Janine und Lucy, wer seid ihr?
Janine: Ich studiere Kunst und Vermittlung an der HKB. Vorher habe ich in verschiedenen Kultur- und Gastrobetrieben gearbeitet und war schon immer begeistert und engagiert von und für alles Frei- und Feingeistige. Ich arbeite häufig mit Fotografie, Zeichnung und Sprache; manchmal auch als Clown. Aktuell gibt es jedoch nichts anderes als die Ausstellung für mich.
Lucy: Früher habe ich mal Geografie studiert. Jetzt studiere ich hier an der HKB mit Janine. Seit längerem setzte ich mich mit feministischen Theorien auseinander, welche meine Arbeiten stark prägen. Ich probiere gerne vieles aus, Fotographie, Zeichnung und Performance finde ich spannend. Neuerdings gestalte ich des Öfteren Plakate, Poster und Stickers. Derzeit nimmt alles um die Ausstellung gerade viel Raum ein.
Was versteht ihr unter sexuellem Konsens?
Janine: Sexueller Konsens ist für mich eine Atmosphäre, in der alle Wünsche und Grenzen von allen Beteiligten im Zentrum stehen, wahrgenommen, respektiert und geschützt werden. Viele Personen, mit denen ich über Konsens gesprochen habe, hatten häufig das Bild, dass man für konsensuellen Sex genau wissen müsse, was man denn will. Finde ich nicht. Man kann auch zusammen herausfinden, was man denn will. Dafür braucht es Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Verbal wie auch non-verbal. Konsens ist nicht nur notwendig, es macht auch mega Fun!
Konsens ist nicht nur notwendig es macht auch mega fun!
Lucy: Für mich ist es eine Sphäre, in der Menschen Sex miteinander haben und dabei die Wünsche und Grenzen aller Beteiligten respektiert werden. Es muss auch ein machtkritischer Prozess sein, wo eigene Privilegien und gesellschaftlich geprägte sexuelle Skripte reflektiert werden müssen. Wenn ich Sex habe, schweife ich manchmal ab. Für mich gehört es zu Konsens, dass meine Partner*innen präsent sind und dies bemerken und mich dann fragen, ob es (noch) okay ist? Diese Aufmerksamkeit für das Gegenüber hat für mich auch viel mit Konsens zu tun.
Wie seid ihr auf das Thema sexueller Konsens gekommen?
Lucy: Als vor ein paar Jahren die Amnesty Plakate mit dem Spruch «Erst ja, dann ah» überall präsent waren, haben die mich sicher geprägt. Mir wurde bewusst, dass Konsens wichtig ist. Feministische Literatur hat mich am meisten geprägt, zum Beispiel «Das beherrschte Geschlecht» von Sandra Konrad. Nochmals im Buch vorgeführt zu bekommen wie – Konrad benutzt den Begriff Frauen, ich ersetze ihn durch Tinfla*s – systematisch unterdrückt werden, hat mich sehr wütend gemacht. Durch den Austausch mit unserem Umfeld haben wir gemerkt, dass fast alle weiblich gelesenen Personen schon sexuelle Übergriffe erlebt haben. Es ist eben nicht zwingend die dunkle Gestalt hinter dem Baum, sondern Personen, denen man vertraut, wie beispielsweise das Gspusi, das Grenzen überschreitet. So stellt für mich sexueller Konsens ein Tool dar, eine Hilfestellung um gegen sexualisierte Gewalt zu agieren. Sodass niemand Täter*in wird.
Janine: Ich hatte grossen Respekt, das Thema mit Kunst anzugehen. Als ich mich mit dem Thema Konsens zu befassen begann, las ich sehr viel. Ich wollte alles wissen. Was mich am meisten beschäftigt, ist die fehlende Sprache beim Sex und Umgang mit Wünschen und Unwohlsein. Ich sehe in unserer Ausstellung eine gute Gelegenheit, sich auch darüber auszutauschen, Fragezeichen zu teilen, Worte zu finden und auch reinzugeben.
In eurem Dossier schreibt ihr: «Sexpositiv als auch gewaltinformiert, soll mit Konsens sexuelle Einvernehmlichkeit gestaltet werden.» Was meint ihr damit?
Janine: Die Suche nach Künstler*innen, die sich mit sexuellem Konsens in ihrer Praxis auseinandersetzen, war ernüchternd. Ich fand keine einzige Position, die sich mit sexuellem Konsens auseinandersetzt. Die Thematik sexualisierter Grenzüberschreitungen wird jedoch von vielen Künstler*innen – meist auch autobiografisch – aufgegriffen. Es scheint, als würde das Ausbleiben von Konsens in Form von Übergriffigkeit, Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt alle Energie und Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich will keinesfalls die Bedeutsamkeit von Darstellungen sexualisierter Gewalt absprechen. Unser Anliegen für diese Ausstellung ist es, ohne die Gegenseite von Konsens – die Sphäre der Übergriffigkeit – zu verharmlosen, den Fokus auf eine konstruktive Praxis der Sexualität zu richten. Auf sexuellen Konsens. Das meinen wir mit «sexpositiv als auch gewaltinformiert».
Journal B unterstützen
Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.
Cis Männer sind gesellschaftlich privilegierter als Tinfla*s. Wirkt sich das auch auf die Sphäre des sexuellen Konsenses aus?
Lucy: «Ich möchte mich nächstes Jahr mit kritischer Männnlichkeit beschäftigen, dieses Jahr habe ich keine Zeit», dieser Satz eines Typen, den ich kenne, fasst das Problem zusammen. Denn in etwa so steht es um die Beschäftigung mit dem Thema des sexuellen Konsens. Es gibt keine so grosse Dringlichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Cis Männer sind nicht von struktureller sexualisierter Gewalt betroffen und haben somit ein Privileg gegenüber Tinfla*s. Manche setzen sich damit auseinander, weil es wichtig ist oder halt gerade auch cool und sie dadurch soziale Anerkennung erhalten. Aber alle, insbesondere Cis-Männer sollen Verantwortung übernehmen und sich mit sexuellem Konsens auseinandersetzen, sonst laufen sie Gefahr, jemanden zu vergewaltigen.
Wieso habt ihr eine Ausstellung organisiert und nicht eine Demo? Oder ein Buch geschrieben?
Janine: Wir haben diese künstlerische Form gewählt, weil es eine unserer Sprachen ist. Der künstlerische Ansatz mittels Ton, Bild, Wort und weiteren Ausdrucksformen ermöglicht einen vielfältigen Zugang zum Thema, wo verschiedene Ebenen des Erlebens angesprochen werden können und man sich so dem Thema spielerisch, fragend und dialogisch annähern kann.
Wie habt Ihr die Künstler*innen und ihre Werke ausgewählt, was gab es für Kriterien?
Janine: Für uns war wichtig, dass sich die Künstler*innen intensiv mit dem Thema und ihrer Position auseinandersetzen wollen. Durch Gruppen- und Einzelgespräche konnten wir auch die Ideen und Personen kennenlernen und den künstlerischen Prozess begleiten.
Lucy: Die Werke sind alle noch im Prozess und stellen keine abschliessenden Statements dar. Wir wollten auch keine Ausstellung, in der Besucher*innen kryptische Werke entschlüsseln müssen und in der die Ästhetik im Vordergrund steht. Menschen sollten uns nicht fragen müssen: «Um was ist es eigentlich gegangen?» Das Werkzeug sexueller Konsens soll niederschwellig zugänglich gemacht werden.
Neben den 18 Mitwirkenden und Künstler*innen stellt ihr ja selbst auch noch Werke aus. Janine, magst du etwas über deine Arbeit erzählen?
Janine: Die Bravo-Heftli waren mein Aufklärungsmaterial der ersten Stunde und das ist schlimm. Doch sie gehören zu meiner Jugend wie die Telefonkabel, die ich als Schnürsenkel in meinen Converse trug. Ich werde ein Teenie-Zimmer einrichten und inszenieren. Was genau ich mir an meiner scheiss Aufklärung zurückerobere und konsensuell gestalte, verrate ich noch nicht.
Wir wollten keine Ausstellung, in der Besucher*innen kryptische Werke entschlüsseln müssen.
Was stellst du aus Lucy?
Lucy: Über dem Eingang der Ausstellung soll eine LED-Schriftzug “fuck fair” angebracht werden. Diese Arbeit ist an die Künstlerin Tracy Emin, angelehnt. Zudem wird es eine Performance von mir mit Odilia Senn geben. Wenn die Zeit noch reicht, werde ich ein Transparent am Turm anbringen.
Ändert sich momentan auch etwas in der Gesellschaft in Bezug auf sexuellen Konsens?
Lucy: Ich glaube schon, dass sich etwas bewegt. Wir hoffen fest, dass sich in der Sommersession 2022 das Sexualstrafrecht ändert und sich der Idee des sexuellen Konsens angleicht. Dies wäre eine wichtige Grundlage, um Übergriffe auch als solche benennen zu können. So muss sich auch etwas auf der gesellschaftlichen Ebene ändern. Wir hatten die MeToo-Bewegung und den Aufschrei. Konsens kann hier eine Hilfestellung sein.
Fotos aus der Ausstellung: David Fürst