Woody Allen und die jüdische Orthodoxie

von Esther Fischer-Homberger 22. August 2014

«Fading Gigolo» ist nicht, wie viele der Filmrezensionen meinen, nur eine etwas fade Sex-, Geld- und Liebesgeschichte, sondern vor allem eine Erzählung über die Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden.

Der unorthodoxe jüdische Buchantiquar Murray wird verkörpert durch den in jüdischer Tradition aufgewachsenen Woody Allen, geboren als Allan Stewart Konigsberg, und seinen italienischstämmigen ehemaligen Angestellten und Freund Fioravante gibt der katholisch erzogene Schauspieler und Regisseur des Films, John Turturro.

Die beiden können von Geist und Bildung nicht mehr leben. Murray, der in dritter Generation im jüdisch dominierten Brooklyn mit seltenen Büchern handelt, kann seinen Laden nicht mehr halten – die Menschen, die seltene Bücher kaufen, sind selbst allzu selten geworden. Er unterhält eine Beziehung zu einer Afro-Amerikanerin und hütet nun deren vier schwarze Kinder.

Der auch nicht mehr so junge Fioravante, der schon als Teenager in Murrays Laden gearbeitet hatte, ist dessen Zögling, Freund und Partner, lebt kümmerlich von seiner Teilzeitstelle in einem Blumenladen.

Ein neues Geschäft

Angeregt durch den frivolen Wunsch seiner Hautärztin – Haut ist der Ort für Berührung – und deren Freundin, mit einem noch aufzutreibenden Liebhaber einen «ménage à trois» zu führen, schlägt Murray Fioravante vor, ein entsprechendes Gigolo-Geschäft aufzubauen. Er selber würde dabei als Vermittler dienen, der sich in Gelddingen auskennt und einen Teil des Gewinns für sich beanspruchen würde.

Nach anfänglichem Entsetzen und Befremden – das wäre ja Prostitution, und sein Freund Murray wäre ja ein Zuhälter – schwenkt der zurückhaltende Fioravante ein. Er braucht das Geld und eignet sich – unter dem für den Zweck angenommenen Namen «Virgil Howard» – überraschend gut für den Posten.

Liebe und Geschäft

Eines Tages aber vermittelt ihm Murray die bedrohlich verklemmte orthodoxe Avigal, die Witwe eines Rabbi (Vanessa Paradis) Mit Hinweis auf ihre Trauer verweigert Avigal jede Annäherung und vollends natürlich die Heiratsvorschläge des Dovi, eines aufdringlichen Mitglieds einer selbsternannten jüdischen Quartiers-Sittenwache.

Woody Allen alias Murray empfiehlt ihr eine Therapie, und seinen Kollegen Fioravante als Therapeuten. Der berührt sie auf zurückhaltende zarteste Weise, psychisch und physisch, lehrt sie fühlen und verliebt sich selbst in sie. Damit taugt er nicht mehr recht als Gigolo. Avigal erweckt, erheitert, verliebt, wendet sich ihm zu, nichts scheint dem gemeinsamen Glück noch im Wege zu stehen.

Geschäft und Liebe

An diesem Punkt aber schlüpft sie in die alte Rolle zurück, erhört endlich den wenig bezaubernden orthodoxen Sittenwächter und verabschiedet sich ohne weiteres vom perplexen Fioravante. Auch das befremdete Kinopublikum lässt sie sitzen. Dessen fast selbstverständliche Erwartung, dass immer die Liebe den Fortgang der Geschichte entscheidend leite, erweist sich als naiv und scheitert, ihrer ideologischen Überhöhung entkleidet, am Fels jüdisch-orthodoxer Sippen- und Sittentreue und Überlebenstechnik.

Der verlassene Fioravante, geknickt und konsequent, beschliesst wegzureisen, weg von allem, auch von Murray. Da taucht jedoch eine neue mögliche Kundin auf – und das Geschäft der alten Freunde geht weiter. Vermutlich…

Seit der Zeit der grossen Romane des 19. Jahrhunderts hat sich die Konvention etabliert, den Wert der leidenschaftlichen, sexuell genährten Liebe höher anzusetzen als alle anderen Werte, sodass «die Liebe» nur entweder siegen oder tragisch unterliegen kann. In «Fading Gigolo» ist es anders: Hier dient die Liebe letztlich den übergeordneten sozialen und kulturellen Werten einer jüdischen Ethik und Sittlichkeit. Die Gojim bleiben da draussen.

Die komplizierte Beziehung

Wenn ich mich recht erinnere, gab es in früheren israelisch-jüdischen Filmen ähnliche narrative Figuren. In «Hunting for Elephants» (Israel 2013), der selbstironischen Komödie von Reshef Levi, die in ihrer Heimat offenbar ein Hit war, steht das liebende Paar – und wer sich mit ihm identifiziert hatte – am Ende am allerdümmsten da.

Und das zum Ersticken selbstreferentielle, ausgezeichnete Kammerspiel «Fill the Void» der jüdisch-orthodoxen Regisseurin Rama Burshtein (Israel 2012), hervorragend gefilmt und erzählt, handelt ausschliesslich von der Abwägung der Interessen Liebender – gegen diejenigen eines Kindes, einer Grossmutter, einer Tradition – und vom schliesslich freiwilligen, liebenden Opfer der persönlichen Präferenzen.

Nicht als Unterhaltung über Geld und Sex, aber als kluger Film über die komplizierte Beziehung zwischen jüdischer und nichtjüdischer Kultur, Bindungen und Geschäftsbeziehungen, auch als Metapher für das Film-Geschäft gelesen, ist der «Fading Gigolo» absolut sehens- und bedenkenswert.