Wo Raumfahrerin und Taucher sich treffen

von Helen Dahdal 26. Februar 2013

Grafik und Graffiti haben mehr gemeinsam als den Wortstamm. Die Ausstellung und Party «Abartig» zeigte, wie das eine in das andere einfliesst und damit der Kreativität neuen Schub verleiht.

Tiefe Basstöne begleiten die Besucher beim Betreten des Ausstellungsraumes. Die Atmosphäre lädt zum Betrachten der an den Wänden aneinandergereihten Plakate und Gemälde ein. Jung und Alt stehen vor der Plakatwand, betrachten die kleinen Kunstwerke und diskutieren über deren Gestaltung, Thematik und Wirkung. Von einer Seite blickt der grosse Roboterkopf des «Optimus Prime» den Gästen entgegen. Das von Korsett Kollektiv gebaute State Building wird als DJ-Pult in der Party nach der Ausstellung von Suffix durch farbige Discolichter zum Leben erweckt. 

Am Anfang stand das Graffiti

Ein Motorradfahrer fährt mit atemberaubendem Tempo in eine Kurve. Daneben posiert eine Raumfahrerin in einem futuristischen Mondanzug und ein paar Reihen weiter kämpft ein Taucher mit zwei angriffslustigen Haien. Im New Graffiti Bern sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. 

Auf vielen Plakaten ist der Einfluss der Graffiti-Kunst deutlich zu erkennen. Wer kennt sie nicht: Die durch Farben aus Sprühdosen geschaffenen Kunstwerke an Hauswänden, Autobahnen und Zügen. Viele erfolgreiche Grafiker begannen ihre Karriere mit der Ausübung der Graffiti-Kunst. So waren auch die Schwarzmaler eine Graffiti-Crew und nahmen Aufträge in diesem Bereich an.

«Nur das illegale Graffiti ist auch das Echte»

Schwarzmaler Pascal Flühmann

Das Graffiti wird oft als Vandalismus angesehen und mit der Illegalität in Verbindung gesetzt. «Graffiti hat mit dem Illegalen angefangen. Nur das illegale Graffiti ist auch das Echte», erklärt Schwarzmaler Pascal Flühmann. Die Berner Stadtregierung steht der Ausübung dieser Kunstform skeptisch gegenüber. Heute kann man in Bern kaum mehr eine solche Kunst praktizieren: «In Bern ist es sehr schwierig die Erlaubnis für ein Graffiti zu erhalten», entgegnet Pascal Flühmann.

Der junge Schwarzmaler hat inzwischen einen anderen Schwerpunkt gesetzt: Heute beschränkt sich der Graffiti-Aspekt auf einen kleinen Tätigkeitsbereich, vorwiegend arbeitet er im Bereich Grafik & Design.

Die visuelle Version der Kommunikation

Die an der Veranstaltung ausgestellten Plakate zeigen die unerschöpflichen Möglichkeiten der grafischen Gestaltung. Die Vereinfachung kontroverser Themen durch Bildkompositionen und typographische Elemente können wichtige Botschaften den Leuten näherbringen: Das Wesentliche ohne Worte erfassen, einem visuellen Verständnis gleichkommend. So ist auf einem Plakat eine Krawatte abgebildet, die sich in eine Schlinge verwandelt. Auf einem anderen Exemplar ist eine aus einem amerikanischen Dollar ausgeschnittene Pistole auf schwarzem Hintergrund zu sehen. Es thematisiert offenkundig die jüngsten Tragödien der Amokläufe in den USA.

Das Geheimnis: Offen für alles

Angesichts der Vielseitigkeit der Plakate stellt sich die Frage, woher die Grafiker die Ideen schöpfen. «Ideen kommen von überall», erklärt Amadeus Waltenspühl und fügt hinzu: «Alles kann Ideen generieren und oft spielt auch der Kontext eine Rolle.»

«Ich bin überhaupt nicht auf der Suche nach meinem eigenen Stil»

Amadeus Waltenspühl

Ideale haben die beiden Grafiker nicht. Dies sei von Vorteil: Jede Gestaltung durchlaufe einen gewissen Prozess, aus dem sich das Ideal schliessich herausbilde, erklärt Pascal Flühmann. Die Vielseitigkeit und das Ideenreichtum sind also deshalb so stark ausgeprägt, weil die Künstler sich dem Spontanen hingeben. Sich auf eine Kunstrichtung oder ein Ideal festzulegen, verursacht eine Eingrenzung der Fantasie. Amadeus Waltenspühl erläutert, was seine Werke ausmachen: «Ich bin überhaupt nicht auf der Suche nach meinem eigenen Stil. Es wäre langweilig, würde man sich immer im gleichen Stil bewegen. Ich will vielseitig bleiben.»

Begeisterung bei den Gästen und Veranstalter

Beeindruckend ist das von der Gemeinschaft Onur gestaltete Bild «Legends Never Die»: Durch das Aufkleben kleiner Abbildungen von Basketball-Legende Michael Jordan wurde ein neues Ganzes geschaffen: Ein Porträt aus seinen eigenen Elementen. «Ich habe es ersteigert», freut sich einer der Gäste. Der für die Ausstellung engagierte Fotograf ist begeistert von den unerwartet humorvollen Plakaten: «Dieses Bild vom Schweinekotelett mit den Umrissen der Schweiz, genannt ‘Schweinz’, haut mich von den Socken.»

Kurz nach Türöffnung betrachteten schon erste Besucher die verschiedenen Kunstwerke, die auf dem Plakatstand zum Verkauf angeboten wurden. «Wir sind positiv überrascht. Es sind viele Leute gekommen», so Veranstalter Daniel Sommer. Organisiert wurden Ausstellung und Party «Abartig» von DontStop und Korsett Kollektiv zusammen mit Onur, den Schwarzmalern und Amadeus Waltenspühl. Nicht ohne Stolz erklärt Schwarzmaler Pascal Flühmann: «Für uns ist es ein wichtiges Event, denn diesmal wurden wir nicht von einem x-beliebigen Veranstalter in eine Galerie eingeladen. Wir haben alles organisiert und aufgestellt. Es ist sozusagen ausnahmslos alles ‘handmade’.»