Wer vom Norden über Bern zum Grossen Sankt Bernhard in den Süden fährt, könnte für einen Sekundenbruchteil einen Blick auf ein wohl europaweit einzigartiges Bauwerk werfen. In einer gemeinsamen Gebäudehülle befinden sich Tür neben Tür ein Hindutempel, eine Moschee, eine Kirche, ein kurdisch-alevitisches und ein buddhistisches Zentrum. Nicht genug: Auch ein Fenster ins Judentum, zur Sikh- und Baha’i-Religion sind eingebaut. Der gemeinsame Korridor, der Platz für Begegnung, Gespräch und festliche Anlässe, ist auch vorhanden.
Bis zu zwei- bis dreitausend Menschen könnten sich hier gemeinsam aufhalten – und tun dies zuweilen auch an Tagen der Offenen Tür oder bei einer «Nacht der Religionen». Am Europaplatz in Bern ereignet sich dies nun schon seit zehn Jahren. Am 14. Dezember 2014 wurde dieses besondere Haus eröffnet. Die Medien sprachen damals vom «Neuen Wunder von Bern», einer «Neuen Zeitrechnung», einer «religionspolitischen Sensation» und berichteten vom «Massenandrang – Tausende wollen Berns neues Haus der Religionen sehen».

«Für ein einzigartiges Haus» – Ideen und die Initiatorinnen
Es gibt gleich mehrere Vorgeschichten des Hauses der Religionen. Die kleine Gruppe der Herrnhuter Brüdergemeine, seit 1740 in Bern beheimatet, will sich auflösen. In einer Arbeitsgruppe wird 1998 über eine neue Aufgabe nachgedacht, Stichworte sind Ökumene, Migration, Interreligiöser Dialog. «Friedensarbeit im Sinne von Johann Amos Comenius», dem tschechischen Pädagogen, Theologen und Friedensforscher des 17. Jahrhunderts, ist schliesslich der Schlüsselsatz. Ein Arbeitspapier, mit Unterstützung der OeME-Fachstelle und des Synodalratspräsidenten der Berner reformierten Kirchen erstellt, liefert die Grundlage. Das Ehepaar Friederike und Hartmut Haas Kronbach wird mit solch einem Auftrag für fünf Jahre nach Bern-Bümpliz bestellt.
Als Reaktion auf die Golfkriege anfangs der 1990er Jahre bildete sich in Bern ein Runder Tisch der Religionen.
Zur gleichen Zeit untersuchte eine Studie des Stadtplanungsamtes Bern die Entwicklungsmöglichkeiten für den Bümplizer Stadtteil. Das einstige Bauerndorf wurde zur Heimat von «Gastarbeitern» und später geprägt vom Zuwachs durch Migrantgruppen. Christian Jaquet, Dozent der Hochschule der Künste in Bern und mit der Studie beauftragt, erkannte gerade mit den Migranten das Potenzial für die Stadt und empfahl: «Mit einem neuen und in der Schweiz einzigartigen Haus der Kulturen und Religionen» könne man diesem Stadtteil eine besondere Bedeutung zukommen lassen.


Als Reaktion auf die Golfkriege anfangs der 1990er Jahre bildete sich in Bern ein «Runder Tisch der Religionen». Er wollte eine Plattform sein für ein Miteinander, für Begegnung, für Gespräch und sogar auch für Gebet zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kulturen und Religionen, anstatt einen «Kampf der Kulturen» heraufzubeschwören.
Diese drei Initianten oder Initiativen trafen sich im November 2000 im jüdischen Gemeindehaus Bern. Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt, mit dem Ziel, die Verwirklichung eines Hauses der Religionen voranzubringen.
Der Verein, die Stiftung und die Bauleute
Bereits im Frühjahr 2002 entstand der Verein «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» in dem bis heute Menschen aus acht Weltreligionen aktiv sind. Der Verein brachte die Konzeption voran und entwickelte vom ersten Tag seiner Existenz Programme, Kurse und Tagungen, die sich im Grunde über 20 Jahre hinweg bis heute bewähren und die Grundlage liefern für alles, was aktuell im Haus der Religionen am Europaplatz stattfindet. Das sind die Halb- oder Jahresprogramme, die Restauration – heute eine ayurvedisch-koschere und internationale – Küche, die Bildungsangebote bis hin zu den CAS-Kursen für Moderation und Mediation im interreligiösen Kontext oder Grossanlässe von den Fête KutuRel bis zur jährlichen «Nacht der Religionen».

Der Verein organisierte dies von verschiedenen provisorischen Standorten aus, war – wie viele Gemeinschaftsräume von Migrantenorganisationen – auf Wanderschaft von einem zum anderen vorläufigen Lokal. Die Adressen lauteten Burgunderstrasse, Waisenhausplatz, Schwarztorstrasse oder Laubeggstrasse.
Die Kosten für das Haus betrugen zwölf Millionen Franken, wobei der definitive Ausbau der sakralen Räume hier nicht berücksichtigt ist. Lange schien es unmöglich, die erforderlichen Mittel aufzubringen.
Weil bald klar war, dass für die Realisation eines grossen physischen «Hauses der Religionen» eine Vereinsstruktur nicht ausreichend sein würde und neben der inhaltlichen Arbeit die Baufragen zu umfassend sein würden, um dies allein zu meistern, entstand im Jahr 2006 die «Stiftung Europaplatz – Haus der Religionen». Sie verantwortet die Verhandlungen mit den Planern und Behörden, möglichen Investoren für eine Gesamtüberbauung, die juristischen Regelungen als Stockwerkeigentümer, für die Baurechtsverträge und letztlich auch für die Finanzierung des Gebäudebereichs und seines Unterhaltes, wie etwa der kürzlich erfolgte Einbau eines Liftes.
Am 14. Dezember 2014 wurde das «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» am Europaplatz in Bern eröffnet. Anlässlich seines zehn-jährigen Bestehens am Europaplatz lädt das Haus vom 20. Oktober bis zum 14. Dezember mit zehn Veranstaltungen in zehn Wochen ein. Hier geht es zum ganzen Programm.
Ausserdem ist anlässlich des Jubiläums das Buch «Die Welt am Europaplatz. Geschichten aus dem Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» erschienen. Das Buch kann im Haus der Religionen beim Empfang gekauft oder hier direkt bestellt werden.
Die Finanzierung
Die Kosten für das Haus betrugen zwölf Millionen Franken, wobei der definitive Ausbau der sakralen Räume hier nicht berücksichtigt ist. Lange schien es unmöglich, die erforderlichen Mittel aufzubringen. Das Vorhaben drohte mehrfach zu scheitern. Erst im Jahr 2011 gelang das Kunststück, nachdem aus Kreisen der Vereinsmitglieder an die zwei Millionen Franken aufgebracht wurden. Zuvor hatte die Rudolf und Ursula Streit Stiftung ihren Beitrag auf drei Millionen Franken erhöht und durch die Stifterin persönlich für das Vorhaben geworben.

Bis zum Sommer 2011 entschieden so nacheinander die Parlamente der katholischen wie der reformierten Kirchen in der Region Bern und die Burgergemeinde der Stadt die Vergabe von jeweils einer Million Franken. Das Stadtparlament selbst hatte zuvor mit der Regelung des Baurechtszinses mehrfach die Unterstützung für das Haus bekräftigt. Schliesslich entschied auch der Grosse Rat, durch Vergabe von Mitteln aus dem Lotteriefonds zugunsten der Verwirklichung des Hauses der Religionen am Europaplatz.
Zu den Krisenzeiten des Projektes gehört sicher das Jahr 2007. Im Vorstand liefen die Erwartungen an ein Haus der Religionen weit auseinander.
Damit nicht genug. Geschätzt brachten die Religionsgemeinschaften für den Innenausbau ihrer sakralen Räume nochmals ungefähr vier Millionen Franken auf. Sie hatten die Räume im Rohbau erhalten und waren für deren Ausgestaltung – und später dann auch für deren Unterhalt – selbst verantwortlich.

Für die gemeinschaftlichen Räume und für die Programme im Bereich «Dialog der Kulturen» ist der Verein «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» verantwortlich und organisiert dafür auch die nötigen Mittel. Neben den Beiträgen der Mitglieder ist es die Stadt Bern, die für die Kulturarbeit erhebliche Beiträge leistet. Auch aus den Kirchen, so von der Kantonalkirche Bern-Jura-Solothurn, katholischen und reformierten Kirchgemeinden, von der Rudolf und Ursula Streit Stiftung und manchen anderen Organisationen kommen die benötigten Betriebsmittel von jährlich etwa eineinhalb Millionen Franken.
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Die Kritik und die Krisen
Bei aller prinzipiellen Bereitschaft, die Idee an einem «Dialog der Kulturen» mitzutragen und ein «Haus der Religionen» auch in provisorischen Räumen zu realisieren, war es lange die kleine Herrnhuter Gruppe in der Schweiz, welche massgeblich die Mittel für einen Betrieb und besonders für Gehälter bereitstellte. Nachdem nach einer fünfjährigen Anschubfinanzierung durch die Herrnhuter weder ab dem Jahr 2005 noch bis ins Jahr 2009 die in Aussicht gestellte Mitfinanzierung durch dritte Partner umgesetzt werden konnte schien das Ende gekommen. Es waren schliesslich die Herrnhuter in der Schweiz sowie die Fontes-Stiftung, welche die grössten finanziellen Löcher für die nächsten Jahre nochmals stopfen halfen, bis die weitere grosse Hilfe durch die Rudolf und Ursula Streit Stiftung eine ganz neue Basis schuf.

Zu den Krisenzeiten des Projektes gehört sicher das Jahr 2007. Im Vorstand liefen die Erwartungen an ein Haus der Religionen weit auseinander. Während einige dafür plädierten, nur symbolische Orte in einem solchen Haus für die Religionsgemeinschaften zu verwirklichen, stellten andere überbordende Erwartungen an das Vorhaben, die jedes realistische Mass und auch die eigenen personellen Möglichkeiten weit überschritten. Schliesslich führte die Aufnahme der Aleviten, eine mehrheitlich kurdisch geprägte Gruppe türkischer Herkunft, und ihre Raum-Partnerschaft für das Haus der Religionen zu einem weiteren Streit. Diese Krise bewältigt zu haben, ist das besondere Verdienst von Gerda Hauck, die in diesem Jahr das Präsidium des Vereins übernahm und mit viel Geduld neue Grundlagen für die Vorstandsarbeit schuf.

Natürlich hat auch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen behördlichen Massnahmen sehr in die aktuelle Arbeit eingegriffen. Mit den Ruheständen langjähriger Mitarbeiterinnen und einem nicht geringen Wechsel in der Mitarbeiterschaft ist eine Verunsicherung im Verein zu spüren. Auch der medial sehr breit aufgenommene Vorwurf von «Zwangsheiraten», die im Umfeld des «Hauses der Religionen» vorgekommen sein sollen, wirkt sich belastend aus. Eine staatsanwaltliche Untersuchung dazu wurde allerdings eingestellt. Aber das Thema von «arrangierten Ehen» und Eheschliessungen an den Standesämtern vorbei ist gewichtig und Bestandteil der weiteren Arbeit.
Die Inspiration und die Aufgaben für die Zukunft
Es gibt in Mitteleuropa kein Land, keine Stadt, kein Dorf mehr, welches ganz allein für sich existieren könnte. An jedem Ort ist heute die ganze Welt mit ihren Hoffnungen und Krisen gegenwärtig. Manchmal vielleicht noch «nur» durch das Internet und alle möglichen medialen Netzwerke, allermeist aber auch ganz konkret durch Menschen, welche die kulturelle wie religiöse Vielfalt der Weltgemeinschaft zu einem nachbarschaftlichen Nebeneinander werden lassen. Dies führt automatisch zu Fragen des Miteinanders in den Schulen und Bildungseinrichtungen, in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und längst auch auf den Friedhöfen im Umgang mit Trauer und Formen der Bestattung.

Um diese gesellschaftlichen Prozesse zu begleiten, um aus einem isolierten Nebeneinander ein Miteinander werden zu lassen, ist das Haus der Religionen mit seiner Plattform «Dialog der Kulturen» da. Hier stellen sich die Kulturen der Welt vor, so wie sie sich in Bern im Lauf der Zeit eingefunden haben. So können sie sich erklären, Missverständnisse und Fremdenfeindschaft überwinden helfen und mit ihren Formen des kulturellen Ausdrucks bei Musik, Tanz, Theater, in Form von Ausstellungen, bei Gesprächen und auch in religiösen Ritualen eine vertrauensvolle Basis für unsere multikulturellen Gemeinden und Quartiere der Zukunft legen.
Hartmut Haas ist Pfarrer der Herrnhuter Brüdergemeine. Er war Projektleiter, Vereinspräsident und Geschäftsleiter des Vereins «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» bis zu seinem Ruhestand 2014. Die Universität Bern verlieh ihm 2016 den Titel eines Ehrendoktors.