«Wir sind so stringent wie noch nie»

von Noah Pilloud 15. März 2024

Mundartmusik Benjamin Noti und Greis bilden als Noti Wümié eines der spannensten Duos der Schweizer Musiklandschaft. Heute erscheint das zweite Album aus den Händen des Basler Gitarristen und des Berner Rappers. Journal B hat mit den beiden über Entschuldigungen, halboffene Türen und bernische Songs aus Berliner Feder gesprochen.

Journal B: Euer neues Album heisst «Sorry zäme!» Wann habt ihr euch zuletzt für etwas entschuldigt?

Benjamin Noti: Laufend, das ist wie ein Mantra! (lacht).

Greis: Gestern. Da habe ich den Kleinen gebadet und meine Frau hat währenddessen die Post geöffnet. Dann habe ich gesagt: «Ich kann nicht zur selben Zeit baden und die Heizkosten überprüfen!» Dafür habe ich mich dann entschuldigt.

Und wofür entschuldigt ihr euch mit dem Album? Oder entschuldigt ihr euch mit dem Titel schon prophylaktisch für das Album?

G: Es ist eher so ein leises «sorry zäme!». Wir entschuldigen uns dafür, dass wir schon wieder ein Album gemacht haben und schon wieder spielen kommen. Dass wir nicht kurz Pause machen und innehalten können.

B: Gut, unser Debütalbum ist schon relativ lange her… Aber ich finde den Titel kann man sehr breit verwenden.

Wenn es einen Moment gibt, an dem ich extrem aufmerksam sein muss, dann ist es beim Soundcheck, wenn Beni irgendwas zu spielen beginnt.

G: Ich finde, es ist so etwas richtig Schweizerisches. In der Schweiz mit dieser Kultur des Nicht-Stören-Wollens ist das schon fast wie eine Begrüssung oder eine Floskel. Sich präventiv entschuldigen passt eigentlich ganz gut. Zu Beginn hatte ich das Bild im Kopf, von jemandem, der nur so den Kopf durch die Tür steckt und sagt: «Eehm sorry, der Drucker ist übrigens kaputt!»

Der Titel lässt also gewissen Interpretationsspielraum zu. Das ist auch beim ersten Track der Fall. Das Album beginnt mit einer Entrouverture, also mit einer «Halböffnung». Eine Anspielung darauf, dass es bereits euer zweites gemeinsames Album ist? Die Ouverture eures gemeinsamen Schaffens hattet ihr schon, deshalb nur noch eine halbe Eröffnung?

G: Das ist eine sehr schöne Interpretation. Wir haben uns einfach gedacht: Ouverture, das klingt so gross. Das verbinde ich mit Barock und Klassik. Und Entrouverture ist wieder wie das «sorry zäme!» – ein kurzes den Kopf durch die Tür stecken. «Laisse pas la porte entrouverte!», ist auf Französisch ein verbreiteter Begriff: die Tür nicht halboffen lassen.

Ihr habt auf dem Album zwei Songs, die du solo bereits veröffentlicht hattest Greis, neu vertont. Nämlich «Ballöön» und «Tag wird cho». Weshalb habt ihr euch dazu entschieden, diese Songs quasi als Akustikversion nochmals zu veröffentlichen?

G: In unserer Bandgeschichte war es oft der Fall, dass wir Greis-Songs neu interpretiert haben. Und das macht enorm Spass, das war ein Grund, weshalb wir uns dafür entschieden haben. Gerade bei «Ballöön», das im Original mit Hatepop ja eine wahnsinnig aggressive Hyperpop-Nummer ist. Dass es so einfach ist, das in eine Ballade zu verwandeln, ist allein schon mega cool.

B: Diese Neuinterpretation ist auch sehr natürlich entstanden. Wir hatten einen Gig und du hattest den Song gerade fertig geschrieben, da spielte ich beim Soundcheck ein paar Akkorde und du hast diesen Text dazu vorgetragen. So haben wir uns dann entschieden, das so am Auftritt zu spielen. Später haben wir es dann noch etwas ausgearbeitet.

G: Wenn es einen Moment gibt, an dem ich extrem aufmerksam sein muss, dann ist es beim Soundcheck, wenn Beni irgendwas zu spielen beginnt. Das sind oft Akkorde, die ich wahnsinnig toll finde. Wenn ich ein Musiker mit einem Riesenoutput wäre, dann würden daraus neue Songs entstehen. Aber weil ich zu diesem Zeitpunkt nichts Neues habe, nehme ich einen schon vorhandenen Text von mir. So ist «Ballöön» entstanden.
Bei «Tag wird cho» hast du gesagt, dass du den unbedingt machen willst, Beni. Das waren auch Akkorde, die du beim Soundcheck gespielt hast.

Hattest du denn freie Hand bei der Vertonung und der finalen Ausarbeitung, Beni?

B: Grundsätzlich hatte ich freie Hand. Ab und zu hat er mich aber schon kontrolliert und gesagt: «So nicht!» Die Schlussphase mit dem Mix ist jeweils ein strenger Prozess. Da haben wir auch das eine oder andere noch gekickt. Aber musikalisch gesehen dreht es sich plus minus um eine Gitarre. Wenn Greis jetzt sagen würde: «Beni, keine Gitarre», dann könnte ich nicht mehr spielen.

Wir haben uns überlegt, Katy Perry oder Sia zu covern.

G: Wir hatten uns zu Beginn des Prozesses darauf geeinigt, dass die Studioversion nicht viel grösser sein soll, als wie wir sie live spielen. Also möglichst wenig zusätzliche Produktion. Alle Drumsounds kommen zum Beispiel aus einem kleinen Loopgerät.

B: Das sieht aus wie ein Gameboy. Es hat dort keine Samples drauf, die von echten Drums stammen oder echte Drums imitieren.

Wo du Instrumentals ohne Gitarre ansprichst: Bei «Liebi isch Arbeit» fällt auf, dass der Song fast ohne Gitarre auskommt. Das Instrumental erinnert eher an einen Hip-Hop-Beat. Wie kam es dazu?

B: Da hast du mich jetzt ertappt! (lacht) Das war ursprünglich ein altes Demo von mir, das für ein Instrumental-Album angedacht war. Das ist in einem ganz anderen Kontext entstanden. Das haben wir dann als Ausnahmesong zugelassen, der von diesem Konzept abweicht.

G: Der Song war einer der ersten, der entstand sogar noch vor dem Konzept.

B: Wir diskutierten sogar noch, ob es nicht ein Greis-Song sein könnte. Der Song blieb aber dann doch die Ausnahme auf dem Album. Abgesehen davon sind wir aber so stringent wie noch nie.

Auf dem Album finden sich auch zwei Coversongs. Zum einen «Victor Jara» von Aernschd Born und zum anderen «Am Ende denke ich immer nur an dich» von Element of Crime. Würdet ihr beide Interpreten auch zu euren Einflüssen zählen?

G: Was Aernschd Born angeht: Ich liebe 70er-Folk, vor allem Joan Baez. Als ich dann herausfand, dass es durch Aernschd Born und Urs Hostettler so etwas auch in der Schweiz gibt, hat mich das enorm geflasht. Explizit politische Songs, die probieren, Fakten möglichst ohne Pathos und ohne auszuschmücken rüberzubringen – wie «Global» zum Beispiel – solche Songs sind ein Produkt dessen, dass ich «Victor Jara» gehört habe.
Und bei dir war es auch dieser Song spezifisch von Element of Crime, den du magst, oder?

B: Nein, ich liebe Element of Crime allgemein. Ich würde sie nicht zu meinen musikalischen Einflüssen zählen, wenn du mich aber nach gut getexteter Musik fragst, erscheinen sie bei mir ganz zuoberst.

Das Duo Noti Mümié denkt noch lange nciht ans Aufhören. (Foto: Samuel Bramley)

Bleiben wir gleich noch bei «Am Endi denki immer nur a di». Hat es euch selber überrascht, wie gut sich der Song auf Berndeutsch übersetzen lässt?

G: Ja, mich hat das mega überrascht. Der Vergleich der beiden Versionen richtet eine Lupe auf die semantischen Unterschiede, auf die Unterschiede der Tonalitäten. Die Übersetzung war aber extrem einfach, das ist auch ein Qualitätsmerkmal für den ursprünglichen Text.

B: Ich finde es bei diesen beiden Covers spannend, wie unterschiedlich sie getextet sind. Victor Jara bedient sich einer wahnsinnig exemplarischen, deutlich benennenden Sprache. Und «Am Ende denke ich immer nur an dich» ist ein Lovesong und eigentlich geht es nur um das, was im Refrain gesagt wird. Er erzählt aber von einer Szenerie auf einem Kinderspielplatz, vieles ist metaphorisch und wie er beim Refrain landet ist schon verrückt.

Auch musikalisch passt eure Coverversion irgendwie nach Bern: Es liegt ihr diese dem Berner Mundartrock ureigene Schwermut inne. War das eine Stimmung, die ihr bewusst einfangen wolltet?

G: Dieser ganze Song spielt sich bei mir im Kopf nur beim Gärtnereispielplatz in der Längasse ab. Er ist dermassen geographisch lokal verortet, in einem Berner Quartier, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass er auch anderswo existieren könnte. Es stimmt, es ist ein unglaublich bernischer Song, schon fast lächerlich bernisch.

B: Weisst du, was wir uns zuerst für Covers überlegt haben? Victor Jara war von Anfang an gesetzt. Wir haben uns aber auch italienische Popsongs, Fireworks von Katy Perry oder Chandelier von Sia angeschaut. Gottseidank haben wir das nicht gemacht.

Wir werden zehnmal ein Comeback geben!

G: Das wäre sicher alles spannend gewesen. Aber meine gesanglichen Fähigkeiten… Ich habe eine ziemlich kleine Range und ich muss innerhalb dieser Range bewegen. All das, was wir uns angeschaut haben, ist deshalb technisch nicht möglich für mich.

Greis, auf «Imposteur» rufst du das Publikum dazu auf, dich als Hochstapler zu entlarven. Hast du nach all der Zeit noch immer ein Imposter-Syndrom?

G: Ja, aber ich habe Frieden damit geschlossen. Das Ziel wäre immer gewesen, das Imposter-Syndrom überwinden zu können, und zwar auf die Art, dass man sich selbst nicht mehr als Hochstapler wahrnimmt. Ich weiss nicht, womit es zu tun hat, aber ich kann das nicht. Als Beispiel: Am Tag nachdem ich «Vilech schaffis morn» geschrieben hatte, dachte ich mir: Geil ich bin ein Künstler! Dieses Gefühl hatte aber eine Halbwertszeit von einem Tag.
Das Imposter-Syndrom gehört für mich zum Musikmachen dazu. Es ist ok so. Ich bin ja weiss Gott nicht der Einzige. Tausende von Leuten haben bei tausenden von Sachen ein Imposter-Syndrom. Ich habe damit meinen Frieden geschlossen. Es hilft natürlich, wenn man vorauseilend sagt: Ätsch Bätsch, ich habe es euch ja schon selber gesagt. Darum geht es ja auch bei diesem Song: Selbstschutz durch Selbstentlarvung.

Auf «A dire Site» geht es um Gleichberechtigung und Mental Load. Dabei rappst du die Zeile «Nenn mi nid resilient, weds gäge mi verwändisch. Wöusi sitt ewig Mamis mitem Gfüeu bruucht z wärde Geisle nähme». Was meinst du damit, dass das Wort Resilienz gegen Mütter verwendet wird?

G: Ein gutes Beispiel hierfür ist folgende Situation. Ich sage meiner Frau ständig: «Ich kann nicht multitasken, zwei, drei Sachen aufs Mal machen, das ist für mich schwierig. Du bist hingegen resilient, du kannst das.» Meine Frau würde mir dann sagen: «Nein, es ist für mich genauso schwierig, ich kann das auch nicht, niemand kann Multitasking, aber ich wurde durch meine Erziehung, mein Leben, die Erwartungen, die an mich gesetzt werden, gezwungen diese Resilienz aufzubauen, um nicht zu Grunde zu gehen.»
Das meine ich mit Resilienz gegen jemanden verwenden. Es ist eine Art, sich hinter den eigenen Privilegien zu verstecken. Das Privileg, keine Resilienz entwickeln zu müssen.

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Kommen wir auf den Schluss des Albums zu sprechen. Beginnt das Album mit einer Halböffnung, schliesst es mit einer «Fermeture définitive». Wars das mit Noti Wümié oder dürfen wir uns in Zukunft auf weitere Alben freuen?

B: Korrekt, aber wir werden zehnmal ein Comeback geben!

G: Aber nein, im Ernst, unmöglich, dass wir aufhören, ich kann mir das nicht vorstellen. Es kann gut sein, dass es in Zukunft ein weiteres Greis-Album gibt, aber ich kann mir gut vorstellen, dieses Kapitel zu schliessen. Bei Noti Wümié ist das nicht so. Für mich gibt es keine Möglichkeit, dass wir aufhören, gemeinsam Musik zu machen. Ausser du erwirkst eine einstweilige Verfügung gegen mich…

B: Eine Trennung ist nicht in Sicht.