«Wir wollen überfordern und überraschen»

von Maja Hornik 5. Januar 2013

Die Musikerinnen von «christine&me.» erobern mit üppigem Technik-Arsenal die «Männerdomäne» der elektronischen Musik und wollen die langsamen und bequemen Berner provozieren und zeigen, was Kunst und Kultur auch noch sein kann.

Bern fehlt es an Bühnenfrauen. Darüber wurde erst vor Kurzem laut diskutiert. Mit «christine&me.» stehen seit letztem Jahr zwei Frauen der neuen Generation auf den Berner Bühnen, die um keine Erklärung verlegen sind. Das Küchen-Gespräch von Maja Hornik mit Christine Hasler und Rebecca Grossen von «christine&me.» handelt vom Quotendenken, vom musikalischen Exotentum und von neuen Hörgewohnheiten.

Bern verzeichnet einen Mangel an Bühnenfrauen, heisst es. Ihr seid zwei Musikerinnen der neuen Generation – habt ihr einen Exotenstatus?

Christine Hasler:

Könnte man so sagen. An unserem ersten Gig in der Dampfzentrale vergangenen Oktober waren wir an diesem Abend die einzige weibliche Vertretung. Da standen dann die Musikerjungs, etwa Ante Perry, während unseres Sets mit offenem Mund da und haben sich einfach nur gefragt: Mensch, was machen die Frauen denn da? Das Publikum hingegen war wohl etwas vor den Kopf gestossen.

Das Staunen der Männer dürfte an dem üppigen Technik-Arsenal gelegen haben, welches euch für gewöhnlich an euren Gigs umgibt.

H:

Damit konnten wir ordentlich Respekt bei den Männern einheimsen. Gerade ein solcher Auftritt gilt ja üblich nicht als Frauending.

Ihr scheint das Klischée «Frauen und Technik» nicht bedienen zu wollen. Spürt ihr es dennoch?

Rebecca Grossen:

Das Klischee ist auch heute noch fest in den Köpfen der Leute verankert. Unser Vorteil ist, dass wir schon im Studium der Musik- und Medienkunst an der HKB auf die neuen Medien und die damit einhergehenden Technologien getrimmt werden. Aber auch da spüren wir durchgängig immer eine Art Vorbehalt. Als Frau wird man weniger schnell ernst genommen, man muss sich zunächst beweisen.

«Wenn eine Barbie hinterm DJ-Pult steht, ihre Technik aber selber programmiert, ist das absolut legitim.»

Christine Hasler von «christine&me.»

H:

An der club transmediale in Berlin (heute: CTM Festival) war ich mal folgender Situation ausgesetzt: eine Installation, die Jungs stehen davor, der Macher nimmt den Computer, öffnet sämtliche Patches, erklärt alles ausführlich. Als ich ihn dann über seine Patches und Programme befrage, wird er wortkarg. Zuvor – mit den Jungs – hat er fröhlich gefachsimpelt, ich hingegen muss erst mal alles, das ihm beweist, dass ich Frau tatsächlich eine Ahnung habe ins Gespräch bringen. Männer wollen wohl erst mal sichergehen, ob du wirklich das Know-how hast. Auch, um dich nicht als unwissend dastehen zu lassen – was nett ist, aber überflüssig.

G:

Ich habe oftmals auch das Gefühl, dass es darauf ankommt, wie du dich als Frau gibst – sprich: wie du gekleidet bist. Im Rock werde ich weniger ernst genommen. Ich vermisse es manchmal, auf der Bühne wirklich Frau sein zu dürfen.

Wie spielt ihr das «Rollenspiel»?

H:

Spielerisch sozusagen. Zum Aufbau meiner Gigs mit meiner ersten Electroband «naima», in der ich als Sängerin dabei war, bin ich immer in Jeans und Turnschuhen angetanzt und habe mit den Tontechnikern gefachsimpelt. Auf die Bühne bin ich dann im Kleid und mit rot-geschminkten Lippen. Schliesslich hat man als Frau auch verschiedene Seiten, ist nicht einfach nur Tussi oder nur Rampensau. Ich kann im Backstage mit den Rockerjungs rumbrüllen, stehe aber auch gern mal im Minirock hinterm DJ-Pult.

Nehmen wir mal das Beispiel Tanja La Croix, die zumeist im Minirock und High Heels hinterm DJ-Pult anzutreffen ist. Eine ernst zu nehmende Musikerin für euch?

G:

Nicht wirklich.

H:

Auf der anderen Seite kann ich auch einen DJ Antoine nicht ernst nehmen, der mit einem Glitzershirt hinterm Pult steht.

G:

In Barcelona habe ich einen Flyer gesehen, der für eine Party mit weiblichen DJ’s oben ohne warb. Das fand ich absolut schockierend. Ebenso schockierend ist eine Xenia Tchoumitchewa, die aus reinen PR-Gründen hinterm DJ-Pult steht und nicht mal selbst die Knöpfe bedient. Ich finde das frustrierend, weil es das Klischee noch mehr bedient. Ich hab sicherlich keinen Bock darauf, dass bei einem Gig mein Ausschnitt im Vordergrund steht, aber ich möchte einfach weiblich sein dürfen, wenn mir der Sinn danach steht.

«Ich hab sicherlich keinen Bock darauf, dass bei einem Gig mein Ausschnitt im Vordergrund steht, aber ich möchte einfach weiblich sein dürfen, wenn mir der Sinn danach steht.»

Rebecca Grossen von «christine&me.»

H:

Ich finde ganz klar, wenn eine Barbie hinterm DJ-Pult steht, ihre Technik aber selber programmiert, ist das absolut legitim.

Jetzt mal konkret: Frauenquote, ja oder nein?

H:

Ganz ehrlich, ich weiss es nicht. Eigentlich eher nein, weil ich finde, dass Chancengleichheit nicht durch ein Quotendenken erreicht werden kann.

G:

Irgendwie ist es ja auch lächerlich, da komm ich mir dann manchmal vor wie zu Zeiten der Anfänge der Emanzipation. Wir sind doch schon viel weiter.

H:

Aber trotzdem fehlt einfach immer noch etwas. Chancengleichheit wird nicht bis in die letzte Konsequenz gelebt. Eine Quote aber würde mir nur das Kämpferische nehmen. Ich behaupte mich gern in der Männerwelt.

Warum fehlt es Bern also an Bühnenfrauen? Wo liegt das Problem?

G:

Die Situation in meinem Studiengang reflektiert das tatsächlich ebenfalls bestens. Es hat viel weniger Frauen, dieses Jahr hat sich sogar eine reine Jungenklasse geformt.

H:

Ich denke, dass sich viele Frauen im direkten Vergleich mit Männern einfach weniger trauen.

G:

Wir lassen uns tatsächlich schnell von der technischen Versiertheit der Männer abschrecken. Männer fangen meist zudem auch viel früher an, sich für Technologien zu interessieren.

H:

Was eigentlich ein Witz ist. Ich habe ebenso früh angefangen Songs zu schreiben und zu komponieren und habe mir dadurch selbstständig mein Know-how erarbeitet.

Das mangelnde Selbstvertrauen ist also die Wurzel des Übels.

G:

Selbstreflexion und auch Selbstzweifel sind nunmal eher weibliche Eigenschaften.

H:

Die sich aber durchaus auch als Stärke auslegen lassen, besonders im Musikalischen. Wir hinterfragen unseren Sound vielleicht zwei mal mehr als es die Männer tun und sind vorsichtiger mit der Veröffentlichung unserer Produktionen.

Bei all dem Rollendenken, dem man als Frau besonders im Bereich der elektronischen Musik ausgesetzt ist, was ist euer Antrieb euch gerade in diesem Genre zu bewegen?

G:

Wir wollten einfach etwas zusammen auf die Beine stellen. Es hat sich ganz natürlich so ergeben.

H:

Ich habe den gleichen Bachelor an der HKB absolviert, wie Rebecca. Das war dann einer von vielen gemeinsamen Nennern. Und die Intuition füreinander.

G:

Ebenfalls eine eher weibliche Eigenschaft.

Gegenseitige Intuition?

H:

Wir haben von Anfang an gut zusammen funktioniert. Schliesslich spielen wir live und keine von uns beiden weiss so richtig, mit was die andere im Set ankommt.

«Mich langweilen mittlerweile die 127 Beats in drei Stunden, die man gewöhnlich in einem Club serviert bekommt.»

Rebecca Grossen von «christine&me.»

Derartige Live-Sets sind ebenfalls exotisch in der Berner Clubszene.

G:

Sie sind eher eine Ausnahme, das stimmt. Mein Musikgeschmack ist im Clubkontext verankert, ich kann aber dem reinen DJing nichts mehr abgewinnen. Mein Anspruch an einen Club-Gig ist es, elektronische Musik wirklich zu spielen und nicht einfach nur wiederzugeben.

Meist steht dort ja das Tanzen im Vordergrund. Eure Musik ist nach eigener Auskunft nur bedingt tanzbar.

G:

Dafür umso mehr hörbar. Unsere Sets funktionieren eben dann, wenn sich die Leute auch öffnen können. Mir hat letzthin jemand gesagt, dass unsere Sets sehr wohl tanzbar sind, einfach ungewohnter. Wir haben nicht den Anspruch, Mainstream vor tausend Leuten zu spielen. Wir wollen uns verwirklichen, aber in einem durchaus tanzbaren Rahmen.

Fehlt den Bernern also das offene Ohr für Neues?

G:

Neue Hörgewohnheiten erfordert es in Bern.

H:

Die Berner müssen lernen zuzuhören.

G:

Mich langweilen mittlerweile die 127 Beats in drei Stunden, die man gewöhnlich in einem Club serviert bekommt.

H:

Wir selber gehen auch vorzugsweise ausgefalleneren Acts nach, die mit dem Cello und der Gitarre auf der Bühne stehen und elektronische Musik machen, bei der nicht immer nur der Beat im Vordergrund steht. Leider ist das in Bern kaum möglich.

G:

In allen Berner Clubs wird überwiegend das Genre House bedient. Du hörst überall das Gleiche. Für mich ist da mit der Zeit einfach die Faszination verloren gegangen.

Die Berner sind also nicht nur langsam, sondern auch bequem.

G:

 

Absolut. Clubkultur ist heute fast nur noch Konsumkultur. Die Berner müssen mal aus ihren Schneckenhäusern gekrochen kommen und merken, dass Kunst und Kultur immer wieder etwas ganz Neues sein können. Besonders in der Musik kann man heute noch schockieren und dazulernen. Das wollen wir mitgestalten.

«Die Berner müssen mal aus ihren Schnecken- häusern gekrochen kommen und merken, dass Kunst und Kultur immer wieder etwas ganz Neues sein können.»

Rebecca Grossen von «christine&me.»

Wie genau?

H:

Mit Klang im Club.

G:

Mit Grenzen ausloten, mit Provokation.

H:

Denn das erwartet man sicherlich nicht von zwei Frauen, oder eben ganz anders.

G:

Neue Klangwelten in den Clubkontext zu bringen, das ist der Anspruch an unser kulturelles Schaffen. Wir wollen überfordern und überraschen.

Das Überraschungsmoment als kultureller Mehrwert?

G:

Unbedingt. Es gibt ja mittlerweile nichts mehr, das es nicht gibt. Um der Langeweile in der Kunst zu entkommen, muss man ja fast schon auf den Überraschungseffekt setzen.

Eher ein seltenes Glück in der Berner Clubszene.

G:

Es gibt sie kaum, aber es gibt sie. «Club d’Essai» in der Dampfzentrale ist einer der wenigen Anlässe, wo man genau das erleben darf.

H:

Auch häufiger frequentierte Clubs sollten ab und an auf Ungewohntes setzen. Es blitzt zwar schon immer mal wieder Gutes auf. Wir sagen: mehr von dem!

Ihr dürft abschliessend einen Appell an die Berner Club-Kultur richten. Was wünscht ihr euch?

H:

Mehr Mut für überraschende Bookings von Seiten der Clubbetreiber.

G:

Mehr Entdeckergeist vom Publikum.