Wohin geht die Kunst?

von Dorothe Freiburghaus 22. Oktober 2014

George Steinmann – ein bemerkenswerter Berner Künstler, ein gebürtiger Thuner und Bluesmusiker – erhält eine beachtliche Ausstellung im Kunstmuseum Thun. Sie zeigt, wie Steinmann immer versucht, gesellschaftlich Relevantes zu schaffen.

George Steinmann erarbeitet ein aussergewöhnliches Werk, das die Position des Künstlers neu und klar definiert. Er ist überzeugt und arbeitet entsprechend seiner Überzeugung, «dass ein Paradigmenwechsel hin zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft ohne Wissensform Kunst nicht möglich sein wird».

In der Ausstellung im Kunstmuseum Thun macht uns der Künstler mit seinen Projekten vertraut, die er ein, zwei, fünf oder mehr Jahre verfolgt und weiterentwickelt hat. Er gibt uns Einblicke in die Zusammenarbeit der gestalterischen und erfinderischen Kraft der Kunst mit der Wissenschaft, der Forschung und der Ethik.

Vom Betrachter wird Vertiefung und Zeit zur Auseinandersetzung gefordert, um die Arbeitsweise des Künstlers zu erkennen, der bei jedem Projekt zentrale Fragen stellt. Hilfreich ist dabei die kleine Broschüre, die vom Museum als Begleitung mitgegeben wird.

Eine wachsende Skulptur

Gleich zu Beginn erwartet uns eine Installation zum Forschungsprozess in der russischen Teilrepublik Komi, wo sich riesige Urwälder befinden. Hier hat Steinmann während zehn Jahren «a growing sculpture» (eine wachsende Skulptur) also ein Zentrum für nachhaltige Forstwirtschaft entwickelt. Es ist dies eine Zusammenarbeit mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, der Nichtregierungsorganisation Silver Taiga Foundation und der lokalen Bevölkerung.

In zwei Filmen und auf vier Tischen gibt Steinmann Einblick in die Forschungsarbeit, die das Forstwesen, das Modell des Forstzentrums, die Nachhaltigkeit, das lokale Wissen um Heilpflanzen, umfasst. Fein säuberlich sind die Unterlagen – Dokumente, Fotos des kranken Waldes, Rundhölzer, Berechnungen, die auf eine neue Wirtschaftlichkeit weisen, Pläne, Skizzen, Gläser mit getrockneten Kräutern, Fläschchen mit Ingredienzien – aufgereiht und mit Büchern ergänzt.

In dieser Installation treffen wir bereits auf den blau-violetten Farbstoff Myrtillin der Heidelbeere, einer Heilpflanze für die Augen, der wir im Werk von George Steinmann immer wieder als Unterstützung der Wahrnehmung begegnen.

Das fossile Zeitalter

Überraschend ist die Installation «The Fossile Age – das fossile Zeitalter (1983/1989)». Ein grosser leerer Raum mit nur einem langen Stück Bahngeleise und Anthrazitkohle. Steinmann wies damit früh auf die ungelöste Problematik der Energiequellen hin. Die orange Leuchtfarbe auf den Schienen unterstützt den Eindruck der Geschwindigkeit.

Der Künstler setzt sich bei diesem Projekt intensiv mit den fossilen Ressourcen wie Kohle, Erdöl und Gas auseinander, die am Klimawandel massgeblich beteiligt sind. Er stellt die Frage nach der Erschöpfung dieser Energiequellen in naher Zukunft und deren Folgen. Kunst als Engagement an der Geschichte der Menschheit.

In Zeichnungen mit Bleistift, Leinöl, Schellack und Gesteinspigment realisiert er Gedanken, Ideen und Visionen.

Afro-amerikanische Kultur

Im Experimentalfilm «Down here» von Mike Henderson – dem mit George Steinmann befreundeten Bluesmusiker – und seinem Bruder, wird die Geschichte der Sklaverei aufgearbeitet und die Frage, was ist «hier unten» lebenswert, aufgeworfen (1970).

George Steinmann antwortet darauf mit der Installation «The Blues I want is for the Future (2014)», einer Installation um Indigo und Baumwolle, die während der Sklaverei beim Herstellungs- und Verarbeitungsprozess viele Todesopfer gefordert haben. Im Film «Down here» wird das Seil zum Symbol für Unterdrückung. George Steinmann nimmt es mit der Indigofarbe in seiner Installation auf und beleuchtet die Spannungsfelder der afro-amerikanischen Kultur.

Hütte für Ruhe und Einkehr

Gegenwärtig arbeitet George Steinmann intensiv auf der Insel Vilm, einem kulturhistorisch und naturgeschichtlich bedeutsamen Ort. Die Insel liegt im Südosten von Rügen, einem der ältesten Naturschutzgebiete Deutschlands. Involviert im neuen Projekt sind der Philosoph und Umweltethiker Konrad Ott, der Architekt Jost Kutter, die Zürcher Hochschule der Künste und die Naturschutzakademie der Insel Vilm.

Dabei soll auf einer Waldlichtung ein schlichter Holzbau entstehen als Ort des Rückzugs für Kunstschaffende und WissenschaftlerInnen. Der Grundriss entspricht einer gespiegelten Spirale, wobei die nach links drehende Spirale den Weg nach Innen, die nach rechts drehende Spirale die Sicht nach Aussen in Kreativität und Forschung darstellt. Eine Hütte für Ruhe und Einkehr hat Steinmann in einem Werk bereits im Berner Oberländer Dorf Saxeten errichtet.