Wohäre geisch, Chlöisu? U was blybt?

von Maurin Baumann 12. November 2022

Chlöisu Friedli war ein einzigartiger Berner Blueser. Er war auch ein feinfühliger Autor. Seine Erzählungen sind nun in erweiterter Neuauflage wieder greifbar.

Der Ort ist keineswegs zufällig gewählt: Als 1968 in einem alten Lager am Klösterlistutz die Mahogany Hall entstand, baute Chlöisu Friedli sie mit auf.

In den frühen Siebzigern tummelte sich dort eine Gegenkultur, die im stockbürgerlichen Bern dem Funk und Blues frönte. Friedli war oft auf der offenen Bühne zugegen – spät, nach Ende seiner Arbeit – und spielte sein kleines Repertoire von drei Instrumentalstücken.

Zwischen den Liedern erzählte Friedli: mal anekdotisch von der Arbeit, mal kurioses aus dem Leben – jedoch nie aufgesetzt. Ohne Hang zur Effekthascherei.

Und genauso liest sich auch Friedlis Literatur. Unaufgeregt, direkt und mit viel Gespür für zwischenmenschliche Unschärfen und Verworfenheiten. Vom Geschriebenen geht auch viel Wärme aus. Nun bietet sich die Gelegenheit, den Autor Chlöisu Friedli neu oder wieder zu entdecken.

Ein drohender Kobold

Vergangene Woche wurde Friedlis Prosa ebenda in der Mahogany Hall präsentiert. Die erste Auflage seiner gesammelten Erzählstücke von 1993 ist längst vergriffen. Unter dem Titel «Das Gesetz des Waldes» ist das Buch nun als Neuauflage wieder im Handel. Erweitert wurde es um drei bisher unveröffentlichte Storys sowie einen Epilog mit den Stationen in Chlösiu Friedlis Leben.

Da gibt es den stadtbekannten und beim Publikum beliebten «Salty Dog»; Chlöisu Friedli als Pianist der Long Street Jazz Band, es gibt den Betonbrenner, den Kellner, den Lageristen – den Arbeiter Friedli. Da gibt es Episoden des Fernwehs: Träume von weiten Reisen, die bei der Umsetzung nach fünf Wochen auf einem Polizeiposten in Bellinzona enden.

(Foto: Maurin Baumann)

Und es gab die Tiefpunkte. Auf dem Bauernhof in Zimlisberg, wo Friedli mit seiner Frau Alice und der Tochter Julia hingezogen war, begegnete er auf der Heubühne einem Kobold, der ihm drohte. Es jagte ihm einen Schrecken ein. Die Begegnung gab Friedli «zu denken», heisst es im Epilog. Er habe nicht darüber gesprochen, «aber er hat den Kobold wirklich gesehen.»

Irgendwann hielt Friedli es in Zimlisberg nicht mehr aus – vielleicht wegen dem Kobold, vielleicht aber auch wegen der helvetisch-ländlichen Engstirnigkeit: Friedlis blieben auf dem Land Fremde. Ihre Lebensgestaltung wurde von den Bewohner*innen des Dorfes stets argwöhnisch beäugt. Schliesslich kündigte er die Wohnung auf dem Land.

Von dort aus musste Friedli in die Psychiatrische Klinik Waldau. «Ja, Herr Friedli, es ist wohl besser, wenn Sie einige Wochen bei uns bleiben», sagte der Arzt damals.«Sie werden pro Tag zwei Spritzen erhalten, das wird Ihren Zustand verbessern. In ein paar Wochen können Sie wieder lachen.» Das Gespräch fand im Waschraum statt, dem einzigen Ort, wo es ruhig genug – und das Rauchen gestattet war.

Seine Erfahrung zwischen zwei täglichen Spritzen und Kettenrauchen in diesem Waschraum, wo man für sich sein konnte, besang Friedli später im Sünneli-Blues. «Sie hei nid emau es Rümli, wome cha rede mitenang», konstatiert Friedli. Er klingt dabei nicht trübherzig, sondern nonchalant.

Dunkle Leere drückt hingegen in Friedlis Prosa durch. Das klingt dann so: «Mit dreckigen Hosen und ungewaschenen Haaren stehe ich da und schaue der Welt zu, wie sie ohne mich fertig wird», schreibt er. «Ich lebe in den Tag hinein. Am Abend habe ich jedesmal ein Hochgefühl, dass ich ins Bett darf. Aber zurück bleibt ein schaler Geschmack im Mund, da ich den Tag verbringe,  als ob ich in einem Buch blätterte, ohne es eigentlich lesen zu wollen.»

Oder so:

«Ich habe nichts mehr zu sagen. Nichts mehr zu lachen. (…) Meine Philosophie, die Freude, die Lebensfreude versickert im Erbrochenen einer vom Auto angefahrenen Katze. (…) Mein Wunsch, der Inhalt meines Lebens, geistert im Zimmer umher und lacht mich mit zahnlosem Mund aus. Die anderen greifen mir unter die Arme; ihre Hilfe läuft mir als kalter Schweiss im Arschloch zusammen, und durstig, wie ich bin, verschütte ich mit zittrigen Fingern das Wasser, das ich doch so gerne trinken möchte. Meine Kraft ist meine Frustration. Habe ich diese nicht mehr, ist die Kraft auch nicht mehr da.»

Eine lächerliche, baufällige Treppe

Friedlis Wunsch geistert im Zimmer umher und lacht ihn mit zahnlosem Mund an. Sein Wunsch, der Inhalt des Lebens ist – so heisst es später im Text – das harmonische Leben in der Gemeinschaft. Das Gegenmodell zu einer von Leistung und Konkurrenz getriebenen Gesellschaft. «Wo in aller Welt», schreibt er,  «kann heute ein psychisch angeschlagener Mensch vollkommen frei und nach seinem Wunsch bei schönstem Sonnenschein mitten in einen Abhang eine lächerliche, baufällige Treppe bauen und damit neuen Mut zum Leben gewinnen?»

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Friedli konnte das in La Colle in der Haute-Provence, wo er 1977/78 in einer therapeutischen Wohngemeinschaft lebte. Und später – nach einer weiteren Krise und Aufenthalt in einer Psychiatrischen Klinik – in Bordei im Centovalli, als Teil einer therapeutischen Gemeinschaft. Dort spielte er wieder Klavier. Und er schrieb weiter an seinen Geschichten. «Ich schreibe neuerdings Kindermärchen.» Mit Hingabe arbeitet er an seinen Heinzelmännchengeschichten. Man kann sie als krassen Bruch zur schweren und dunklen Prosa lesen.

Ob Wald-, Berg- oder Meerheinzelmännchen, ob sie nun dem Mond aus der Klemme helfen, oder in Sibirien einen von einer Verfolgungsjagd erschöpften Gefängnisflüchtigen aufpäppeln. Immerzu stehen die fantastischen Geschöpfe für Solidarität und Gemeinschaft – für ebenjene magische Harmonie, die Friedli suchte, vermisste und letztlich in seinen Liedern und Erzählungen erschuf.

Sie werden bleiben, auch wenn er sich entschieden hat zu gehen. «Meier steigt das Bahnbord hinauf und bleibt auf den Geleisen stehen. Er fällt auf die Knie und legt sich hin, so dass der Kopf auf eine Schiene zu liegen kommt.»

Am 3. Juli 1981 ist Chlöisu Friedli hinter der Waldau unter den Zug gegangen.

«Kommt es denn nie in Ordnung?»

«Mit sechzehn Jahren dachte ich, mit dem Schulabschluss sei alles in Ordnung», schrieb er. «Ich habe gedacht, mit dem Abschluss der Lehre sei alles in Ordnung.

Ich dachte, mit einer Freundin sei alles in Ordnung. Und ich habe gedacht, mit der Matura sei alles in Ordnung. An einem Samstagmorgen jedoch habe ich gemerkt, dass ich zum Leben die Matura nicht brauche. Ich habe sogleich die Privatschule verlassen. Mein Planen und Hoffen ging weiter.»

Er hoffte auf eine gute Stelle, eine Heirat, Wohnen auf dem Land – dann ein Seitensprung, Alkohol, viel Geld.

Chlöisu Friedli: Das Gesetz des Waldes; Bern: Fata Morgana, 159 Seiten, 25 Franken. (Foto: Maurin Baumann)

«Kommt es denn nie in Ordnung?» fragt er. Und schleudert die Antwort hinterher: «Nein!» Seit Geburt sei man geschleudert in das Spannungsfeld des Lebens, in das Seilziehen zweier Pole. Warm und kalt, Nord und Süd, Sommer und Winter. «Diese Gegensätze erhalten uns am Leben und verleihen uns Kraft, Kraft zu ändern und zu verbessern. Der Tod hebt diese Spannung auf, und wir können nichts mehr ändern.»

Friedli kann nichts mehr ändern. Seine Geschichten aber bewegen bis heute. Gut, dass sie erneut gedruckt wurden.

 

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