Wurst- und Käse-Salat?

von David Fürst 4. März 2024

Männlichkeit Christoph Gostelli und Timo Jost setzen sie sich in ihrem Podcast «Wurst-Käse-Salat» mit Männlichkeit auseinander. Im Gespräch erzählen sie, wieso es nötig ist, sich mit der gesellschaftlichen und politischen Dimension des Patriarchats auseinanderzusetzen und was die multiplen Krisen unserer Zeit, wie Kriege und Klimakatastrophe, mit Männlichkeit zu tun haben.

Die beiden Sozialarbeiter*innen kommen gerade aus Zürich, wo die beiden im Männerbüro als Gewaltberater*innen arbeiten. Christoph ist der Entertainer und Timo, der gut 10 Jahre jünger ist, wirkt eher ruhig und bedacht. Die beiden trennt eine Generation und dies fällt auch im Podcast auf, wo sie aus unterschiedlichen Perspektiven heraus sprechen. Durch ihre Arbeit kamen sie in engen Kontakt mit gewaltausübenden Männern und erkannten, dass Gewalt oft eng mit Vorstellungen von Männlichkeit(en) verbunden ist.

Journal B: Nun habt ihr 10 Folgen Wurst-Käse-Salat veröffentlicht. Wieso habt ihr euch dazu entschlossen, diesen Podcast zu lancieren?

Christoph: Weil das Thema gesellschaftlich zu wenig thematisiert wird – und wenn das Thema Männlichkeit mal auf den Tisch kommt, wird es sehr einseitig beleuchtet. Wir möchten mit unserem Podcast unterschiedliche Facetten von Männlichkeit aufzeigen.

Timo: Für Menschen, die mit männlichen Privilegien leben, ist es enorm wichtig, sich damit zu beschäftigen.

Die Auseinandersetzung mit Männlichkeit sollte laut den beiden Berner- und Zürcher Podcastern alltäglich werden (Foto: David Fürst).

Journal B: Es gibt viele Männer-Coaches, die Seminare anbieten, um Männer in ihrem Mann-Sein zu unterstützen. Da werden zum Beispiel Rituale in Wäldern durchgeführt, es gibt Mutproben und Männer sind unter sich. Wie seht ihr solche Bewegungen?

Timo: Es gibt ein gewisses Bedürfnis nach solchen Angeboten, was ich auch nachvollziehen kann. Das Problem ist jedoch, dass sie dann einfach machen, was ihnen guttut, und sich nicht mit der Gesellschaft und deren Machtstrukturen auseinandersetzen, welche sie als Männer in eine Machtposition bringt.

Christoph: Grundsätzlich ist nichts verkehrt daran, wenn Männer sich im Wald treffen, Rituale durchführen und lernen, über ihre Emotionen zu sprechen. Es wird dann problematisch, wenn dabei eine Männlichkeit propagiert wird, die sich von Weiblichkeit abgrenzt. Das ist nichts Neues, das gab’s schon in den 50er-Jahren.

Journal B: Was meinst du damit?

Christoph: Dieses sehr traditionelle Männerbild, wo es zwei Geschlechter gibt und darin auch zwei Rollen. Frauen sind so, Männer sind so. Unsere Grundkritik an diesen Bewegungen ist oft, dass es privilegierte Männer sind, die sich Raum für ihr Leiden nehmen und sich dann darüber identifizieren – anstatt sich mit der eigenen Machtstellung in der Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Christoph Gostelli arbeitet als Männer- und Gewaltberater im Männerbüro Zürich und wohnt in Bern (Foto: David Fürst).

Journal B: Es gibt ja auch sehr frauenfeindliche Stimmen in der Männerbewegung. Ihr kritisiert in eurem Podcast auch Influencer, die z.B. auf Tik-Tok viel Aufmerksamkeit erhalten und diskriminierende Weltbilder proklamieren. Habt ihr eine Idee, wie eine progressive  linke Männlichkeit gelebt werden könnte?

Christoph: Ganz einfach: Leg deine Männlichkeit ab und sei frei (ironischer Tonfall).

Timo: Das ist zu einfach gesagt. Wenn du auf der Suche nach Identität bist, möchtest du Anhaltspunkte.

Christoph: Die traditionelle Männlichkeit, welche gewisse Aushängeschilder der Männerbewegung wie Andrew Tate propagieren, gibt es schon lange. Diese Erzählungen werden aufgewärmt und erscheinen in neuen Gewändern, aber es ist immer das Gleiche. Sei stark, sei ein Mann, zeig keine Gefühle, du bist der Ernährer – du hast das Recht, Macht auszuüben. Du bist quasi per Naturgesetz den anderen Geschlechtern höhergestellt. Der Stärkste gewinnt. Eine linke, progressive, kritische Männlichkeit muss neu erfunden werden. Es gibt da keine klaren Antworten. Die Identität wird hier durch das Ablehnen der bereits erwähnten Männlichkeit geschaffen: «Wir wollen nicht so sein wie die traditionellen Männer, nicht dominant, nicht übergriffig, nicht gewalttätig».

Das Thema Männlichkeiten muss auf den Tisch (Foto: David Fürst).

Journal B: Das ist jetzt nicht sehr konkret.

Timo: Eine progressive Männlichkeit könnte eine sein, bei der Männer lernen, über Bedürfnisse und Gefühle zu reden – nicht nur mit Frauen, sondern auch untereinander. Oft passiert genau das Gegenteil. Männer wollen stark sein und reproduzieren diese Normen in Gruppen. Gerade auch bei Kindern kann man das gut beobachten. Wenn ein Junge hinfällt und seine Reaktion eigentlich wäre zu weinen, unterdrückt er dies, weil er zur Gruppe dazugehören möchte. Dass Männer nicht weinen dürfen, lernen viele schon früh. Man vereinsamt so in der Gruppe, weil man sich Gefühle und Emotionen abspricht, die eigentlich da wären und wichtig sind. Viele Männerfreundschaften bleiben aufgrund fehlender emotionaler Verbindungen sehr oberflächlich, weil eben fast keine Gefühle zugelassen werden.

Es gibt viele Männer-Coaches, die jungen Männern Ratschläge erteilen, wie sie beruflich oder beim Flirten erfolgreicher sein können, wie sie sich gegen die «woke»-Gesellschaft wehren oder ein echter Mann sein können. Diese Bewegungen reichen von Incels bis hin zu esoterischen Ansätzen – für alle ist etwas dabei. Von Links werden diese Stimmen dekonstruiert, die darauf abzielen, Männern Orientierung zu geben.

Journal B: Ihr skizziert jetzt eine Männlichkeit, die anders ist, die mehr Gefühle zulässt, die lernt, über Bedürfnisse zu sprechen. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die sagen, Männlichkeit sei nicht reformierbar. Kim Posster vertritt diese These zum Beispiel in seinem Buch «Männlichkeit verraten!». Was haltet ihr davon?

Timo: Reformierbar in dem Sinne, dass man sie als Gesellschaft aktiv reformieren könnte, glaube ich nicht. Aber wir können sie konstant wandeln. Männlichkeit hat sich auch geschichtlich immer weiterentwickelt. Daher gibt es auch nicht die eine Männlichkeit und so reformiert sie sich auch selbst konstant. Eine gute Männlichkeit ist eine, die funktioniert, die lebbar ist. Es ist eine Männlichkeit, die für die eigenen Bedürfnisse stimmt. Viele traditionelle Männlichkeiten schliessen Emotionalität und Verletzlichkeit aus.

Timo Jost hat Soziale Arbeit studiert und arbeitet und podcastet mit Christoph zusammen (Foto: David Fürst).

Journal B: In der Schweiz gab es 2023 laut «Stop Femizid» 18 dokumentierte Femizide. Gewalt, die von Männern ausgeht, ist ein gesellschaftliches Problem. Ihr arbeitet beide beim Männerbüro Zürich, wo ihr Männer, die Gewalt ausgeübt haben, beratet. Wie beeinflusst euer Job den Podcast?

Timo: Christoph war mein Praxisausbildner und wir hatten damals einen Buchclub, in dem wir uns über Männlichkeit ausgetauscht haben. Bei den Männern, die wir beraten, sind Männlichkeitskonstrukte sehr zentral. Auf dieser individuellen Ebene arbeiten wir mit den Klienten, aber es braucht immer auch eine gesellschaftliche, strukturelle Ebene. Soziale Arbeit ist auch immer Arbeit am System und nicht nur an den Leuten.

Journal B: Was denkt ihr, was braucht es auf der politischen Ebene, um Männlichkeit zu verändern?

Christoph: Die Auseinandersetzung mit Männlichkeit sollte alltäglich werden. Es sollte auch in der Schule thematisiert werden – und es braucht mehr Hilfsangebote für Männer. Timo und ich arbeiten beide im Männerbüro Zürich und dies ist die grösste Beratungsstelle der Schweiz – wir sind 7 Berater*innen für ca. 220’000 Menschen.

Eine hörbare Auseinandersetzung mit Männerbewegungen – das ist «Wurst- Käse-Salat» (Foto: David Fürst).

Timo: Das Bundeshaus ist ein Ort, wo Männlichkeit reproduziert wird in der Art, wie Politiker auftreten und sich äussern. Auf einer inhaltlichen Ebene wäre es sinnvoll, die Elternzeit einzuführen, um so mehr Gleichberechtigung zu schaffen. In Ausbildungen braucht es Infos zu Geschlechter-Fragen. Geschlecht muss zum Thema gemacht werden. Nur so können wir was ändern. Das Wissen, dass Geschlechterrollen nicht von Natur aus zweiteilig sind, muss gesellschaftlicher Konsens werden und es braucht Vorbilder; Männer, die Dinge anders machen.

Christoph: Ich glaube auch nicht, dass man allzu sehr auf den Staat vertrauen sollte, wenn es um solche Veränderungen geht. Der Staat ist per se patriarchal. Es braucht eine ausserparlamentarische Bewegung. Cis-Männer müssen das Thema bearbeiten und auf die Strasse tragen. Das ist auch das Ziel des Podcasts.

Journal B: Ihr habt eine Folge über männliche Privilegien gemacht. Wie geht ihr persönlich mit euren Privilegien um?

Christoph: Ich glaube, es geht darum, in gewissen Situationen keinen Raum einzunehmen und die Bühne FLINTA-Personen zu überlassen. Aber in gewissen Situationen ist es wichtig, sich zu positionieren – gerade bei Sexismus in Männergruppen. Ich glaube, diese Balance zu finden, hat sehr stark mit Privilegien zu tun. Denn wer Privilegien hat, muss sich mit gewissen Sachen nicht auseinandersetzen.

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Timo: Schon nur, dass wir diesen Podcast machen und damit öffentlich Raum einnehmen, ist ein Privileg. Wir versuchen, mit Achtsamkeit zu arbeiten. Wir hatten auch schon viele Ideen, und fragen uns auch immer, welche Geschichten eignen wir uns an, wozu äussern wir uns und wo überlassen wir Themen Menschen, die mehr Wissen haben.

Christoph: In diesem Körper zu stecken heisst, du kannst dich bestimmten Sachen entziehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich bei der Reitschule von Polizist*innen kontrolliert werde, ist viel kleiner als für PoC, oder auch im Ausgang ist die Wahrscheinlichkeit minimal klein, dass ich belästigt werde. Als Mann kann ich mich aktivistisch betätigen – oder mich einfach zurückziehen. Das können FLINTA-Personen nicht so einfach. Viele Menschen haben diese Wahl nicht.