Der Weg zum Bärengraben oder zum Rosengarten könnte für Touristinnen und Touristen in Bern künftig länger werden. Der Stadtrat wünscht sich nämlich, dass der Wohnraum in der Altstadt vor allem der Bevölkerung von Bern zur Verfügung steht. Er will verbieten, Zweitwohnungen ausschliesslich für Ferienzwecke oder als Business-Apartments zu vermieten (siehe Infobox).
Edith Siegenthaler, Präsidentin des Mieterinnen- und Mieterverbands des Kantons Bern und SP-Grossrätin, unterstützt dieses Vorhaben. «Solche Vermietungen haben zugenommen und verstärken die Wohnungsnot.» Mehr Wohnungen für Touristinnen und Touristen bedeutet weniger Wohnungen für die Bevölkerung, lautet die Argumentation.
Die Datenlage dazu ist jedoch dünn. Von Wohnungsnot ist die Rede, wenn drei Jahre lang durchschnittlich weniger als 1 Prozent der Wohnungen leer stehen. In der Botschaft zur Abstimmung steht, dass dieser Wert in Bern seit Jahren durchschnittlich 0.5 Prozent beträgt.
Allerdings findet keine Unterscheidung statt, ob ein Wohnraum als Erst- oder Zweitwohnung, als Ferienwohnung oder Business-Apartment genutzt wird. Der Bund spricht grundsätzlich von einer Erstwohnung, wenn sie von einer Person genutzt wird, die in der entsprechenden Gemeinde niedergelassen oder als Wochenaufenthalterin oder -aufenthalter gemeldet ist – die Wohnung also die meiste Zeit über für sich selbst nutzt.
Laut der neuen Bauordnung der Stadt Bern heisst kurzzeitig und gewerbsmässig vermieten, wenn eine Zweitwohnung mehrmals pro Jahr für weniger als drei Monate und insgesamt für mehr als 90 Tage vermietet wird.
Zahlen, aber keine Zusammenhänge
Die Befürworterinnen und Befürworter der neuen Regelung berufen sich auf Daten von AirBnB, einer Onlineplattform, auf der vorwiegend Privatpersonen ihre Wohnungen für kurze Zeit vermieten können. Laut ihnen lässt sich dort beobachten, dass vermehrt Wohnungen kommerziell vermietet werden.
«Detaillierte Zahlen zum Airbnb-Angebot in der Stadt Bern stehen seit 2017 zur Verfügung», sagt Philipp Wigger von der Fachstelle Wohnbauförderung. «Seither ist sowohl für die Gesamtstadt als auch für den Stadtteil 1 ein kleiner Anstieg des Angebots feststellbar.» 2017 gab es auf AirBnB insgesamt 47 Inserate für Wohnungen in der Altstadt, 2020 waren es 68. Während die Zahl der Inserate in der ganzen Stadt während der Pandemie stark zurückging, blieb sie in der Altstadt mit 65 Angeboten stabil.
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Kein Grund, etwas zu unternehmen, findet hingegen der Hauseigentümerverband Bern und Umgebung. «Die Mietpreise sind nicht markant angestiegen», sagt Simone Richner, Vorstandsmitglied und FDP-Stadträtin. Während die Wohnbevölkerung in der Altstadt um 4 Prozent zugenommen habe, sei die durchschnittliche Miete für eine 3-Zimmer-Wohnung lediglich um 1 Prozent gestiegen, schreibt der Hauseigentümerverband in einer Medienmitteilung. Er sieht keinen Zusammenhang zwischen den AirBnB-Angeboten und der Wohnungsnot. Um gegen diese vorzugehen, brauche es stattdessen mehr Wohnungsbau und zwar in sämtlichen Segmenten, ist Simone Richner überzeugt.
Nicht nur das: «Die Teilrevision der Bauordnung widerspricht der Lebenseinstellung vieler junger Leute», so Richner. Für den Hauseigentümerverband ist AirBnB Ausdruck der Sharing-Economy, bei der Leute Eigentum gemeinschaftlich verwalten. Für Leute, die temporär in Bern arbeiteten, aber ihren Wohnsitz anderswo haben, oder aus familiären Gründen eine vorübergehende Bleibe brauchen, seien solche Wohnungen wichtig, sagt Simone Richner.
Edith Siegenthaler vom Mieterverband findet, dass der Hauseigentümerverband ein unvollständiges Bild vermittelt. «Wenn man alle Wohnungen in der Innenstadt berücksichtigt, sind die Wohnungspreise zwischen 2016 und 2020 um über 6 Prozent gestiegen.» Die Preise für 1- und 2-Zimmer-Wohnungen, von denen es besonders viele gebe, seien mittlerweile sogar um 10 bis 11 Prozent höher.
Auch die Zunahme der Einwohnerzahl interpretiert Siegenthaler anders. «Wegen den hohen Wohnungspreisen können sich die Menschen weniger Quadratmeter leisten.» Schliesslich bleibe es mit der neuen Bauordnung explizit erlaubt, die eigene Wohnung über AirBnB unterzuvermieten – nur dürften Wohnung nicht ausschliesslich für AirBnB genutzt werden.
Eine Bauordnung für alle Fälle
Die Anzahl Inserate auf AirBnB ist keine Garantie dafür, dass immer mehr Wohnungen kommerziell vermietet werden. «In den ausgeschriebenen Übernachtungsmöglichkeiten sind auch Angebote enthalten, die nicht unter die vorgesehene neue Regelung fallen, zum Beispiel Hotelzimmer und Home-Sharing-Angebote in Erstwohnungen», sagt Philipp Wigger. Auf der anderen Seite erfasse AirBnB nicht alle Zweitwohnungen, die für kurze Zeit vermietet werden.
Somit fehlen nicht nur präzisere Daten dazu, wie Wohnungen in Bern genutzt werden, sondern auch Studien, wie sich beispielsweise die Angebote auf AirBnB auf die Mietpreise und die Verfügbarkeit von Wohnungen in Bern auswirken. Nicht zuletzt deshalb zieht es der Gemeinderat wohl vor, bei der Teilrevision der Bauordnung von einer «präventiven Vorlage» zu sprechen.