«Wir sind planmässig unterwegs»

Stadtpräsident Alec von Graffenried äussert sich vor der Sommerpause zum Stand der Fusionsverhandlungen zwischen Bern und Ostermundigen.

Glaubt man Medienberichten, ist beim Fusionsprojekt die grosse Ernüchterung eingetreten. Stimmt das?

Es gibt eine Innensicht und eine Aussensicht. Im Projekt läuft es sehr intensiv und konstruktiv. Aus meiner Sicht sind wir auf einem guten Weg. Allerdings schafften wir es bisher aus verhandlungstechnischen Gründen nicht, diese Fortschritte sichtbar zu machen. Für die Wahrnehmung von aussen haben Sie daher recht: Da sind der Verhandlungsstand und der Verlauf bislang viel zu wenig wahrnehmbar.

Einige sagen hinter vorgehaltener Hand, Gemeindepräsident Thomas Iten ziehe nicht am Karren, was ist da dran?

Auch daran zeigt sich, dass recht faktenfrei argumentiert wird. Zum Engagement von Thomas Iten: Es gibt niemand, der so viel für dieses Projekt investiert und arbeitet wie er. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht einen Fusionstermin hat, manchmal auch drei am Tag.

Andere kolportieren, es gebe keinen Draht zwischen ihnen beiden.

Es darf jeder behaupten, was er will. Aber auch diese Vermutung trifft nicht zu. Neben all den Projektsitzungen, an denen wir beide gemeinsam teilnehmen, besprechen wir auch immer wieder wichtige Aspekte der Fusion zu zweit. Damit schaffen wir es, uns gegenseitig über wichtige Fragen auf dem Laufenden zu halten, und damit dem Projekt auch immer wieder den richtigen Dreh für die nächsten Schritte zu geben.

Verhandeln Sie tatsächlich auf Augenhöhe? Aus Ostermundigen hört man andere Stimmen.

Wir haben alle Projektgremien paritätisch zusammengesetzt. Ich finde, wir versuchen sehr konsequent, dem Anliegen nach «Augenhöhe» nachzukommen, weil wir alle wissen, dass alles andere dem Fusionsprozess schaden würde. Manchmal dauern aber die Dinge in der Stadt länger, und gewisse Abläufe sind in der Stadt komplizierter als in Ostermundigen. Darauf müssen wir in den Verhandlungen ab und zu hinweisen und Rücksicht nehmen. Das ist dann für Ostermundigen manchmal mühsam und es entsteht der Eindruck, die Stadt bestimme den Takt allein. Ich halte diese Sicht aber nicht für zutreffend.

Wie weit sind die Verhandlungen fortgeschritten?

Das Gesamtpaket steht kurz vor dem Abschluss, wir sind also planmässig unterwegs.

Den Weg über das Gesamtpaket kann man so lesen: Offenbar sind die Differenzen in den einzelnen Dossiers so gross, dass bestenfalls eine Gesamtsicht das Projekt retten kann.

Ich würde das anders formulieren. Es bringt nichts, einzelne Detailfragen zu bewerten. Am Ende werden die Stimmberechtigten zu einem Gesamtpaket Stellung nehmen und ja oder nein sagen. Zum Beispiel: Finden die Ostermundigerinnen und Ostermundiger die Steuersenkung gut, die mit der Fusion für die Mundiger Bevölkerung kommt? Vermutlich schon. Aber das bringt nichts. Sie werden zur Fusion trotzdem nur ja sagen, wenn zum Beispiel auch für die Vereine die richtige Lösung gefunden wird.

Vor allem in der Stadt Bern zeigt die Bevölkerung bisher wenig Interesse an der Fusionsdiskussion. Liegt es daran, dass Sie zu wenig kommunizieren?

Ich finde zwar schon, dass wir mehr kommunizieren müssen. Aber das bescheidene Interesse in der Stadt am Fusionsprojekt liegt vermutlich eher daran, dass die unmittelbaren Auswirkungen einer Fusion auf die Bevölkerung der Stadt Bern relativ gering sind. Daher war auch das Interesse an unseren Veranstaltungen bisher klein. Ich finde das schade.

Droht bei diesem Desinteresse nicht ein Nein in Bern?

Die Zeichen weisen bisher nicht in diese Richtung. Auch in der Politik in der Stadt war das Interesse an der Fusion nicht riesig. In diesem Januar wurde der Zwischenbericht im Stadtrat dann kontrovers diskutiert, am Schluss stimmte das Parlament dem Nachkredit mit 70 zu 3 Stimmen zu.

Falls die Berner Stimmbevölkerung tatsächlich so positiv gestimmt wäre: worauf führen Sie das zurück?

Die Bernerinnen und Berner leben sehr, sehr gerne in ihrer Stadt. Die Zufriedenheit lag bei der letzten Bevölkerungsbefragung bei 97 %. Die Bernerinnen und Berner dürften verstehen, wenn sich andere Menschen dasselbe für sich wünschen würden. Daher werden sie den allfälligen Wunsch aus Ostermundigen zu einer Fusion nicht abschlagen, sofern diese nicht zu viel kostet. Die Frage der Fusion wird nach meiner Beurteilung in Ostermundigen entschieden – und nicht in Bern.

Das ist eine kühne Ansicht: es gibt auch Stimmen, die sagen, die Fusion berge für die Stadt Bern ein finanzielles Risiko.

Diese Stimmen gibt es, aber die These geht am eigentlichen Thema vorbei: Die Stadt Bern muss in ihrer heutigen Lage so oder so eine umsichtige Finanzpolitik verfolgen und die Fusion kann mittelfristig zu einer Stärkung führen. Oft wird auch übersehen, dass Ostermundigen zwar eine etwas kleinere durchschnittliche Steuerkraft hat als die Stadt Bern, aber heute trotzdem finanziell gut dasteht. Das muss die Stadt bei der Fusion mitberücksichtigen. Zudem konnten wir die finanziellen Risiken im Projekt klar eingrenzen, sie liegen für die Stadt mit ihrem Haushalt von über 1,3 Milliarden Franken im Promillebereich.

Am Schluss wird die Stimmbevölkerung in Bern und Ostermundigen wissen wollen: Warum überhaupt die ganze Übung? Was bringt die Fusion?

Die Aussichten für Ostermundigen und Bern werden mit der Fusion klar besser. Ostermundigen kann von den städtischen Leistungen mitprofitieren und in städtischen Fragen mitreden, und die Stadt gewinnt an Gewicht und Potenzial. Viel zu wenig wird auch betont, was die Stadt von Ostermundigen lernen kann: zum Beispiel stärker auf kurze und rasche Entscheidwege und Angebote zu setzen.

Sie galten einst als feuriger Befürworter der Fusion. Sehen Sie gewisse Dinge heute anders als am Anfang des Prozesses? Gibt es Aspekte, die Sie unterschätzt haben?

An meiner Überzeugung, dass die Fusion für beide Parteien ein riesiger Gewinn sein wird, hat gar nichts geändert; ich finde auch, dass ausgezeichnete Arbeit geleistet wird. Ich hatte aber erwartet, dass es einfacher sein würde, diese positiven Aspekte zu vermitteln und den Funken überspringen zu lassen. Hier haben wir noch einiges aufzuholen: Wir sind dazu bereit.

 

Dieses Interview erschien ursprünglich im Newsletter der Kooperation Ostermundigen – Bern