Journal B: Kannst du dich noch an das erste Buch erinnern, das dir vorgelesen wurde?
Lorenz Pauli: An das erste Buch kann ich mich sicher nicht erinnern. Weil mir meine literarisch sehr bewanderte Mutter schon früh vorgelesen hat. Aber ein Buch, das für mich bis heute sehr wichtig ist und mich mit ihr verbindet, ist das Buch «Arthur mit dem langen Arm». Das sind Geschichten in Versform von Erich Kästner. Meine Mutter konnte die Verse teilweise auswendig. Auch ich kann sie heute immer noch aufsagen. Später habe ich die Geschichten auf Berndeutsch übersetzt und als Buch herausgegeben.
Hast du deine Liebe zu Versen und Reimen auch mit diesem Buch entdeckt?
Absolut. Meine Mutter hat mich auf diesem Gebiet sozusagen trainiert. Und sie hat mir die Lust an der Sprache als Spielplatz weitergegeben.
Lorenz Pauli ist ein Berner Kinderbuchautor. Oder wie er selbst schreibt: Schriftsteller, Erzähler, Fantasiegärtner. Nach 25 Jahren als Kindergärtner widmet er sich mittlerweile ganz dem Schreiben. Seine Bücher haben zahlreiche Preise gewonnen. Er tritt als Erzähler in der ganzen Schweiz auf. Im September ist sein neues Buch «Ds Glück hett vier Bei» im Lokwort Verlag erschienen.
Dein kürzlich erschienenes Buch «Ds Glück hett vier Bei» besteht nicht aus Versen, sondern aus kurzen Vorlesegeschichten. Es ist auf Schweizerdeutsch geschrieben. Du schreibst aber auch oft in der Standardsprache. Worin liegt für dich der Unterschied?
Mundart schreiben, liegt mir einfach näher: direkt vom Herzen aufs Papier. Ich schreibe auch gerne auf Deutsch, aber es ist immer ein Übersetzen. Wie Peter Bichsel einmal sagte: Er sei froh, dass er auf Deutsch schreibe, einer Fremdsprache. So wäge er jedes Wort anders ab. Ich bin nicht immer froh um diese Übersetzungsleistung, die ich erbringen muss. Und ich habe auch immer ein wenig Angst vor den Helvetismen. Ich möchte nicht als Schweizer Schriftsteller abgestempelt werden.
In «Ds Glück hett vier Bei» treibt Kater Kopernikus sein Unwesen in der Berner Altstadt. Die Themen, die ihn beschäftigen sind – vielleicht abgesehen vom Futter – menschliche. Weshalb eignen sich Tiere so gut als Protagonisten für deine Geschichten?
Mit menschlichen Protagonisten schliesst man immer jemanden aus. Wenn du eine männliche Hauptfigur hast, fühlen sich Mädchen nicht gleich angesprochen. Aber wenn du eine Maus hast, fragt sich niemand, ob das jetzt eine männliche oder eine weibliche Maus ist. Und auch mit einem Kater kann man sich als Mädchen identifizieren, wenn man möchte.
Im Buch weiss Kater Kopernikus nicht, wie alt er eigentlich ist, und erfindet kurzerhand seinen Geburtstag. Wie alt ist er denn schon in deinem Kopf?
Die ersten Geschichten sind vor zehn Jahren im Magazin «Bärn» erschienen. Für das jetzige Buch habe ich allerdings noch ziemlich viel geändert.
Ihr habt zuhause selbst zwei Katzen. Sind sie deinem tierischen Protagonisten ähnlich?
Unser Kater schon. Leicht übergewichtig und sehr selbstsicher –mein Schreibtisch gehört eigentlich ihm (lacht).
Ich will nicht nur bedienen.
Die Erlebnisse von Kopernikus haben mich beim Lesen oft zum Lachen gebracht. Aber wie weisst du eigentlich, dass auch die Kinder eine Geschichte lustig finden?
Erstens bin ich selber ein sehr kindlicher Mensch. Ich bin nie aus dem Kindsein herausgewachsen. Und dann bin ich berufsgeschädigt. 25 Jahre als Kindergärtner bringen einem die Gedankenwelt der Kinder sehr nahe. Aber ich liege nicht immer richtig. Manchmal täusche ich mich. Und das ist auch gut so. Ich will ja nicht nur bedienen. Sondern ich will mehrere Schienen fahren. Am liebsten ist es mir, wenn ich es schaffe, für die Kinder zu schreiben, ohne die Erwachsenen zu langweilen.
Bevor du als Kindergärtner gearbeitet hast, hast du eine Banklehre gemacht. Weshalb wurde daraus keine Bankkarriere?
Ich passte nicht dorthin. Ich begann meine Banklehre schon mit schulterlangen Haaren. Das kam damals – 1986 – nicht gut an. Ich wurde zum Friseur geschickt. Nach der Lehre revoltierte ich und dachte mir, weiter weg von der Bank als im Kindergarten geht nicht mehr. Und das hat mich zum Glück an den richtigen Ort gebracht.
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Danach hast du sehr lange in Zollikofen als Kindergärtner gearbeitet. Trauerst du dem Kindergärtner-Dasein manchmal nach?
Jetzt müsste ich ja sagen, aber ich sage nein. Die Arbeit als Kindergärtner hat mir viel gegeben. Aber irgendwann ist auch einmal gut. In den letzten Jahren als Kindergärtner bin ich müde geworden. Man möchte nicht immer in denselben Gleisen fahren, aber kann sich selbst auch nicht neu erfinden. Das Schreiben war in diesem Moment eine Chance, um mich neu orientieren zu können.
Es ist schon ein sehr herausfordernder Beruf. Das sieht man aktuell wieder am gravierenden Lehrermangel. Was würde, deiner Meinung nach, helfen, die Leute im Beruf zu halten?
Die Unterstützung und Entlastung von neuen Lehrpersonen finde ich wahnsinnig wichtig. Ihnen zu zeigen, dass man scheitern darf, dass man scheitern soll und es normal ist, dass man nie ans Ende der Aufgaben kommt. Und schlussendlich ist der Lohn auch ein Thema. Das Prestige des Berufs ist nicht mehr dasselbe, wie es noch vor dreissig Jahren war. Und das Prestige lässt sich bis zu einem gewissen Grad über den Lohn steuern.
Man kann alles ansprechen, wenn man es in der richtigen Sprache anspricht.
In deinen Büchern beschäftigen sich die Protagonisten mit allen möglichen Themen und Herausforderungen. Gibt es auch Themen, die in einem Kinderbuch nicht angesprochen werden sollen?
Ich finde es wichtig, dass die ganze Bandbreite von Themen angesprochen werden kann: auch Tod, auch Sexualität, Geld. Man kann alles ansprechen, wenn man es in der richtigen Sprache anspricht. Kinder nehmen sich sowieso aus einem Inhalt das heraus, was ihnen entspricht und lassen den Rest liegen.
Hat sich dein Kinderpublikum verändert, seit du angefangen hast für sie zu schreiben?
Ich habe mich wahrscheinlich mehr verändert als die Kinder sich. Klar sind die elektronischen Medien viel präsenter. Aber bei meinen Auftritten merke ich nichts davon, dass etwas verloren gegangen wäre. Die Kinder lassen sich genau gleich von einer Geschichte packen, wie sie es auch früher gemacht haben. Die Veränderung ist nicht so gross, wie man meinen könnte.
Vielleicht haben sich die Kinder nicht verändert. Aber die Welt definitiv. Auf deiner Website schreibst du: Die Kinder wachsen heute in etwas hinein, das unglaublich viel an (Schein)welten offenbart und je länger je weniger echte Erfahrungen bietet. Das birgt Gefahren. Da frag ich mich: Sind Bücher nicht auch Scheinwelten?
Ha! (lacht) Jaa… Ja. Das sind Scheinwelten. Aber Scheinwelten, die man selber noch füllen muss und an denen das Kopfkino beteiligt ist. Da muss viel an Eigenleistung passieren. Das ist für mich etwas Anderes, als wenn man die Kinder einfach mit pfannenfertigen Inhalten abfüllt, so Dr. Oetker-mässig. Und eigentlich sind wir auf Scheinwelten angewiesen. Auch wir Erwachsenen. Wir brauchen, das Gefühl, dass nicht alles unverrückbar ist, sondern, dass es immer noch ein Törchen zu einer anderen Welt gibt.
Hast du eine Lieblingsfigur aus deinen Scheinwelten, die dich bis heute begleitet?
Der Figurenkosmos um Herrn Schnippel und den kleinen Juri, Frau Asperilla, Dr. Bitter und Herr Vogelsang ist mir sehr nah. Das begann mit einer Geschichte – meiner lustigsten, wie ich finde – «Zum Mitnehmen». Und dann hat nach und nach jede dieser Figuren aus «Zum Mitnehmen» eine eigene Geschichte bekommen. Nur Herrn Vogelsang fehlt noch eine. Dieser Kosmos ist einfach ein glaubwürdiges Biotop, mit Figuren, die ihren Charakter und ihre Konturen haben.
Ein einziges Mal habe ich ein Buch selbst illustriert. Ist glücklicherweise vergriffen.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Illustratoren? Entstehen Ideen gemeinsam oder teilt dir der Verlag eine Illustratorin zu?
Das ist unterschiedlich. Meine absolute Lieblingsillustratorin ist Kathrin Schärer. Mit ihr erlebe ich die Zusammenarbeit so intim wie mit niemandem sonst. Ich traue mich sogar, ihr eine halbfertige Geschichte zu zeigen. Nur ihr gegenüber kann ich das, bei anderen habe ich das Gefühl, ich exponiere mich zu stark. Mein Kopfkino ist auch sehr stark ein Kathrin-Schärer-Kopfkino. Oft sehe ich die Bilder schon beim Schreiben der Texte vor mir, die sie dann später tatsächlich so malt. Auch unser Austausch ist sehr offen und kritisch. Bei anderen Projekten ist es natürlich so, dass ich die Geschichte zuerst liefere und die Illustrationen folgen. Im Schlimmsten Fall bekomme ich dann erst die fertigen Bilder oder sogar erst das fertige Buch wieder zu Gesicht. Das habe ich überhaupt nicht gern. Es gab einmal einen Fall, in dem die Bilder einer Illustratorin die Aussage des Buches ausgerechnet am Schluss stark verändert haben. Das war schade.
Hast du mal versucht, deine Geschichten selbst zu illustrieren?
Ein einziges Mal habe ich ein Buch selbst illustriert: «Die Flausenmaus auf Katzenjagd». Ist glücklicherweise vergriffen. Ich habe das ganze Buch drei- oder viermal von vorne bis hinten illustriert und war erst beim vierten Mal zufrieden mit dem Resultat. Ich wusste viel zu wenig darüber. Von dem her ist es nicht schlecht, dass ich das jetzt nicht mehr mache.
Dafür hast du einen eigenen Verlag, den Verlag ))mupf. Weshalb eigentlich?
Das ist eine mühsame Geschichte. «Wienachte mit der Frou Schnousi» ist zuerst im Fischer Verlag erschienen, später dann bei einem anderen Verlag, der mir aber das Honorar nicht gezahlt hat. Ich bin ein böser alter Banker – deshalb habe ich versucht, die Rechte zu erstreiten. Am Schluss habe ich viel Geld hingelegt, die Rechte erhalten und mich entschieden, die Geschichten auf eigene Rechnung herauszugeben. Es hat sich gerade so gerechnet, aber ich möchte keine weiteren Bücher in diesem Verlag herausgeben. Es ist noch einmal ein anderer Hut, den man trägt – und ich habe genug Hüte.
In vielen deiner Bücher kommt das Thema «Mut» vor. Würdest du von dir selbst sagen, du bist ein mutiger Mensch?
Überhaupt nicht. Ich bin wirklich ein «Höseler».
Auftritte und Buchpublikationen sind aber auch etwas Exponiertes.
Aber ich kann mich hinter diesen Buchdeckeln verstecken. Und wenn ich auf der Bühne stehe, bin das nicht ich selbst. Bis ich auf der Bühne stehe, habe ich Lampenfieber wie blöde. Aber kaum stehe ich dort und habe mein rotschwarzes T-Shirt an, bin ich ein Bühnentier.
Oft war ich zu langsam für die Geschichte. Ich habe geschrieben und geschrieben, aber bin kaum hinterhergekommen.
Vor einem Jahr hast du den ersten Roman herausgegeben: «Der beste Notfall der Welt». War es ein grosser Unterschied, einen Roman zu schreiben, im Gegensatz zu den kürzeren Geschichten?
Wahnsinnig. Bei einem Bilderbuch bringst du einen Gedanken von A nach B. Bei einem Roman musst du verschiedene Ebenen verflechten und einen langen Bogen spannen, der tragfähig ist. Alleine hätte ich mir das auch nicht zugetraut. Ich hatte ein Mentorat mit Christoph Simon, der mir auf grandiose Art geholfen und immer wieder Mut gemacht hat. Ohne ihn wäre das vielleicht gar nie fertig worden. Ich bin auch eigenartig vorgegangen, habe losgeschrieben und erst danach geplant. Oft war ich zu langsam für die Geschichte. Ich habe geschrieben und geschrieben, aber bin kaum hinterhergekommen.
Geht es dir manchmal auch umgekehrt? Blockiert der Erfolg deiner Bücher manchmal auch die Kreativität beim Schreiben?
Beim Schreiben habe ich es weniger als beim Auftreten. Da spüre ich die Erwartung, es müsse lustig werden, man kenne diesen Pauli ja. Vielleicht ist es auch deshalb, weil die Leute das Buch zuerst anschauen, bevor sie es kaufen. Bei einem Auftritt kaufen die Leute das Ticket zuerst, bevor sie wissen, auf was sie sich einlassen. Ich habe Angst, dass sie enttäuscht sein könnten.