Zusammenspiel von Kopf, Herz und Hand

von Christof Berger 17. April 2018

Das Weissenheim im Stadtteil III ist eine der ältesten Institutionen seiner Art in der Schweiz und feiert das 150 jährige Jubiläum.

Es wirkt etwas wie eine Insel über dem Häusermeer, das Gelände des Weissenheims auf dem Lentulushubel, nahe der Kreuzung von Weissenstein- und Schwarzenburgstrasse. Mit dem Weissenheim verfügt der Berner Stadtteil 3 über eine der ältesten Institutionen der Schweiz für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung oder Lernbehinderung. Das Heim kann dieses Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiern.

Start mit Spendenaufruf

Suzanne Bänninger ist stellvertretende Leiterin der geschichtsträchtigen Institution. Seit 2010 leitet sie das Wohnheim und die Schule zusammen mit Heimleiter Stefan Locher. Für das Jubiläum haben die beiden umfangreiche Dokumente zusammengetragen: Den Anstoss für eine «Erziehungs- und Pflegeanstalt für geistesschwache, blöde Kinder» gab der Präsident der Schulkommission obere Altstadt und Pfarrer der Heiliggeistkirche, Jakob Constantin Appenzeller, welcher Ende 1867 einen Spendenaufruf an die Berner Bevölkerung richtete. Er hatte festgestellt, dass behinderte Kinder auflebten, wenn man sich mit ihnen beschäftigte. Der Aufruf stiess auf erfreuliche Unterstützung. Bereits im März 1868 konnte eine Trägerschaft gegründet und am 4. Mai der Herrenstock des Gutes Wattenwyl-de Portes im Wyler mit einer Wohngruppe von drei Mädchen bezogen werden. Dieses erste Domizil erwies sich allerdings als viel zu klein für die Nachfrage. Und bereits drei Jahre später kaufte der Verein das Landgut Weissenheim für 45’000 Franken, welche die Berner Bevölkerung gesammelt hatte. Am 18. Oktober 1871 erfolgte der Umzug an den heutigen Standort.

Moderne Grundlagen

Kopf, Herz und Hand müssen eine Einheit bilden. Dies ist das Credo von Suzanne Bänninger. Das heisst, dass kognitives Wissen, praktisch handwerkliche Fähigkeiten und künstlerisch kreative Tätigkeiten gleichermassen gefördert werden müssen. Das gelte auch und besonders für junge Menschen mit Lernbehinderung. Neben dem Schulstoff nehmen deshalb auch Werken und musische Fächer eine wichtige Stellung ein. Als sehr hilfreich für die Entwicklung der Kinder erweisen sich auch die Heim-eigenen Tiere: Die zwei Kühe mit Kälbern, die sieben Schafe, drei Schweinchen, Hühner, Hasen, Meerschweinchen und die beiden Heimhunde werden in die Förderung einbezogen. Die Kinder haben ihre Ämtli mit den Tieren und fühlen sich von diesen oft besser verstanden als von ihren Mitmenschen. Und auch Suzanne Bänninger versteht sich bestens auf die Arbeit mit Tieren; die ausgebildete Heilpädagogin und Schulleiterin verfügt zusätzlich über langjährige landwirtschaftliche Erfahrung und lebte viele Jahre auf einem Bauernhof im Emmental.

Flexible Wohnformen

Das Weissenheim bietet 32 Plätze für Knaben und Mädchen zwischen 6 und 18 Jahren, für welche eine Bildung in den öffentlichen Schulen nicht möglich ist. «Wir arbeiten hier beispielsweise mit Kindern mit diversen Formen von Autismus, mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS oder mit anderen Verhaltensauffälligkeiten», erklärt Suzanne Bänninger. Im Vergleich zu früheren Jahren, wo die Kinder fix von Sonntagabend bis Freitag im Heim wohnten, sei man in den letzten Jahren wesentlich flexibler geworden und arbeite intensiv mit den Familien oder Pflegefamilien der Kinder und Jugendlichen zusammen. Manche Kinder würden beispielsweise noch zwei oder drei Nächte im Heim übernachten und sonst die Freizeit mit ihrer Familie verbringen. Die Regelungen würden situativ immer wieder überprüft und den aktuellen Gegebenheiten und Bedürfnissen angepasst. Am Ende der Schulzeit werden unter Einbezug der Invalidenversicherung mit den Jugendlichen passende Lehrstellen gesucht.

Totalsanierung 2008

Von den ursprünglichen Gebäuden des Weissenheims steht heute keines mehr. Lediglich der Brunnentrog ist noch der ursprüngliche. Und auch er steht nicht mehr am angestammten Platz. Die heutigen Bauten sind das Resultat einer Totalsanierung ab 2008. Sie konnten 2011 bezogen werden. Nicht nur Gebäude wurden in den rund 150 Jahren ersetzt, auch die Umgebung veränderte sich massiv. Am augenfälligsten war dies sicher in den Sechzigerjahren mit dem massiven Ausbau der Schwarzenburgstrasse und deren Verlegung in die Unterführung unter der BLS-Gürbetallinie hindurch.

Und nun das Jubliäum

Gegenwärtig freuen sich alle auf das bevorstehende Jubiläum. Am 5. Mai wird mit Familienangehörigen, Ehemaligen und Freunden gefeiert. Die Kinder planen, einzelne Stationen aus der Heimgeschichte darzustellen: Mit Theater, Schattentheater oder durch die Schülerband. Am 1. Juni wird zudem der Zirkus Wunderplunder, bei dem rund 10 Ehemalige mitwirken werden, auf dem Lentulushubel gastieren. Im Frühjahr wird ausserdem eine Broschüre erscheinen, welche die wechselvolle Geschichte des Weissenheims dokumentiert.

 

Aus: QuartierMagazin März/April 2018

Mehr Infos: www.weissenheim.ch