Es ist November, die Tage sind kürzer und beinahe allen läuft die Nase. Klar, denn noch ist Herbst: die Zeit des Jahres, in der ich nie genau weiss, wie ich mich kleiden soll. Scheint die Sonne, erleide ich in einer dicken Daunenjacke beinahe einen Hitzschlag; entscheide ich mich aber für den Blazer, laufe ich Gefahr, mich zu erkälten. Und jeden November dasselbe: Ich habe keine Ahnung, was ich anziehen soll.
Müssen wir denn immer eine Ahnung haben? Können wir uns nicht eingestehen, dass wir bei manchen Entscheidungen einfach abwägen müssen?
Wird es kälter, fangen sich die Leute auch häufiger etwas ein: Kopfschmerzen, Sinusitis, Gliederschmerzen, Grippe, Corona (ja, auch dieses Monster ist noch im Umlauf) und nicht zuletzt Angina. Mich hat es nun auch in diesen Tagen erwischt, und ich frage mich, ob es nötig ist, einen Arzt aufzusuchen. Wegen allem zum Arzt zu rennen, scheint mir irgendwie auch nicht das Wahre; die Hausärzte sind ausgebucht, und gleich in den Notfall zu hetzen, erachte ich als irgendwie egozentrisch, gerade wenn ich daran denke, dass ich die Wartezeiten von Patient*innen in die Länge ziehen könnte, die womöglich mit schlimmeren Beschwerden in die Notaufnahme kommen. Aber was, wenn ich vielleicht doch zum Arzt sollte, weil ich selbst vielleicht nicht einfach nur erkältet bin?
Nach dem Podium an der Universität Bern war ich genauso verwirrt, wie ich es jeden November bin, wenn ich eben zwischen Daunenjacke und Blazer entscheiden muss.
Ob bei der Wahl der Kleidung, alltäglichen Entscheidungen oder politischen Belangen: Manchmal weiss ich einfach nicht, was das Beste ist, und das ist doch irgendwie auch menschlich. Nicht bei allen Entscheidungen kann man sich hundertprozentig sicher sein, gerade wenn die Argumente für alle Optionen nicht gut abzuwägen sind.
Vor knapp einer Woche besuchte ich ein Podium in Bern, an welchem über ein ähnliches Thema debattiert wurde: die EFAS, oder ausgeschrieben: die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer medizinischer Behandlungen. Nach dem Podium an der Universität Bern war ich genauso verwirrt, wie ich es jeden November bin, wenn ich eben zwischen Daunenjacke und Blazer entscheiden muss. Ich habe nicht nur keine Ahnung, wie ich mich anziehen soll; in diesem Fall habe ich auch keine Ahnung, wie ich abstimmen soll.
Kurz: Durch die EFAS sollen alle Leistungen gleich finanziert werden, wo auch immer die Behandlung stattfindet. Die Kantone und Gesundheitsorganisationen haben diesem Entscheid zugestimmt. Gewerkschaften haben sich dazu entschlossen, ein Referendum zu ergreifen.
Ob bei der Wahl der Kleidung, alltäglichen Entscheidungen oder politischen Belangen: Manchmal weiss ich einfach nicht, was das Beste ist, und das ist doch irgendwie auch menschlich.
Die bürgerliche Seite argumentierte damit, dass die EFAS ein Schritt in die richtige Richtung sei: Gelder könnten gespart werden, und alle Akteurinnen würden nun am gleichen Strang ziehen. Die anwesende Vertreterin des Referendums hingegen argumentierte, dass die Annahme, Gelder könnten eingespart werden, in der Luft hänge, aber die Gefahr deutlich bestehe, bereits ausgelastete ambulante Stationen – also Ärzt*innen und das Pflegepersonal – zu überfordern.
Der anwesende Arzt war zwar für die EFAS, beteuerte aber, dass die vereinheitlichte Finanzierung nichts an den Tarifen ändern würde, sondern lediglich eine Verschiebung der Kosten zum Kanton hin bewirken würde. Sprich: Am eigentlichen Problem würde sich nichts ändern; er habe lediglich die Hoffnung, dass die Kantone sich anschliessend mit den Tarifen beschäftigen müssten. Weiter betonte er auch, dass der Ausbau ambulanter Betreuung uns vor grosse Probleme stellen würde, wie er es bereits tut, da die Auslastung des Gesundheitspersonals kaum zu tragen wäre. Nicht zuletzt stellte er die Frage in den Raum, weshalb Politikerinnen darüber bestimmen sollten, wie Mediziner*innen behandeln sollen. Obschon er sich für die EFAS aussprach, blieben viele Fragezeichen im Raum – auch bei ihm.
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Manchmal kann man sich eben nicht ganz sicher sein. Manchmal entscheidet man sich, auch wenn viele Fragen offenbleiben.
Oder, auf mein Jackenproblem im November übertragen: Wenn es mir zu kalt ist, könnte ich mich erkälten; wenn ich mich zu warm anziehe, werde ich nicht gerade umgänglich sein und mein Outfit ruinieren, weil ich schwitze wie die Leute in der Schönbühl-Sauna. Bei der EFAS-Abstimmung mache ich es wohl einfach so, wie ich darüber entscheide, ob ich zum Arzt gehe oder was die bessere Kleiderwahl wäre: Ich wähle eines von beidem und hoffe, dass es schon das Richtige sein wird.