Richtig auf das Gespräch einlassen konnte sich am Sonntagnachmittag Stadtpräsident Alexander Tschäppät erst, als aus dem Publikum der beruhigende Zwischenruf kam, unterdessen führe YB im Spitzenkampf gegen Basel 2:0. Eigentlich ging es aber im Rahmen des ersten «Café publique» in der Grossen Halle der Reitschule um die Frage: «PublicViewingSwissDomeSuperLightShow: Bern – eine grossartige Kulisse!?» Neben Tschäppät diskutierten mit der Moderatorin Sandra Künzi Daniel Blumer, der Leiter des Kompetenzzentrums für gemeinnützigen Wohnungsbau und Fritz Schär, Architekt und Mitglied der städtischen Kommission Kunst im öffentlichen Raum.
Von Poulets und Gemüse
Und so ging es los: Künzi erinnerte an Events wie die Miss Schweiz-Wahlen im «Swiss Dome» oder das Coop-gesponserte Beach-Volleyball-Turnier auf dem Bundesplatz und konfrontierte Tschäppät mit der Frage, ob Bern unter rotgrüner Führung eigentlich zum Europapark mutiere.
Tschäppät erwiderte, der Druck von allen Seiten, die Plätze der Stadt – und insbesondere den Bundesplatz – für Events zu nutzen, habe in den letzten zwei, drei Jahren stark zugenommen, darum brauche es für die Nutzung Spielregeln. Künzi: Für die Altstadtplätze existiere ja ein Nutzungskonzept, und darin stehe: «Nicht kommerziell, kein Eintritt». Tschäppät: Schon, aber ausgerechnet der Wochenmärit sei der kommerziellste Anlass, der auf dem Bundesplatz stattfinde. Künzi: Es gebe Kommerz und Kommerz, ein Poulet bei den Miss Schweiz-Wahlen sei nicht das gleiche wie ein Poulet auf dem Märit. Tschäppät: Die Praxis zeige, dass alles irgendwie kommerziell sei; darum sei er dafür, dass man die Sache grundsätzlich diskutiere und den Kommerz nicht von der Art des Gemüses abhängig mache, das angeboten werde. Künzi: «Es gibt eben guten Kommerz und bösen Kommerz.» – Tschäppät: «Aber wer definiert das?» – Künzi: «Sie! Die Stadtregierung!»
Soweit der Stand der Debatte nach fünf Minuten und siebenunddreissig Sekunden (laut meinem Aufzeichnungsgerät). Selten erlebte ich ein Podiumsgespräch, in dem man so schnell und so unterhaltend zur Sache kam.
Der Gebrauchswert des öffentlichen Raums
In seinem Input verglich Daniel Blumer Bern mit der kolumbianischen Stadt Medellín, die im Frühling 2013 vom «Wall Street Journal» zur innovativsten Stadt der Welt gewählt worden war. Seine Analyse: Erfolgreiche Stadtplanung geht in Zusammenarbeit mit der betroffenen Bevölkerung vom «Gebrauchswert» des öffentlichen Raums aus, nicht von seinem optimierten kommerziellen Nutzen («Tauschwert»). «Der Märit auf dem Bundesplatz hat einen hohen Gebrauchswert sowohl für die Bauern und Bäuerinnen, die ihre Produkte ohne Zwischenhandel absetzen können, als auch für die Stadtbevölkerung, die den Markt auch wegen der ‘communication au trottoir’ liebt.» Die Miss Schweiz-Wahl dagegen sei das Gegenteil gewesen: ein Event ohne Gebrauchswert für die Leute, und als protestiert worden sei, habe man demokratische Rechte ausser Kraft gesetzt.
Wie kaum eine Innenstadt, sagte Blumer, sei Bern «als Ganzes ein Urban Entertainment Center, eine Shoppingmall» mit direktem Anschluss via Bahnhof und Waisenhausparking und der semiöffentlichen Laubengangarchitektur als erweitertem Eingangsbereich. «Gerade, weil im Zuge der ‘Mediterranisierung’ die Gassen in der warmen Jahreszeit unterdessen zugestuhlt sind, muss mit den öffentlichen Plätzen besonders sensibel umgegangen werden» – wobei Sensibilität eben heisse, sich zu orientieren am Gebrauchswert für die Stadtbevölkerung; an der Möglichkeit, «sich den Raum anzueignen».
Knackpunkt ist die Privatisierung des Raums
Fritz Schärs Input ging von der Frage aus: Was ist öffentlicher Raum? Seine Antwort: Öffentlicher Raum habe immer und überall der «Identifikation des Gemeinwesens» gedient. Zwar habe der Raum stets auch politische Funktionen gehabt, «aber grundsätzlich waren es schon immer auch kommerzielle Interessen, die öffentlichen Raum entstehen liessen».
Von Blumers Stichwort «Gebrauchswert» ausgehend, sagte Schär, es gehe weniger darum, ob der öffentliche Raum kommerziell oder nicht kommerziell genutzt werde, entscheidend sei, «ob er privatisiert wird oder nicht»: «Mich stört zum Beispiel eine Miss Schweiz-Wahl weniger, als wenn auf dem Waisenhausplatz die neusten Peugeot-Modelle ausgestellt werden. In einem solchen Fall wird der öffentliche Raum eindeutig von einem Konzern privatisiert.»
Aufgrund des wachsenden Nachfragedrucks müsse man die Kriterien für die Nutzung der öffentlichen Räume heute politisch hinterfragen. «Die Diskussion über Kommerz – Nicht-Kommerz führt nicht weiter; wir müssen uns über die erwünschten Inhalte verständigen.» Zu fragen sei: Dient die vorgeschlagene Nutzung – egal wie kommerziell – einem öffentlichen Interesse oder nicht?
Öffentlicher Raum von unten
Als im zweiten Teil der Veranstaltung das Publikum mitdiskutierte, kam auch der Blick von unten ins Gespräch. «Öffentlicher Raum» heisst ja aus der Sicht der einzelnen StaatsbürgerInnen vorerst bloss, dass sie sich in einem Raum bewegen, aus dem sie nicht unter Androhung einer Klage wegen Hausfriedensbruchs von Privaten weggewiesen werden können. Wenn sie in diesem Raum etwas tun möchten ausser sich aufzuhalten, dann ist das eine andere Diskussion.
Tatsache ist, dass ein Event durchzuführen eine Stange Geld kostet und deshalb ohne Sponsoringinteressen der «öffentliche Raum kaum in einem öffentlichen Sinn» genutzt werden kann, wie eine Frau aus dem Publikum sagte. Tatsache ist auch, dass der partizipative Einbezug der Bevölkerung – mit durchzogenem Erfolg erprobt im Rahmen des «Labors Schützenmatte» Anfang September 2014 – gelernt werden muss und jederzeit als blosses Alibi missbraucht werden kann, damit später übermächtige ökonomische Interessen politisch besser zu legitimieren sind.
Von solchen Interessen sprach Tschäppät, als er gegen Schluss seine politischen Prioritäten skizzierte: «Es gibt einen zunehmenden Druck der Fun-, Party- und Konsumgesellschaft auf den öffentlichen Raum. Da geht es nicht mehr um befristete Bewilligungen, da geht es um Baugesuche, Baubewilligungen und Investitionen – da werden längerfristig politisch nicht reparable Tatsachen geschaffen. Ich meine: Öffentlicher Raum ist wertvoll. Darum muss man vor allem dann sehr zurückhaltend sein, wenn es drum geht, ihn fest zu vergeben.»
An meinem Tisch zum Beispiel wurde nach dem offiziellen Schluss der Veranstaltung noch lange weiterdiskutiert.