Zeitzeugen von anno dazumal

von Sonja L. Bauer 23. März 2023

In den Bildern von Heidi Lutz-Krebs kann der Betrachter versinken. Sie sind zeitlos berückend. Nun erschienen ihre Fotos in «Bern – ein Augenblick wird Ewigkeit». Lutz war damals, mit 20 Jahren, eine der ersten Fotografinnen Berns. Ein Blick zurück in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

Heidi Lutz ist eine leidenschaftliche Frau. Und diese Leidenschaft hat ihr jene Jugend geschenkt, die sie bis weit ins Alter hinauf mitnahm. Diese Leidenschaft trägt Lutz auch im Alter von fast 85 Jahren nach wie vor leicht und sicher die Stufen zu ihrer Wohnung im Berner Schosshalde/Obstberg-Quartier empor, nach oben, wo sie lebt. «Hinauf, nach oben, empor» stehen als Synonym für Wille, umgesetztes Talent, Mut und Kraft. Nicht immer hatte oder hat es die heute über 80-jährige Fotografin leicht im Leben. Aber wer hat das schon? Was sie hat, sind eben jene Attribute, die ihr halfen, ihren ureigenen Weg zu gehen. Und dies beinhaltete eine Trennung in Zeiten, wo dies eine Frau (aus Sicherheitsgründen) kaum wagte. Heidi wagte den Neubeginn. Wagt ihn immer wieder. So ist sie neugierig unterwegs, nimmt teil, ist Teil. Auch von diesem Projekt, das ihr frühes Schaffen zeigt. Im vorliegenden Buch sind die Betrachterin*innen mit der Fotografin unterwegs durch die Stadt Bern, während ihrer Ausbildungsjahre 1959/1960, und finden mit ihr Lebensbilder, die durch das fotografische Festhalten zu Zeitdokumenten wurden.

Buchcover von «Bern – Ein Augenblick wird Ewigkeit».
Buchcover von «Bern – Ein Augenblick wird Ewigkeit».

Heidi Lutz’ Arbeit besteht aus Fotoreportagen und Architekturaufnahmen. Während ihrer Berufsjahre leitete sie ein eigenes Atelier für Werbefotografie. Ihre spätere Arbeit führte sie von der Fotografie zu Film und Videokunst. 2012, da war sie längst über 70, wechselte sie von der analogen zur digitalen Fotografie. «Seit meiner Pensionierung setzte ich mich intensiv mit der Kunst der Fotografie auseinander», sagt die versierte Lebenskünstlerin.

Waschechte Stadtbernerin

Heidi Lutz-Krebs ist Stadtbernerin. Nach einem Jahr in der französischen Schweiz, wo ihr klar wurde, dass sie Fotografin werden wollte, suchte sie sich selbst eine Lehrstelle in Bern. Ihre Ausbildung, die sie bei Foto Lauri als Fotolaborantin begann (sie blieb nur ein halbes Jahr dort) und im Fotoatelier Walter Studer als diplomierte Fotografin beendete, gab ihr Selbstvertrauen und Persönlichkeit. Anschliessend studierte sie an der Kunstgewerbeschule Bern. Dank des Stipendienwettbewerbs «für angewandte Kunst» erhielt sie ein Preisgeld von 800 Franken. «Endlich konnte ich mir meinen Traum erfüllen und eine eigene Kamera, eine Rolleiflex, kaufen.» Was ihr nicht behagte: «Nach dem Lehrabschluss musste ich eine hauswirtschaftliche Fortbildungsschule besuchen, die damals für Frauen obligatorisch war.»

Das Fotoatelier war für mich ein erfüllter Traum. So achtete ich nicht so auf den Hungerlohn von monatlich 200 Franken.

Obwohl es damals schwierig war, eine feste Anstellung als Fotografin zu finden, fand Heidi Lutz eine. Und zwar bei Toni Lutz am Bubenbergplatz. Und wie es sein Name verrät, wurden die beiden ein Paar. Aus der ledigen Heidi Krebs wurde Heidi Lutz. «Das Fotoatelier war für mich ein erfüllter Traum. So achtete ich nicht so auf den Hungerlohn von monatlich 200 Franken.» Für die junge Heidi Krebs, die damals noch bei den Eltern lebte, war es faszinierend, sich mit den modernen technischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Sie fand einen neuen Zugang zur Werbefotografie. «Es ging sehr schnell, und ich durfte den Betrieb zu einem grossen Teil allein führen.»

Ein Kuss als Hochzeitsgeschenk

Im November 1962 bekam sie mit dem ersten Kuss auch gleich einen Heiratsantrag. «Obwohl das Thema für mich in weiter Ferne lag, willigte ich ein.» Sie zog zu ihrem Mann und lebte im Spiegel bei Bern. Nach einem Jahr kam Sohn Turi zur Welt, drei Jahre später Sohn Theo. Auch als Mutter und Familienfrau arbeitete Heidi Lutz ausserdem unermüdlich im Atelier in der Stadt. Toni Lutz war leidenschaftlicher Falkner und Jäger. Heidi liess sich von seinen Hobbys anstecken: Sie machte die Jägerprüfung und hielt sich einen eigenen Habicht.

Schweizer Meister

Ihr Mann seinerseits interessierte sich für Heidis Segelleidenschaft. «Auf der 420er-Klasse wurden wir gemeinsam Schweizer Meister.» Klar wollte sie höher hinaus im Leben. So machte sie auch den Führerausweis für Segelboote auf Schweizer Seen und danach gleich den Ausweis für Hochsee-Segelboote. Ihr Mann war schliesslich jahrelang als Skipper unterwegs. «So war der Fotobetrieb mir überlassen.» Wegen der intensiven Hobbys fehlte das Geld für Neuanschaffungen im Fotoatelier. Damit sie es als Mutter einfacher hatte, wurde früh von der Stadt in den Spiegel umgezogen. «Nach 17 gemeinsamen Jahren, ich war 39 Jahre alt, verliess ich mit meinen Kindern den gemeinsamen Haushalt und meinen Mann respektive ihren Vater.» Die gemeinsame Zeit sei schön gewesen. «Aber ich musste fort. Sonst hätte ich meine Persönlichkeit verloren.»

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Weil sie es war, die ging, erhielt sie von ihrem Mann keinen Unterhalt für die Kinder. «Mein monatliches Budget betrug 2000 Franken. Die wenigen Kunden, die ich hatte, reichten nicht aus, um meine Kinder und mich durchzubringen.» So fragte sie den Fotokollegen Rolf Zumstein, damals Geschäftsführer der Firma Zumstein, um Arbeit. Sie erhielt eine Stelle im Farblabor der Firma Zumstein in der Länggasse. Eine grosse und auch günstige Wohnung fand sie im nahen Schönbühl. «Allerdings fand ich die Wohnung nur mit viel Mühe – als alleinerziehende Frau mit zwei Kindern…» Dort gefiel es der Familie; für den älteren Sohn war das Lehrerseminar Hofwil gut per Velo erreichbar. «Der Schulweg des Jüngeren liess sich mit meinem Arbeitsweg verbinden.» Kurz darauf bot ihr «Probst Film» eine Stelle im Trickfilm-Atelier an, die sie annahm.

Segelboot für drei

Ihre Leidenschaften begleiteten sie weiter. Neben dem Fotografieren nahm sie sich viel Zeit zum Segeln. «Ich wollte ja meine Seemeilen bestätigt haben.» So kaufte sie ein kleines Segel-Hausboot, eine «Corsaire», «gerade richtig für meine Kinder und mich, um darauf Ferien zu geniessen». Ausserdem fuhr sie Regatten damit. 17 Jahre lang wasserte sie das Boot ein und aus, putzte es, strich es neu und schenkte sich dem Hobby. «Die Boje am Murtensee war mein kleines Daheim.» Da körperliche Bewegung für Heidi Lutz stets wichtig war, turnte sie, schwamm, wanderte, fuhr Rad und Ski. «Zweimal fuhr ich mit dem Velo nach Holland.»

Auszeit

Zehn Jahre lang arbeitete sie bei Probst Film, die Kinder waren aus dem Haus und Heidi Lutz beschloss, eine Auszeit vom Alltag zu nehmen. «Als ich meinem Boss sagte, dass ich nach Frankreich wolle, um die Sprache richtig zu lernen, und deshalb kündigen würde, offerierte er mir eine Schule in Paris. Nur damit ich danach wieder zurückkomme. Dazu bezahlte er mir das volle Gehalt für drei Monate.» Paris sei wunderbar gewesen, sagt Lutz. «Die Zeit in meiner kleinen Mansarde, mit wenig Geld, aber viel Freiheit, prägte mich. So wie die ganze Kunst und Schönheit von Paris.»

Porträt von Heidi Lutz. Sie trägt ein gestreiftes Shirt, eine schwarz-rote Brille und kurze graue Haare. Sie lächelt in die Kamera.
Heidi Lutz heute (Bild: zvg).

In der Zwischenzeit verschwand der analoge Film nach und nach. Heidi Lutz wurde schliesslich eine Stelle beim Armeefilmdienst angeboten, der längst auf Video umgerüstet hatte. Diese Arbeit empfand sie zwar als interessant, aber nicht als sehr kreativ. Doch sie schenkte ihr freie Zeit für die eigene Kreativität, da sie nur noch 70 Stellenprozent hatte. Später reiste sie dreimal nach Marokko. «Meine analoge Nikon war immer dabei.» Zu ihrer Pensionierung leistete sie sich eine digitale Nikon. «Ich geniesse es, die Bilder auf meinem Mac zu bearbeiten.»

Nein, ich wollte nie mehr heiraten.

Schliesslich verkaufte Heidi Lutz ihr geliebtes Segelboot und kaufte sich ein norwegisches Postboot. Damit befuhr sie die Kanäle Frankreichs. Bis vor fünf Jahren besass sie noch ein zweites, kleines Hausboot. Starke Schwindelattacken brachten sie schliesslich dazu, das Bootfahren schweren Herzens aufzugeben. «Dieser Schwindel lässt leider auch meine Velotouren nicht mehr zu.»

Trotzdem: Heidi Lutz ist eine agile Frau. Sowohl körperlich als auch geistig. «Nein, ich wollte nie mehr heiraten.» Viel zu sehr liebt sie ihre Freiheit. Aber: «Mit meiner Jugendliebe hatte ich bis zu seinem Tod eine herzliche Verbindung. Wir sind jahrelang Freund und Freundin statt Paar gewesen.»

Buch von Heidi Lutz: Bern – Ein Augenblick wird Ewigkeit. 220 Seiten, ISBN: 978-3-033-09452-9 

Dieser Beitrag erschien zuerst beim Berner Landboten.