Zwischen Symbolpolitik und Realengagement

von Georg Kreis 21. Mai 2014

Der Vorstoss zweier Berner Stadträte nimmt die Repräsentationsfigur der «Zunft zum Mohren» kritisch in den Blick. Georg Kreis befürchtet, dass dies bloss Oberflächenkosmetik ist und die realen Verhältnisse nicht ändert.

Der Vorstoss im Stadtrat lädt nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit der gängigen Verwendung des Mohrenbildes ein, sondern meint auch: «Allenfalls müsste gar die Entfernung solcher Darstellungen geprüft werden.»

Eine Reihe ähnlicher Demarchen

Der offenbar ohne aktuellen Anlass, aber aus einer heutzutage vorhandenen Sorge geborene Vorstoss reiht sich in eine Reihe ähnlicher Demarchen ein. Diese galten teilweise der Sonderstellung der Schwarzafrikaner, teilweise aber auch anderen, heute als korrekturbedürftig empfundenen Relikten der Vergangenheit.

Um die Beseitigung nicht eines Bildes oder einer Skulptur, sondern einer als unangebracht erscheinenden Würdigung einer Bergbezeichnung ging und geht es dem St. Galler Lehrer Hans Fässler, der in der aktuellen Berner Debatte ebenfalls zu Wort gekommen ist und in den letzten Jahren energisch für eine Umbenennung des im Berner Oberland liegenden Agassizhorn gekämpft hat, weil er darin eine stossende Würdigung eines Rassisten erblickt. Nach der Idee eines Zürcher Gemeinderats hätte 1999 die frühere Würdigung der nach dem Bürgermeister Rudolf Brun benannten Brücke annulliert werden sollen, weil dieser 1349 Verantwortlicher und Profiteur eines Juden-Pogroms war. (Tages-Anzeiger vom 24. Februar 1999)

Ein kommentierendes Schild?

Eine Minimalerwartung hält im Falle des Mohren wenigstens ein «kommentierendes Schild» für angebracht. Das wäre wirklich ein gangbarer Weg. Auf diese Weise könnten aktuelle Bedenken zum Ausdruck gebracht werden, ohne dass auf ungute Weise Vergangenheit, die man ja nicht ungeschehen machen kann und zu der man auch stehen sollte, ausradiert würde. Auch auf der Website der Zunft könnte, sofern diese das mag, eine entsprechende Erläuterung eingefügt werden.

Es fragt sich aber, was auf einem solchen Schild und einer entsprechenden Webpassage stehen sollte. Wäre das etwa eine brauchbare Formulierung: «Mit dieser Figur brachte die Zunft der Schneider und Tuchscherer vor X hundert Jahren ihren Stolz auf die orientalische Herkunft ihrer Waren zum Ausdruck und verfolgte keine rassistischen Absichten. Heutige Rassisten aber könnten sich durch diese Skulptur in ihren unguten Haltungen bestärken sehen…»? Die Formulierung zeigt, wie schwierig bis unmöglich ein solches Unterfangen ist, wenn es uns ohne Zeigefinger belehren sollte. Wahrscheinlich liessen sich bessere Lösungen finden. Man könnte ja einen kleinen Wettbewerb lancieren und die beste Lösung prämieren.

Mohrenköpfe und Globi-Bücher

Von Debatten um Korrekturen im Namensbereich können gewiss unmittelbare Wirkungen ausgehen. Entsprechende Vorschläge lösen, wie der aktuelle Fall zeigt, vorübergehend eine kleine Sensibilisierung aus. Die Initianten dieser Debatte, die es sicher gut meinen, müssen sich aber fragen, ob sie nicht in Oberflächenkosmetik machen und damit sogar das tiefere Anliegen dem Vorwurf aussetzen, dass da – scheinheilig und bequem – bloss politische Korrektheit zelebriert würde.

Wir haben in unserem Land die unselige Kontroverse, ob man noch Mohrenköpfe als solche bezeichnen, verkaufen, kaufen und verspeisen oder ob Frau Meier ihre Katze noch Möhrchen nennen dürfe. Und an Stammtischen wird verhandelt, was man sich zu Schulden kommen lasse, wenn man weiterhin von den «zehn kleinen Negerlein» spreche und unkorrekte Globi-Bücher nicht in den Giftschrank verbanne. Die darin zum Ausdruck kommenden Sorgen um die Gestaltungs- und Meinungsfreiheit einerseits und um Sensibilitäten wegen der Diskriminierung andererseits stehen jedoch in keinem Verhältnis zu den realen Diskriminierungsgefahren, die in unserem Alltag herrschen.

Derartige «Diskussionen» sind billiger Volkssport. Sie nehmen einerseits das berechtigte Anliegen nicht ernst und machen andererseits die Bemühungen um Korrektheit auf billige Weise lächerlich. Wörter haben nicht immer einen festen Inhalt, ihrer Verwendung liegen die verschiedensten Haltungen zu Grunde, die gut oder schlecht oder auch bloss gedankenlos sein können.

Im Kampf gegen den alltäglichen Rassismus

Bestehende Tendenzen, Menschen mit dunkler Hautfarbe als grundlegend anders und vor allem als negativ anders (nämlich: «dumm», «ungebildet», «faul» und «kriminell») einzustufen, besteht im Alltag völlig unabhängig von der Beschäftigung mit der Berner Zunftfigur: im Selbstbedienungsladen, im Tram oder im Zug, in den Restaurants, in den Stadtparks, bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, hoffentlich nicht in der Schule, vielleicht auch in den Spitälern und Altersheimen. Das muss – ohne Symboldebatte – direkt angegangen werden. Desgleichen auch die beschämend hohe Unterstützung von ausländerfeindlichen Initiativen, die man meint, auf diese Weise bekämpfen zu können, die aber direkt bekämpft werden müssen. Die Attacke auf den Mohren in der Kramgasse bringt uns auch in dieser Hinsicht keinen Zentimeter weiter.

Doch zugegeben: Der Kampf gegen den alltäglichen Rassismus und die verbreitete Fremdenfeindlichkeit lassen sich weit weniger leicht packen als die Statue des Mohren. Und weiter sei zugegeben, dass mit Symbolpolitik zuweilen durchaus auch Realverhalten beeinflusst werden kann. In diesem Fall möchte ich das bezweifeln. Sie könnte sogar von den wirklichen Problemen ablenken und die Illusion nähren, damit das Nötige bereits getan zu haben.