Einige Eindrücke:
- Das Projekt «Zukunft Kunstmuseum Bern» bewegt in Bern ausserhalb des Museums keine grossen Kreise.
- Der Standort hinter dem PROGR an der Kante des Aaretalhangs liegt am zugigen Rand der Innenstadt im Schatten und ist vom Bahnhof her schlecht erschlossen.
- Das «neue Museum» bleibt inhaltlich das Alte mit einigen Aufhübschungen.
- Baulich ist alles gut aufgegleist mit einer hochkarätigen Jury. Einzig das Sachpreisgericht erscheint schmalbrüstig; hätte es da nicht Mitglieder gegeben, die Bern kennen und heute Orte leiten, die unlängst neu gebaut worden sind: Josef Helfenstein in Basel, Bernard Fibicher oder Juri Steiner in Lausanne?
Wofür konkret es das neue Kunstmuseum Bern (KMB) braucht, steht dahin. Trotz Workshops, Podiumsgesprächen und Konzepten ist einzig der Sanierungs- oder Erneuerungsbedarf der bestehenden Bauten klar. Und das KMB zeigt interessante Ausstellungen – Heidi Bucher, Meret Oppenheim, El Anatsui, die Jubiläumsschau des Vereins der Freunde des KMB, eine besondere Sicht auf die Sammlung, aktuell die Bilanz zum Legat Gurlitt – und legt einen Schwerpunkt auf Kunst von Frauen. Dafür sind die bestehenden Räume gut genug.
Andere Vorstellungen
Was ist zwingend an der heute gültigen Vorstellung «Zukunft KMB» mit Horizont 2030? Worauf stützt sich diese Vorstellung? Sind andere Ideen unmöglich? Oder sind sie erwogen, aber als falsch oder zu leicht oder unrealisierbar verworfen worden? Kunst soll ja sichtbar machen und den Möglichkeitssinn anregen. Also überlegt man selbst. Einzige Schranke: Der heute bekannte Kostenrahmen.
Wo beginnen? Vielleicht damit, dass ein Kunstmuseum ein Ort für Menschen ist. Und damit, dass Kunst für Menschen ist. Dass nicht in erster Linie die Anforderungen der Fachleute zählen für Klima, Sicherheit und so weiter, sondern die Wünsche der Menschen. Dass es weniger auf die Hülle ankommt als auf den Inhalt. Und dass es – wie in der Medizin – in erster Linie darauf ankommt, nicht zu schaden.
So kommt man zu einer Vielzahl von Vorstellungen für die «Zukunft KMB». Einige sind alt, andere hat das Planungsbüro Metron Brugg vor gut 20 Jahren im Hinblick auf die Abteilung Gegenwartskunst des KMB eruiert. Vier sollen hier skizziert werden:
- Bauen, aber nicht für ewig.
- Ein Museum als Impuls der Stadt- und Kantonsentwicklung.
- Menschen machen Museen, die leben, nicht Bauten.
- Kooperation, nicht Konkurrenz der Städte.
Die Vorstellungen überschneiden sich zum Teil; teilweise werden sie bewusst grob gegeneinander abgegrenzt. Doch zuvor zum Kostenrahmen und zwei wichtigen Grundsatzfragen.
Der Kostenrahmen
Ohne die «Verbesserung» der Hodlerstrasse und des Bären- und Waisenhausplatzes zu rechnen, die streng genommen mit dem KMB nichts zu tun haben, sollen rund 100 Millionen Franken in die Hand genommen werden. Davon sind 15 Millionen für die Sanierung des Stettlerbaus nötig, 40 Millionen für die Sanierung des Atelier-5-Traktes aus dem Jahr 1983. Mit weiteren fünf Millionen für Kleinigkeiten hier und da würde man zum Gesamtpreis von 60 Millionen Franken ein rundum à jour gebrachtes KMB in heutiger Gestalt und Funktionalität erhalten. Dieser Aufwand ist sachlich weitgehend unbestritten. Schlagen wir zehn Millionen für Unvorhergesehenes dazu, kommen wir auf 70 Millionen. Es blieben 30 Millionen Franken für Anderes.
Nachhaltigkeit und Verdichtung – zwei Fragezeichen
Als 1983 der Atelier-5-Trakt in Betrieb genommen wurde, galt er als vorbildlich: Ästhetisch wegen der Farbe im Innern, der mobilen Raumeinteilung, der Lichtführung. Vieles davon erscheint heute problematisch. Doch rechtfertigt dies unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit einen Abriss und Neubau nach erst 40 Jahren? Wie viel Energie wird dadurch vernichtet, wie viel CO2 freigesetzt? Wer garantiert, dass einem Neubau nicht in wiederum 40 Jahren ähnliche Kritik entgegenschlägt? Ist dies nachhaltig und vertretbar in einer Stadt, die sich klimapolitisch vorbildlich verhalten will?
Journal B unterstützen
Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.
Es brauche mehr Raum, hört man ständig. Seit der Eröffnung des Zentrums Paul Klee 2005 sind dort sowie im Kubus des Historischen Museums rund 3500 Quadratmeter bester Ausstellungsraum in Bern entstanden. Mit der Umnutzung des Zentrum-Paul-Klee-Südhügels könnten ein paar weitere hundert Quadratmeter günstig erschlossen werden. Reicht das nicht? Im Stadtkörper gilt das Motto «Verdichten». Ist mehr immer besser?
Erste Idee: «Bauen, aber nicht für ewig»
Für 20 Millionen Franken könnte man ein Provisorium bauen und, sagen wir, 20 Jahre lang betreiben. Ein Bau für Gegenwartskunst wie jener in Winterthur 1994 von Gigon/Guyer. Zum Beispiel auf der Schützenmatte. Ein Ausgreifen des KMB in vorläufiger Form, offen, transparent, einladend. 20 Millionen für Architektur, je eine halbe Million für den jährlichen Betrieb. Was spricht dafür, was dagegen? Wäre Ausprobieren in diesem Sinn ein Gewinn oder eine teure Spielerei?
Zweite Idee: «Ein Museum als Impuls der Stadt- und Kantonsentwicklung»
Anstatt zu fragen, was das KMB braucht, könnte man fragen, was für ein KMB die Menschen in der Stadt und im Kanton brauchen. Wofür benötigen sie es und wo? Wie würde es einladend auch für die Leute, die heute nicht ins Museum gehen? Welchen Nutzen brächte ein Museum zum Beispiel in Bümpliz oder Bethlehem oder Holligen – an einem Ort im Westen der Stadt in der Reihe Zentrum Paul Klee im Osten, saniertes KMB in der Mitte, neues Museum im Westen? Ein Museum für die diverse, durchmischte Bevölkerung mit wenig solchen Kulturorten, das erfolgreiche Haus der Religionen ausgenommen?
Warum geht nicht das Museum zu den Leuten und lässt sich auf sie ein – anstatt zu erwarten, dass die Leute zum Museum kommen?
Oder welche Perspektiven könnte ein im Kanton tourendes Kunstmuseum in Burgdorf, in Langenthal, in Biel, in Interlaken, in Thun, in Spiez, im Jura zusätzlich bieten? Ein Museum, das nicht zwingend ein festes Haus benötigen würde, das von Bau zu Bau wechseln könnte? Natürlich hätte ein solches Konzept Auswirkungen auf die gezeigten Werke (Sicherheit, Versicherung). Aus den Sammlungen, dem Schatz und Rückgrat jedes Museums, könnten von Fall zu Fall Ausstellungen zusammengestellt werden. Für ein geeignetes Depot liessen sich Räume finden. Weshalb sollte das undenkbar sein? Warum geht nicht das Museum zu den Leuten und lässt sich auf sie ein – anstatt zu erwarten, dass die Leute zum Museum kommen?
Zu prüfen wäre auch, das KMB in das Projekt Museumsquartier Kirchenfeld einzubeziehen: In Form eines Neubaus nahe dem Helvetiaplatz. Oder in der Form seiner Eingliederung in bestehende Institutionen, die dadurch verändert würden, etwa die Kunsthalle oder das Historische Museum. Überlegungen in diese Richtung könnten dem Museumsquartier Schub geben. Und natürlich müsste für die Gebäude an der Hodlerstrasse eine neue Verwendung gefunden werden – weshalb nicht als Ateliers, für Galerien und Off-Spaces, für weitere Kulturräume in allen Sparten?
Dritte Idee «Menschen machen Museen, die leben, nicht Bauten»
Oder man baut gar nichts Neues, auch nicht auf Zeit. Sondern man nutzt die nicht verbauten 30 Millionen Franken in den sanierten Gebäuden während 20 Jahren für Investitionen in Menschen (1.5 Millionen Franken pro Jahr). In Gastgeber*innen (wie im Museum für Kommunikation), in Vermittler*innen, in mehr Kurator*innen, in Angebote der Teilhabe, des Erkundens und Entdeckens? In vermehrte Präsentationen der Sammlungen. Es geht ja um Kunst. Um grosse und kleine Kunst, um alte und Gegenwartskunst, um Annäherung an Kunst, auch von Laien und Kindern. Die zusätzlichen Museumsleute hätten die Ideen und endlich auch mehr Zeit und Geld für deren Umsetzung. Die Investition in ihre Arbeitsbedingungen wäre wertvoller als ins Bauen.
Vierte Idee «Kooperation, nicht Konkurrenz der Städte»
Zu Gunsten des Projekts «Zukunft KMB» wird oft gesagt, nachdem Basel, Zürich und Lausanne kunstmuseal «aufgerüstet» hätten, müsse Bern nachziehen. Das scheint mir ein Blödsinn. Erreichen wir dank der SBB nicht all diese Orte von Bern aus in etwas mehr als einer Stunde? Ist die fixe Idee der Konkurrenz nicht veraltet, ebenso wie jene des zerstörerischen Steuerwettbewerbs? Wollen wir wirklich Monumentalbauten wie an den genannten drei Orten? Haben wir genügend uneigennützige Sponsoren neben Wyss? Gibt es ausreichend Betriebsmittel? Kann die Verdoppelung der Besucherzahl realistisch und erstrebenswert sein?
Könnte es sinnvoll sein, sich gemeinsam mit den genannten und weiteren Städten einen Kunststandort Schweiz vorzustellen mit lokaler Vielfalt und Eigenständigkeit und nationaler Zusammenarbeit aus den verschiedenen Stärken heraus? Was hätte Bern da einzubringen? Die Provenienzforschung? Klee? Das Creaviva? Ein besonderer Blick auf Kunst von Frauen? Die Kooperation von Museen, Kunsthalle, Universität und der Hochschule der Künste?
Jedenfalls: Ein Gedanke in Richtung Zusammenarbeit unter den Schweizer Städten würde sich lohnen. Vielfalt als Wesensmerkmal der Schweiz bedeutet das Gegenteil des Überall-Gleichen.
Oder man macht etwas ganz anderes
Die vier skizzierten Ideen sind bloss eine Auswahl. Die Palette der Möglichkeiten ist fraglos viel weiter. Der Künstler, Galerist und Aktivist Till Könneker hat sich kürzlich in seiner Kolumne in der Berner Kulturagenda zum Beispiel Gedanken gemacht zu einer Aufwertung des Aaretalhangs neben der Schützenmatte bis hinunter zum Fluss mit Wegen und vielleicht einem Fussgänger*innensteg ans andere Aareufer. Ähnlich dachte zu Beginn der 1990-er Jahre der damalige KMB-Direktor Christoph von Tavel, der im Wäldchen hinter dem Stettlerbau einen Skulpturenweg vorsah und beim Blutturm eine kleine Brücke hinüber ins Areal der Brauerei Gassner als Ort für Gegenwartskunst.
Es gibt viele wertvolle, wilde, sperrige Ideen für ein neues KMB, wenn man gedanklich den jetzigen Stand verlässt und die Vorstellung Bauen gleich Beton gut überwindet. Noch ist nichts verbaut. Noch bleibt Zeit, die Gedanken fliegen zu lassen. Das Scheitern des Musée cantonal des beaux arts am Seeufer hat in Lausanne zur Entdeckung der Plateforme 10 beim Bahnhof geführt. Ist nicht bisher in Bern genug gescheitert, um gescheiter zu werden?
Sperrige Ideen sollten nicht totgeschwiegen werden. Viel wichtiger ist es, eine längerfristige Debatte zu diesen Zukunftsvorstellungen zu entwickeln. Aus diesem Grund ist Journal B interessiert an Gegenstimmen oder anderen Zugängen: Substantielle Repliken würden wir gerne dokumentieren. Interessiert? Schreiben Sie uns. (red)