahre seit dem Bau des «Neuen Morillons» sind auch am Gebäude selbst nicht spurlos vorüber gegangen.
1831 endet die Restauration des patrizischen Regimes in Bern, das durch den Einfall der französischen Armee 1798 und die helvetische Republik erschüttert worden war. Die liberale Weltanschauung, die auf dem Individuum und den Menschenrechten basiert, bricht sich Bahn und führt über einen Verfassungsrat zur neuen Kantonsverfassung. In Bern regieren nun, von vielen Patriziern bekämpft, die Liberalen.
Das «Neue Morillon» markiert nicht nur den Beginn eines neuen politischen Zeitalters, das 1848 die Bundesverfassung hervorbringt – es steht auch auf offenem Feld mit freiem Blick direkt auf das Münster. Die Überbauung des Kirchenfelds setzt erst 40 Jahre später ein. Die nähere Umgebung der Villa wird noch viel später überbaut. Kein Auto, kein Bus, kein Tram, keine Bahn weit und breit. Dennoch ist auch heute der Blick auf den Münsterturm noch frei.
Der Zauber ist noch da
Die fast zweihundert Jahre seit dem Bau des «Neuen Morillons» sind auch am Gebäude selbst nicht spurlos vorüber gegangen. Wohl am wichtigsten war in den 1950er Jahren die Verschiebung der Gesellschaftsräume des Parterres von der Nordseite hin nach Süden mit Blick in den sonnigen Park und entsprechend die Errichtung des Stufen-Vorbaus beim Eingang und eine Erschliessung für die mondänen Autos der vormaligen Besitzer. Dank dem symmetrischen Grundriss der Villa fiel dies relativ leicht.
Als im Sommer 2021 eine kulturelle Zwischennutzung mit Konzerten und Lesungen den Zugang zur Villa und zum Park erschloss, schrieb ich vom Zauber des Anfangs, dem – nach Hesse – ein Zauber innewohne, «der uns beschützt und der uns hilft, zu leben». Wie steht es nun um diesen Zauber?
Es gibt ihn noch, zu entdecken und erleben im Park, der weit grösser wirkt als er ist, und durch Gebüsch blickdicht Raum schafft zwischen den Gebäuden, der Villa, der Kutscherei mit den das Dach tragenden hölzernen Rundbögen, dem später gebauten stillosen «Landhaus», das in der letzten Phase abgebrochen werden soll.
Ab Oktober sind in der Villa stilvolle Räume zu vermieten, vorwiegend im Obergeschoss, aber auch der «Petit Salon» direkt neben dem Eingang, der durch zufällige Funde im ursprünglichen Zustand von 1831 hergerichtet werden konnte, einschliesslich einer grau in grau gemusterten Tapete. Im Erdgeschoss stehen drei Salons, alle zum Park hin, für Kulturanlässe zur Verfügung.
Die Salons weisen ein markantes Parkett auf mit quadratischen Mustern, hellen Wänden und prunkvollen Leuchter. Das alte Mobiliar ist verschwunden, die Küche aus den 1950er-Jahren entfernt. Die grossen Wandteppiche werden kaum wieder gehängt; sie sollen kolonialistische Motive aufweisen, heikel. Die Akustik der Räume ist noch nicht ideal; Schritt für Schritt soll sie aufgrund der Erfahrungen verbessert weren.
Auch die Kutscherei wird vermietet, dort zieht das Architekturbüro Spreng und Partner AG ein, dem die Restaurierung (Phase 1) anvertraut worden ist und das auch die Bauphasen 2 und 3 verantworten wird.
Eigentumswohnungen statt Einfamilienhäuser
Denn es geht weiter. Vier Neubauten sind geplant. Ein Holzbau mit Wohnungen sowie ein Gebäude für gewerbliche Nutzung sollen in Phase 2 errichtet werden. Phase 3 bringt dann einerseits im Süden einen zweistöckigen Gewerbebau; und am äussersten Nord-Rand des Parks, in der Höhe des höchsten Baums. Insgesamt entstehen 14 Eigentumswohnungen. Sie werden im Baurecht veräussert. Der Park bleibt im Besitz des Eigentümers, der ihn gesamthaft hegt und pflegt.
Dies alles war und ist nur möglich mit einem aufgeklärten und idealistischen Eigentümer. Einem, der vor den Medienleuten, die er duzt, erklärt, er habe von den Expert*innen der Architektur und Denkmalpflege sowie der Gemeinde Köniz viel gelernt und seine ursprüngliche Idee, im Park zweigeschossige Einfamilienhäuser zu bauen, überzeugt aufgegeben.
Widmer hat Erfahrung mit Bauen in Köniz. Vor etlichen Jahren errichtete er auf dem Bächtelenacker ein begrüntes Hochhaus, das in der Planungszeit viel zu reden gab und dessen Anmutung nicht jeder und jedem passt. Der 83-Jährige bestätigt, die 9 Millionen Franken, die die Restaurierung der Villa und der Umbau der Kutscherei gekostet haben, sofort abzuschreiben. Er geniesse trotzdem einen Ertrag, ideell.
Hans Widmer will keinen Rummelplatz; er will die Spiritualität eines japanischen Gartens in der englischen Anlage erhalten.
Wer ist dieser Mensch, der den ideellen Gewinn über den ökonomischen stellt? Widmer, Nuklearingenieur der ETH und des MIT, war Unternehmer bei Sandoz, McKinsey, Oerlikon-Bührle, Bally, Schweiter. 2013 gab er den Band «Das Modell des konsequenten Humanismus» heraus. Gelegentlich publiziert Widmer im Online Magazin Journal 21. Vor einem Jahr schrieb er anlässlich des Ukrainekriegs: «Eine robuste Zivilisation entsteht nicht durch politische Genieschwünge, sondern durch Aufklärung und Förderung der Vernunft. (…) Mündigkeit aber stellt sich nur bei Selbst- und Mitbestimmung ein. Mitbestimmung fördert Verantwortungsbereitschaft – Gehorsam fördert Diktatur. (…) Der Selbstwert von Nationalisten gründet in der Vergangenheit – jener selbstbestimmter Menschen in der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. (…) Ja, Zivilisation ist noch ein dünner Firnis. Im Sinn von Amanda Gormans ‚The hill we climb‘ zu Joe Bidens Inauguration ist noch ein Berg zu erklimmen – ausgehend von einer Zivilisation, ‚that isn’t broken, but simply unfinished‘.» Ein Kantianer, ein Optimist, einer, der im Konkreten umsetzt, was er im Allgemeinen denkt.
Kein Rummelplatz
Auf manche Fragen zur Renovierung der Villa Morillon stehen die Antworten noch aus. Man hat Zeit und sucht pragmatische Lösungen. Wie und wann genau wird die verkehrstechnisch suboptimale Einfahrt zur Villa verbessert? Wann verbreitert die BLS das den Park begrenzende Trassee auf Doppelspur? Wie weit wird der Park einmal für alle geöffnet werden?
Hans Widmer will keinen Rummelplatz; er will die Spiritualität eines japanischen Gartens in der englischen Anlage erhalten und stellt sich eine spätere Schallschluckmauer gegen die BLS hin als Kunstwerk vor. Den Bewohner*innen der kommenden Überbauung gegen Wabern hin wird durch den Park ein Wegrecht gewährt.
Und die Kultur? Der Zauber des Sommers und Herbsts 2021 ist nicht wiederholbar. Doch Kulturanlässe sind geplant: Konzerte, Ausstellungen, Lesungen. Im Sommer 2024 werden Bühnen Bern im Park «Romeo und Julia» spielen.
Ansonsten wird die Initiative in erster Linie den Kulturschaffenden überlassen. An ihnen wird es sein, die Villa und den Park zu bespielen. Die Örtlichkeit steht entschädigungslos zur Verfügung, lediglich die Reinigungskosten werden verrechnet. Hans Widmer freue sich über Anregungen.