«Wir wollen das Quartier beleben»

von Nicolas Eggen 11. März 2022

Wo sich früher das Quartier zum Entsorgen von Sperrgut, leeren Glasflaschen und alten Dosen traf, ist heute, im ehemaligen Entsorgungshof am Egelsee, eine Zwischennutzung entstanden. Träger dieser Zwischennutzung ist der Verein am See, 2016 in einem Mitwirkungsverfahren der Stadt gegründet mit dem Ziel, «einen vielfältigen Begegnungsort für alle im Quartier zu schaffen».

Anfangs teilte sich der Verein am See das Gebäude noch mit dem Tiefbauamt der Stadt Bern und hatte nur einen kleinen Raum zur Verfügung. «In diesem Raum befindet sich auch noch das alte Kassenhäuschen des Entsorgungshofes. Die Möglichkeiten waren am Anfang in diesem kleinen Raum natürlich noch sehr begrenzt», erinnert sich Matthias Kuhl, Vorstandsmitglied des Vereins am See zurück. Jedoch konnte nach einigen Jahren erfolgreicher Zwischennutzung der Vertrag mit der Stadt angepasst werden und seit letztem Jahr steht dem Verein am See das gesamte Gebäude zur Verfügung. Somit konnten sich viele verschiedene Projekte an der Zwischennutzung beteiligen und heute findet eine vielfältige Palette an Projekten im Gebäude Platz.

Konzerte, Boxen, Kochen und eine offene Werkstatt

Der Verein am See bietet nämlich ihre Räume für alle an, die ein eigenes Projekt entwickeln wollen und bei der Zwischennutzung mitwirken wollen. «Es ist faszinierend zu sehen wie viele Personen sich mit eigenen Ideen bei uns melden. Wir wollen bewusst Projekte, die eine gewisse Aussenwirkung haben und die Quartierbevölkerung miteinbeziehen», meint Matthias.

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Die «Garage» bei einem Konzert von King Pepe & The Queens. (Foto: Verein am See)

Beispielsweise gibt es einen Jugendraum, der als Rückzugsort und Treffpunkt gebraucht wird und die «Garage», ein Konzertraum, der akustisch mit einer Schallisolation aus Steinwolle saniert wurde und Platz für bis zu 70 Personen bietet. Ausserdem wurde eine Werkstatt eingerichtet, die mit professionellen Maschinen und Werkzeugen ausgestattet ist und immer freitags als offene Werkstatt für die Quartierbevölkerung zugänglich ist.

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Die offene Werkstatt in der Zwischennutzung am Egelsee. (Foto: Verein am See)

Ein weiteres Projekt ist die «Co-Kitchen», eine professionell ausgestattete Küche, in der «bei Quartieranlässen Essen zubereitet und Wissen vermittelt wird sowie Raum für integrative Ateliers und Kurse besteht», wie es auf der Website des Vereins heisst. «Die Geräte haben wir alle Occasion kaufen können. Diese waren zum Teil in einem sehr schlechten Zustand, also beispielsweise sehr dreckig, jedoch konnten wir mit viel Engagement alles so herrichten, das sie nun fast wie neu aussehen», erzählt Matthias.

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Die «Co-Kitchen» befindet sich im hinteren Teil des Gebäudes. (Foto: Nicolas Eggen)

Im oberen Geschoss des Gebäudes befindet sich ein Boxraum, der von der «Sister Hook Boxing Crew» für Trainings genutzt wird. Das wöchentliche Box Angebot richtet sich an «Frauen oder non-binär begreifende Menschen allen Alters. Ziel der Sister Hook Boxing Crew ist es, in einem ermutigenden, wertungs- und druck-freiem Umfeld das Boxen zu entdecken und gemeinsam Sport zu machen», so die Selbstbeschreibung auf ihrer Website.

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Die «Sister Hook Boxing Crew» in ihrem Trainingsraum. (Foto: Verein am See)

Der Verein am See hat auch eine «offene Stube» eingerichtet, einen Gemeinschaftsraum der von allen Projekten genutzt werden kann und bei Konzerten als Backstage Bereich für Künstler*innen dient. Und nicht zuletzt gibt es den «Co-Working Space», ein Gemeinschaftsbüro in welchem für fünf Franken pro halben Tag ein Arbeitsplatz gemietet werden kann.

Noch viel Potenzial

Es gibt aber auch noch ungenutzte Räume, so der ehemalige Pausenraum des Entsorgungshofes, der bis vor kurzer Zeit noch voller Spinde war. «Wir haben alle Spinde rausgerissen, jetzt werden wir noch die Wände neu streichen, dann kann dieser Raum auch vielfältig genutzt werden», hält Matthias fest. Das Problem der meisten Räume im oberen Stockwerk sei, dass sich die Räume nur schlecht heizen lassen und somit ab Oktober sehr kalt werden. Somit ist es schwierig in diesen Räumen etwas zu entwickeln.

Viel Potenzial gibt es auch bei der «Bar au Lac», der hauseigenen Bar, die in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten juristischen Hickhack geführt hatte. (Journal B berichtete mehrmals.) In den ersten Jahren der Zwischennutzung wurde die Bar durch das Café Sattler während der Sommermonate betrieben. Nach Einsprachen der Interessengemeinschaft Egelsee und dem Angler- und Fischerverein musste der Barbetrieb eingestellt werden. Nun hat aber das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die gastronomische Nutzung der «Bar au Lac» des Sattlers aus den ersten Jahren als legal beurteilt.

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Wie es jetzt weitergeht, ist noch offen. «Wir befinden uns im Gespräch mit dem Sattler, denn ein professioneller Gastro- und Barbetrieb würde auch uns entgegenkommen. Momentan müssen wir für jeden einzelnen Anlass eine gastgewerbliche Einzelbewilligung einholen. Zudem kommen wir aus personellen Gründen sehr schnell an unsere Grenzen. Wir als Verein betreiben die Bar mit unseren ehrenamtlichen Vereinsmitgliedern an Einzelanlässen und können den Aufwand nur sehr knapp stemmen», beschreibt Matthias die aktuelle Situation.

«Es entstand der Eindruck, wir würden Probleme erzeugen»

Über die schwierige Zeit mit den zahlreichen Einsprachen erinnern sich Matthias und Stefan Kropf, ehemaliger Präsident des Vereins am See, nur ungern. «Wir kamen plötzlich an einen Punkt, an dem wir uns nur noch mit diesem Thema beschäftigten. Dies war aber nie unser Ziel und entspricht auch nicht unserem Vereinszweck, deshalb haben wir uns bewusst aus dem juristischen Prozess herausgenommen und unsere Energie für die Weiterentwicklung der Zwischennutzung eingesetzt», erinnert sich Stefan.

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Matthias Kuhl und Stefan Kropf in der «Bar au Lac». (Foto: Nicolas Eggen)

Genervt haben sie sich auch über die Medienberichterstattung in dieser Zeit: «Durch diese Einsprachen entstand der Eindruck, wir würden Probleme im Quartier erzeugen. Jedoch ist das allgemeine Feedback der Quartierbevölkerung sehr positiv und viele sind sehr froh darum, dass wir hier einen Begegnungs- und Kulturort kreiert haben», meint Stefan.

Insbesondere auch, weil es den Bar- und Restaurantbetrieb «Punto» am Burgernziel seit einigen Jahren nicht mehr gibt und es im Quartier kaum Orte gibt, an denen sich die Bevölkerung ungezwungen auf ein Feierabendbier treffen kann.

Reorganisation und Zukunftspläne

Dadurch, dass sie seit letztem Jahr das ganze Gebäude zur Verfügung hatten, drängte sich auch eine Reorganisation des Vereins am See auf. «Wir sind nun professioneller organisiert mit verschiedenen Ressorts, welche beispielsweise für die Bereiche Kulturprogramm, Barbetrieb, Kommunikation und Fundraising zuständig sind», erklärt Matthias.

Auf die Höhepunkte der letzten Jahre angesprochen meint Stefan: «Für mich gibt es nicht ein spezielles Highlight, sondern ich würde das Projekt als Ganzes herausstreichen, mit der unglaublichen Eigendynamik und positiven Energie welche entstanden ist.» Und Matthias fügt an: «Mir bleiben vor allem schöne Sommertage in Erinnerung, bei denen wir tagsüber einen Flohmarkt hatten und abends dann noch Konzerte mit Barbetrieb und dabei eine sehr entspannte und friedliche Stimmung herrschte.»

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Auch der Flohmarkt stösst immer wieder auf ein grosses Interesse. (Foto: Verein am See)

Auf die Zukunftspläne angesprochen, meint Matthias: «Momentan erneuern wir den Vertrag der Zwischennutzung mit der Stadt jedes Jahr aufs Neue. Sollte sich einmal eine längerfristige Lösung mit einem unbefristeten Vertrag abzeichnen, könnten wir auch grössere Investitionen tätigen. Beispielsweise müsste in die Strom und Heizanlage investiert werden, um das Gebäude das ganze Jahr hindurch nutzen zu können. Wir würden gerne ein dauerhaftes Quartier- und Kulturzentrum werden. Wir haben noch haufenweise Ideen. So wäre eine Aussenbühne für Openair-Konzerte natürlich ein Traum. Oder auch ein Kino. Oder noch vieles mehr…»