Wird Bümpliz eines Tages wieder rot?

von Fredi Lerch 21. Juni 2017

Rotes Bümpliz (3) / Der Kosmos der SP zerfällt. Die Sozis laufen zur SVP über. Seit 1984 politisiert der Westen Berns konservativer als der Rest der Stadt – auch, weil ein Drittel seiner Bevölkerung kein Stimm- und Wahlrecht hat.

Hat die Bümplizer SP 1972 noch 703 Mitglieder, so sind es zurzeit nur noch etwas über 200. Die Parteistärke sinkt von 44 Prozent Wähleranteil 1980 über 32 Prozent (2004) auf knapp 26 Prozent (2016).

Die rechtskonservative Zeitenwende

Gegen die sozialen Folgen von Wirtschaftswachstum und Arbeitsmigration gibt es für die verkleinbürgerlichten Alteingesessenen zunehmend nur noch ein probates Rezept: Antietatismus und Fremdenfeindlichkeit. Mit Blick auf das Abstimmungsverhalten stellt der Historiker Beat Hatz «einen offensichtlich tiefen Graben zwischen dem Stadtteil VI und den restlichen Stadtteilen» fest. Einige Gründe für das Bümplizer Ressentiment gegenüber Staat, Stadt und Fremden nennt der Lokalhistoriker Max Werren am 2. August 2016 gegenüber dem «Bund»: «Entsorgungsanlage, Fahrende in Buech, Schiessanlage: Alles, was die Stadt Bern nicht will, wird in den weitläufigen Ortsteil abgeschoben.»

Aufgrund der Analyse der städtischen Abstimmungen setzt Hatz «die politgeografische Zeitenwende» im Jahr 1984 an. Seither stimmt Bümpliz konservativer als der Rest der Stadt, und zwar zunehmend: unterdessen fallen drei Viertel der städtischen Abstimmungen um mehr als 10 Prozent rechtskonservativer aus als in der Reststadt. Hatz resümiert: «Erstens hat der Stadtteil VI mit seiner Bevölkerungsexplosion zwischen 1940 und 1970, dem Anstieg des Wohlstands der Schweizer Bevölkerung, der in Bümpliz teilweise nicht stattfindenden Vermischung der Angehörigen verschiedener Nationalitäten und dem damit verbundenen Herauskristallisieren von Mehrheiten für rechtsbürgerliche Positionen sein politisches Profil verändert. Zweitens widerfuhr den restlichen Stadtteilen ein zur Jahrtausendwende einsetzender Linksrutsch, der das Auseinanderdriften der Kernstadt mit der Agglomeration akzentuiert hat.»

Allerdings, darauf verweist der Politologe Werner Seitz beim kritischen Gegenlesen der ersten Fassung dieses Textes: «Bei den Eidgenössischen Volksabstimmungen vom 25. September 2016 lehnte die Stadt Bern die Initiative ‘AHVplus: für eine starke AHV’ ab (48,2%) und nahm die Initiative ‘Für eine Grüne Wirtschaft’ an (56,5%). Bümpliz dagegen nahm die AHV-Vorlage an (51,8%) und verwarf die Grüne Wirtschaft (40,8%) (ähnlich stimmte auch Schwamendingen, quasi das Bümpliz von Zürich). Das heisst: Traditionell sozialpolitisch offen, ablehnend gegenüber den neuen rotgrünen Werten (und der politischen Öffnungsfrage).»

Das diskriminierte weltoffene Bümpliz

Zwischen dem 19. und dem 21. August 2016 feiert Bern im Westen ein grosses Stadtfest: Bümpliz wird 1000. Zumindest ist der Ort 1016 unter dem Namen «Pimpenymgis» erstmals aktenkundig geworden. Zum Fest erscheint eine Sonderausgabe der Zeitschrift «Reportagen» mit dem Titel «Zu Besuch in Bümpliz Bethlehem». Ausgangspunkt des Heftes, so das Editorial, sei der Hinweis eines Bümplizer Pfarrers gewesen, um zu unerhörten Geschichten aus der ganzen Welt zu kommen, müsse man nicht weit reisen – es genüge, nach Bümpliz zu kommen und den Leuten zuzuhören. Entstanden ist so eine Sammlung von journalistischen Porträts. Neben einigen prominenten Bümplizern (Büne Huber, Alain Sutter) und einigen Alteingesessenen (etwa Frau Fischer, Herr Hugi und Frau Brunner) begegnet man Menschen, die das Heft und das heutige Bümpliz bunt, lebendig und international machen: zum Beispiel Yifan Chen, Melrose Smart, Suela Kasmi, Ilahije Asani oder Murali Thiruselvam.

Im Stadtteil VI leben heute Menschen aus über vierzig Nationen. Mit 33,3 Prozent hat er den höchsten AusländerInnenanteil der Stadt. Klar können diese Zahlen als Grund für die rechtskonservative Wende in Bümpliz betont werden. Aber man kann auch sagen: Bümpliz ist heute wieder dort, wo es 1908 war, als Loosli und Benteli mit ihrer Filibusterei erreicht haben, dass jene, die in Bümpliz leben und arbeiten, auch politisch mitbestimmen können. Damals ging es um die Diskriminierung der einheimischen Arbeiter durch die eingesessene Bauernschaft, heute geht es um die Diskriminierung aller Arbeitenden ohne Schweizerpass durch das fehlende Ausländerstimmrecht.

Dieses Recht wird allerdings auf kantonaler Ebene geregelt. im Kanton Bern wurde 1994 eine Volksinitiative für ein lokales und kantonales Ausländer-Stimmrecht abgelehnt. 2010 scheiterte dann mit der Initiative «zäme läbe – zäme schtimme» die fakultative Einführung des Ausländerstimmrechts auf kommunaler Ebene mit 72 Prozent Nein-Stimmen – die Stadt Bern nahm mit 51 Prozent an, der Stadtteil VI lehnte mit 69,6 Prozent ab. Ende März 2017 hat nun die Grossrätin der Grünen, Simone Machado Rebmann, im kantonalen Parlament einen neuen Vorstoss deponiert, der erneut das Stimm- und Wahlrecht für AusländerInnen auf kantonaler Ebene fordert.

2000 wählte die SP Bümpliz den damals 21-jährigen Maschinenzeichner Timur Akçasayar zum neuen Sektionspräsidenten. Geboren wurde er im Frauenspital Bern, aufgewachsen ist er in Bümpliz. Weil er sich aber erst kurz nach der Wahl einbürgern liess, sei – so Anliker – die örtliche SVP-Sektion Sturm gelaufen gegen die Wahl eines «Türken» in eine solche Funktion. Heute ist Akçasayar Teil der SP-Fraktion des Stadtparlaments. Aus der SP Bümpliz sitzt dort auch zum Beispiel Rithy Chheng, Kind von Indochinaflüchtlingen, 1980 geboren in einem Aufnahmecamp in Thailand. Als Sektionspräsident ist Akçasayar unterdessen abgelöst worden von Szabolcs Mihalyi, Sohn von Ungarnflüchtlingen, dessen Grossvater – ein Katholik mit jüdischen Eltern – in einem nationalsozialistischen KZ ermordet worden ist.

Solange in Bümpliz nur jene aus anderen Ländern Zugezogenen stimmen und wählen dürfen, die eingebürgert sind, ist es bloss eine Behauptung, das rote Bümpliz sei untergegangen. Vielleicht verhindert die diskriminierende Kantonsverfassung ja bloss, dass man es wieder sehen kann.