«Wir wollen nicht fragen, sondern machen»

von Yannic Schmezer 28. März 2018

Gestern Nacht wurde die Grosse Halle vom Kollektiv «Die Wohlstandsverwahrlosten» besetzt. Journal B hat die Mediengruppe des Kollektivs letzte Woche zum Gespräch getroffen.

Wer seid ihr und wie seid ihr organisiert?

Dimitri*: Wir sind das Kollektiv «Die Wohlstandverwahrlosten», ein Zusammenschluss aus 30 bis 50 Personen. Die meisten sind zwischen 18 und 30 Jahre alt – also ein eher jüngeres Kollektiv. Es hat auch Leute unter uns, die das erste Mal bei sowas dabei sind und einfach den Traum haben, etwas zu verändern.

Renato*: Organisiert sind wir basisdemokratisch.

Wie habt ihr zusammengefunden?

Dimitri: Man kannte sich unter anderem über die Reitschule.

Renato: Viele Leute haben aber auch von ausserhalb dazu gefunden.

Marta*: Ja, sogar ziemlich viele. Es ist schön zu sehen, dass Leute aus verschiedenen Umfeldern zusammen die Energie für so ein Projekt bereitstellen können.

Das heisst es gibt aber auch Leute unter euch, die schon Erfahrungen mit Hausbesetzungen haben?

Marta: Ja

Mit der Grossen Halle habt ihr euch ein eher ungewöhnliches Ziel für eine Hausbesetzung gesucht. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Renato: Die Besetzung ist sicher aussergewöhnlich. Die Idee bzw. der Unmut gegenüber der Grossen Halle sind aber schon lange da – auch in der Reitschule. Es wurde auch schon mehrfach probiert die Grosse Halle für kurze Zeit zu besetzen, dies aber nicht durch uns, bzw. unser Kollektiv.

Weshalb dieser Unmut?

Renato: Wenn ich als Reitschulbesucher auf den Vorplatz komme, dann kommt mir die Grosse Halle immer vor wie eine Burg, eine Festung, die immer geschlossen ist. Manchmal ist das Tor einen spaltweit offen und es findet eine Bandprobe oder so statt. Und ab und zu findet eine grosse, teure Veranstaltung statt, ab und zu gibt es auch Veranstaltungen, die offen sind für alle, wie das UNA-Festival. Grundsätzlich ist mir dieser Ort, obwohl ich langjähriger Besucher der Reitschule bin, einfach fremd.

Marta: Wichtig für unser Kollektiv ist, dass die Grosse Halle zu einem offenen Raum wird. Es gab in den letzten Jahren selten Anlässe, die wirklich offen waren, bei dem jeder und jede einfach reinspazieren konnte. Die Grosse Halle soll zu einem Freiraum werden, den alle nutzen können, die wollen.

Eine Besetzung ist doch ein relativ radikales und auch kompromissloses Mittel. Sind dem Entscheid, die Grosse Halle zu besetzen, auch Vermittlungsversuche vorgegangen? Hat man mit dem Trägerverein das Gespräch gesucht?

Renato: Ja, es gab Gespräche. Zwar nicht durch unser Kollektiv, aber vorgängig. Der Trägerverein war jedoch nicht kompromissbereit, es gab sogar Anfeindungen durch einzelne Mitglieder. Zwar befindet sich der Trägerverein momentan in einer Umstrukturierung…

…es kommt zu einem Wechsel in der Leitung des Vereins – nach 18 Jahren. Warum gebt ihr der neuen Leitung keine Chance, es besser zu machen als die alte?

Marta: Es ist einfach zu viel zu lange schiefgelaufen. 18 Jahre nur zuschauen geht nicht. Wenn die neue Leitung aber bereit ist zu unseren Bedingungen bei der Sache mitanzupacken, sind wir grundsätzlich offen.

Renato: Es geht auch darum, dass wir den ganzen Freiraum an sich thematisieren wollen. Wir wollen nicht nur einmal die Woche eine Bar organisieren oder ein Sportturnier. Wir stellen die Frage nach alternativen Organisationsmöglichkeiten. Wir wollen einen ganz neuen Prozess dort reinbringen. Dazu ist eine Besetzung eines der besten Mittel. Wir wollen nicht fragen, sondern machen.

Dimitri: Wenn man nur das Gespräch sucht, ist die Gefahr auch gross, dass man sich schlussendlich einfach den schon bestehenden Strukturen unterordnet. Und dann bleibt alles wie es ist.

Ist das nicht auch sehr exklusiv? Ihr habt ein fixes Vorgehen, fixe Prinzipien. Wer das nicht akzeptiert, kann gehen.

Renato: Natürlich, wir nehmen uns eine gewisse Exklusivität im ersten Moment, indem wir sagen: «Wir machen das jetzt einfach». Sofort danach öffnen wir die Tore aber für alle.

Marta: Genau das ist unser Ziel, möglichst viel Menschen in dieses Projekt einzubinden und aus «unserem» Projekt ein Projekt für alle zu schaffen.

Werdet ihr auch den Trägerverein in die weitere Planung einbinden?

Renato: Wir werden den Trägerverein sicher sofort nach der Besetzung informieren.

Marta: Wir haben ja vor allem etwas gegen die Grossveranstaltungen, die sehr kommerzialisiert sind, wie zum Beispiel das «We Love Techno». Man darf nicht vergessen, dass in der Grossen Halle auch immer wieder coole Veranstaltungen stattfinden. Wir können uns gut vorstellen, dass die Veranstaltungen des Trägervereins immer noch einen Platz in der Grossen Halle haben können, jedoch nach unseren Grundsätzen, beispielsweise sollen keine Eintritte mehr verlangt werden usw.

Renato: Es können auch gerne Leute aus dem Trägerverein, die unsere Grundsätze akzeptieren, bei uns mitwirken.

Euer Kollektiv ist also grundsätzlich für alle offen?

Renato: Ja. Das beinhaltet zwar ein gewisses Risiko. Wir haben aber von Anfang an gesagt, dass uns bei diesem Projekt die grosse Mobilisierung im Mittelpunkt steht und wir bereit sind, das Risiko einzugehen.

Seht ihr auch die Gefahr einer reitschulinternen Spaltung durch die Besetzung? Die Meinungen gehen wohl auseinander…

Marta: Uns ist diese Problematik sicher bewusst. Es ist aber schwierig sie komplett zu vermeiden.

Renato: Es ist aber nicht nur eine Problematik, denn die Besetzung geht auch mit einer gewissen Reitschulkritik einher.

Die Besetzung der Grossen Halle als Reitschulkritik?

Renato: Es gibt Dinge in der Reitschule, mit denen sind wir nicht einverstanden und wollen deshalb eine Alternative bieten. Wir haben keinesfalls die Absicht, die Reitschule zu spalten. Wir möchten nur einen Denkanstoss liefern.

Wofür?

Renato: Auch die Reitschule wurde einmal besetzt. Durch die Besetzung der Grossen Halle müssen sich die Leute in der Reitschule wieder neu positionieren. In unserer Kritik geht es uns zum Beispiel um Lohnarbeit und die damit einhergehende Professionalisierung, hohe Eintrittspreise oder fixe Konsumpreise. Die am besten besuchten Orte in der Reitschule, sprich Rössli, Dachstock, Sous le Pont, sind alle auf Konsum ausgerichtet. Orte wie der Infoladen, Kino oder Tojo sind hingegen im Hintergrund. Das hängt schlussendlich mit der Lohnarbeit zusammen, denn ohne Einnahmen lassen sich keine Löhne ausbezahlen. Aus dem heraus hat sich diese Orientierung am Konsum entwickelt, die wir kritisieren.

Menschen müssen ihren Unterhalt bestreiten, Clubs wie der Dachstock ab und an Investitionen tätigen, zum Beispiel mit dem Kauf einer neuen Musikanlage. Deshalb braucht es Einnahmen. Habt ihr dafür kein Verständnis?

Renato: Das kommt ganz darauf an, was für einen Anspruch man hat. In besetzten Häusern werden auch regelmässig Anlässe organisiert, ohne dass Löhne ausbezahlt werden.

Marta: Ich habe auf jeden Fall Verständnis für die aktuelle Situation. Durch ihr starkes Wachstum ist die Reitschule schlussendlich auch etwas überfordert. Ein linkes Kulturzentrum mit Eintrittspreisen ist völlig legitim. Diese sollten aber für alle erschwinglich sein.

Reitschulkritik scheint ein wichtiger Grund für die Besetzung zu sein.

Marta: Ja, auf jeden Fall. Es soll aber jetzt nicht so rüberkommen, als hätten wir alle eine Riesenwut auf die Reitschule. Viele von uns haben sich im Reitschulumfeld kennengelernt und schätzen den Ort immer noch sehr.

Dimitri: Wir wollen das Projekt auch gemeinsam mit der Reitschule realisieren und bauen auf ihre Solidarität.

Die Grosse Halle ist nicht leer. Gemäss den Angaben des Trägervereins war sie 2015 zu 90% ausglastet und 2016 immerhin zu über 80%.

Renato: In diesen hohen Prozentzahlen sind sehr viele exklusive Anlässe enthalten, zum Beispiel Band-oder Chorproben und Proben von Tanz-oder Theatergruppen. An einigen Tagen sind dort vielleicht zehn Leute in dieser riesigen Halle. Und das kann einfach nicht sein.

Trotzdem, diese Bedürfnisse werden nicht einfach verschwinden. Wie geht ihr damit um?

Renato: Ich nehme mal an – die Grosse Halle ist ja riesig –, dass solche Gruppen nicht den ganzen Platz brauchen. Wir fänden es toll, wenn dieser Raum weiterhin durch solche kleinen Gruppen genutzt wird und wollen diese Leute nicht vertreiben. Ich bin mir sicher, wir können da etwas einrichten.

Wie geht ihr mit allfälligen Kollisionen um, die zwischen eurem Programm und dem schon bestehenden Programm des Trägervereins entstehen werden? Am 1. April wird zum Beispiel der «Flohmi» stattfinden. Vom 6. bis 28. April gibt es eine Kunstausstellung.

Marta: Bisher haben wir nur ein Programm für eine Woche. Das heisst, es gibt zwar eine Kollision mit dem Flohmi, sonst ist aber noch keine weitere Veranstaltung betroffen. Der Flohmi hat intern zu vielen Diskussionen geführt, weil eine Menge Leute von uns beteiligt sind. Deshalb werden wir den Flohmi am selben Tag zur selben Zeit zu unseren Bedingungen durchführen, das heisst wir werden zum Beispiel keine Standmieten verlangen. Der Platz ist aber begrenzt, weil wir zu diesem Zeitpunkt schon Dinge gebaut haben werden.

Dimitri: Betreffend der weiteren geplanten Anlässe des Trägervereins kann ich sagen, dass wir ein offenes Kollektiv sind. Wer etwas durchführen will, kann das grundsätzlich auch tun, halt einfach zu unseren Bedingungen.

Was werdet ihr unmittelbar nach der Besetzung tun?

Dimitri: Bauen. Wir haben vor eine Bühne, eine Küche, ein Sportfeld, eine Spielecke und vieles mehr zu bauen. Alles Weitere werden wir an der Vollversammlung besprechen, die im Verlauf der ersten Woche stattfindet.

Ein paar abschliessende Worte.

Marta: Kommt vorbei, helft mit und gestaltet. Wir freuen uns!